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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

346-348

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Sebott, Reinhold

Titel/Untertitel:

Gnadenrecht. Der Beitrag von Hans Adolf Dombois zur Fundamentalkanonistik.

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2009. 330 S. 8°. Geb. EUR 57,80. ISBN 978-3-631-58718-8.

Rezensent:

Christoph Ohly

Der emeritierte Frankfurter Kirchenrechtler Reinhold Sebott SJ hat mit der vorliegenden Publikation den zweiten Teil seiner kanonistischen Trilogie vorgelegt. Die »Fundamentalkanonistik« aus dem Jahre 1993 beinhaltete zunächst eine detaillierte Analyse der kirchenrechtsfeindlichen These im Denken von Rudolph Sohm sowie der einschlägigen Reaktionen darauf. Das hier zu besprechende »Gnadenrecht« erarbeitet nun in Folge dessen in Form eines Readers den Beitrag des protestantischen Rechtsgelehrten Hans Dombois (1907–1997) für den von S. als Fundamentalkanonistik bezeich neten Bereich der umfassenden Grundlagenforschung des Ka­no­nischen Rechts. Der dritte, noch ausstehende Band will sich schließlich mit einer systematischen Anwendung der daraus abzuleitenden Erkenntnisse auf das katholische Kirchenrecht befassen.
Mit Hans Dombois begegnet S. in seiner Arbeit einer der prägendsten Gestalten der protestantischen Kirchenrechtswissenschaft im ökumenischen Dialog mit der katholischen Kanonistik. Die von ihm im Jahre 1967 gegründete und 20 Jahre lang geleitete Heidelberger »Kirchenrechtliche Arbeitsgemeinschaft« ist ein be­redtes Zeugnis dafür. Die Erkenntnisse über das Recht der Kirche legte Dombois in seinem umfassenden Werk »Das Recht der Gnade« (3 Bde., 1961–1983) dar. Es trägt den Untertitel »Ökumenisches Kirchenrecht« und zeichnet die Frucht seiner intensiven Beschäftigung mit der Rechts- und Kirchengeschichte sowie der Dogmen-, Theologie- und Liturgiegeschichte. Seine Überlegungen fanden auf katholischer Seite, nicht jedoch auf protestantischer Seite hohe Beachtung, was u. a. in der Berufung zum Konsultor bei der Erstellung der später jedoch verworfenen »Lex Ecclesiae Fundamentalis« im Codex-Reformprozess zum Ausdruck kam.
Die innere Struktur der Publikation wird in zwei großen Teilen erkennbar. Der erste Teil (25–225) widmet sich einer »Darstellung« der »Lehre von Dombois« (18), in der dieser mithilfe von sieben umfassenden Abschnitten weitestgehend selbst zu Wort kommt. Der zweite Teil (227–315) analysiert die Erkenntnisse unter dem Titel »Würdigung« und führt sie in einem erkenntnisreichen »Epilog« (299–315) zusammen. Dabei wird der Kerngedanke ersichtlich: »Das Kirchenrecht ist im wesentlichen Gnadenrecht« und die Gnade ein »Rechtsvorgang, in welchem ein zerstörtes Rechtsverhältnis wiederhergestellt oder ein neues dadurch begründet wird, daß der einseitig berechtigte Geber (= Gott) dem Nichtberechtigten (= Mensch) eine Neubegründung oder Mehrung seines Rechtsstandes zukommen lässt« (314). Das Recht der Kirche erwächst deshalb bei Dombois aus der Rechtfertigung des Sünders, »orientiert sich am weltübergreifenden Wirken des dreieinigen Gottes und will sich verwirklichen im prophetischen und königlichen Priesterdienst aller Getauften« (259).
Die kurze Skizze zur Anlage des Buches von S. lässt neben dem leitenden Interesse des Autors an den Grundlagen seiner Disziplin vor allem ein ökumenisches Anliegen offenkundig werden. Er­kenntnisse der protestantischen Kirchenrechtswissenschaft sollen mit der katholischen Kanonistik wieder stärker ins Gespräch ge­bracht werden. Dieses Vorgehen ist durchaus zu begrüßen und vermag durch den kritischen Diskurs zu einer tieferen Durchdringung der kirchenrechtlichen Disziplin zu verhelfen, namentlich mit dem Ziel, eine tragende Antwort auf die als unüberwindbar erscheinende Gegenüberstellung von Kirche und Recht in der Sohmschen Position zu formulieren.
Daher ist es zu wünschen, dass die Ausführungen von S. in den wissenschaftlichen Austausch nicht nur der Kanonistik, sondern auch insbesondere der protestantischen Wissenschaft vom Kirchenrecht Eingang finden. Für Letztere täte sich damit die Möglichkeit auf, Dombois als einen der ihrigen und als herausragenden Vorreiter eines rechtstheologischen Gesamtentwurfes wiederzuentdecken, zu würdigen und für sich auch neuerlich zu überdenken. Die konsequente Auseinandersetzung mit seinen Thesen könnte in den kommenden Jahren hilfreiche Anregungen mit sich bringen. Bedacht werden müssen dabei aber, und dies durchaus selbstbewusster als es bei S. geschieht, die maßgebenden Erkenntnisse der katholischen Kanonistik, wie sie insbesondere mithilfe der ekklesiologischen Lehren des II. Vatikanischen Konzils erar­beitet wurden. Die von S. bezeichnete Fundamentalkanonistik ist wahrlich kein Stiefkind der katholischen Kirchenrechtswissenschaft. Sie umfasst sowohl die theologische Grundlegung des Kirchenrechts als auch die Theologie des Kirchenrechts, die beide maßgeblich durch die sog. »Münchener Schule« (Klaus Mörsdorf, Eugenio Corecco, Antonio Rouco Varela, Winfried Aymans und die nachfolgende Schülergeneration) durchdrungen worden sind. Sie stellen aufs Ganze gesehen einen bedeutsamen, wenn auch noch nicht systematisierten Beitrag für die Kanonistik dar. Das Kirchenrecht wird darin essentiell im Wesen und in der Sendung der Kirche verortet, das von dort her zugleich seine theologische Gestalt erfährt. Diese liegt – gemäß dem II. Vatikanischen Konzil – grundlegend in der Kirche als communio, die den Rahmen für das Kirchenrecht sowie dessen Ausrichtung in Aufbau, Förderung und Schutz der communio darstellt. Das katholische Kirchenrecht er­wächst daher, stärker als in der individualisierten, durch die Theologie von Martin Luther bestimmten Heilssicht von Dombois, aus der Kirche selbst, die sich in ihren konstitutiven Bauelementen Wort, Sakrament und (angestoßen durch die Enzyklika »Deus Caritas est« von Papst Benedikt XVI.) der Liebe darstellt und verwirklicht. Auf diese Weise verbietet sich sowohl eine Gegenüberstellung von Kirche (mit ihrem Glauben) und Recht als auch ein kirchlicher Rechtspositivismus, der das Kirchenrecht zu einer lediglich soziologisch notwendigen Größe (das bekannte »ubi societas ibi ius« in der Lehre vom »Ius Publicum Ecclesiasticum«) degradiert und heute tatsächlich wieder in einigen kanonistischen Strömungen vernehmbar wird. Mit anderen Worten: Mit der theologischen Durchdringung des Kirchenrechts steht und fällt zugleich das Verständnis der Kirche und umgekehrt. Damit ist der Dienst der Kanonistik immer auch Dienst in und an der Kirche. Es wäre nicht zuletzt im ökumenischen Geist zu begrüßen, wenn diese Erkenntnis mithilfe der Lehre von Dombois weiterführend durchdrungen wird. Darin könnte ein Verdienst des Buches liegen.