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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

344-345

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Konrad, Dietmar

Titel/Untertitel:

Der Rang und die grundlegende Bedeutung des Kirchenrechts im Verständnis der evangelischen und katholischen Kirche.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XXV, 512 S. gr.8° = Jus Ecclesiasticum, 93. Lw. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-150150-0.

Rezensent:

Hendrik Munsonius

Dem Kirchenrecht kommt für die geschichtliche Realität der Kirche eine zuweilen unterschätzte Bedeutung zu. Ökumenische Differenzen werden nicht zuletzt an den Unterschieden im evangelischen und römisch-katholischen Verständnis des Kirchenrechts und seiner Gestaltung erkennbar. Dies zu erhellen und Chancen einer vertieften Ökumene auszuloten, ist Gegenstand der vorzustellenden Arbeit. Sie ist als Dissertation an der Juristischen Fakultät in Heidelberg entstanden. Dietmar Konrad ist Richter im höheren Justizdienst des Landes Baden-Württemberg. In drei jeweils gewichtigen Teilen werden das katholische, das evangelische und das ökumenische Kirchenrecht behandelt. Für die beiden Partikularkirchen werden jeweils zunächst die ekklesiologischen Grund­-lagen, dann der Rang und die Bedeutung des Kirchenrechts und schließlich die Umsetzung der ekklesiologischen Vorgaben in der konkreten Rechtsordnung entfaltet.
Für die römisch-katholische Ekklesiologie stellt K. ein unausgeglichenes Spannungsverhältnis zwischen dem Communio-Gedanken und der hierarchischen Verfasstheit fest. Das im Zweiten Vatikanum entfaltete Entwicklungspotential werde so teilweise konterkariert. »Der Rang und die Bedeutung des Kirchenrechts« werden zwischen einem Verständnis des Kirchenrechts als Fremdkörper der Ekklesiologie und seiner sakramentalen Grundlegung diskutiert. Schließlich wird das Kirchenrecht als Teilfunktion der Kirche zur Verwirklichung der communio aufgefasst. Daraus folgen die Desiderate, das gemeinsame Priestertum, das Subsidiaritätsprinzip und die ökumenische Dimension zu stärken. Im CIC von 1983 seien die Vorgaben des Zweiten Vatikanum jedoch einseitig zulasten einer stärkeren Laienbeteiligung und einer ökumenischen Öffnung umgesetzt worden. K. stellt dazu ausführlich die Stellung der Gläubigen, die Teilhabe und Mitwirkung von Laien, das Verhältnis von Gesamt- und Teilkirche und die Stellung von evangelischen Christen im röm.-kath. Kirchenrecht dar.
Für die evangelischen Kirchen entfaltet K. zunächst das luthe­-rische und reformierte Verständnis von Kirche, Amt und Kirchenleitung und stellt Differenzen fest, denen jedoch mehr der Charakter von unterschiedlichen Akzentsetzungen beigemessen wird. Sodann widmet er sich der Grundlagendiskussion des evangelischen Kirchenrechts und behandelt die Ansätze von Sohm, Holstein, Liermann, Heckel, Wolf und Dombois. Der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 und dem dort festgestellten Zusammenhang von Botschaft und Ordnung der Kirche kommt in der Darstellung entscheidende Bedeutung zu. K. betont den Antwortcharakter des Kirchenrechts, wonach ausgehend von biblischen Weisungen geeig­nete Rechtsformen zu entwickeln seien. Zentrale Bedeutung misst K. Verkündigungshandeln und dem Prinzip des allgemeinen Priestertums zu. Schließlich werden je eine lutherische, reformierte und unierte Verfassungsordnung und die Regelungen zu Amtshandlungen, Predigtamt und Grundrechten dargestellt.
Im dritten Teil lotet K. die Möglichkeiten für ein ökumenisches Kirchenrecht aus und stellt den gegenwärtigen Bestand zwischenkirchlicher Vereinbarungen und Selbstverpflichtungen dar. Ein Grundproblem sieht er in der gegenseitigen Anerkennung als pa­ritätische Verhandlungspartner und in der Notwendigkeit der Rezeption von Lehrgesprächen, die in der röm.-kath. Kirche durch den Papst oder das Bischofskollegium, in der evangelischen durch einen magnus consensus erfolgen müsste. Die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen sieht K. in den ekklesiologischen Grundlagen und insbesondere im Amtsverständnis begründet. Während sich für die röm.-kath. Kirche Strukturvorgaben aus dem ius divinum ergäben, bestünden für die evangelische Kirche nur minimale Vorgaben. Für die Zukunft entwickelt K. das Modell einer gestuften Kirchengemeinschaft, wonach die römisch-katholische Kirche die Ämter der evangelischen Kirche anerkennen müsste und dem Papst eine »geistlich-rechtliche Vollmacht« als »Repräsentant des magnus consensus aller Gläubigen« zukäme.
Dem Ergebnis, dass weniger das Kirchenrecht als die theologischen Vorfragen nach dem Kirchen- und Amtsverständnis das ökumenische Entwicklungspotential bestimmen, kann im Wesentlichen zugestimmt werden. Hierbei auch die jeweiligen innerkonfessionellen Spannungslagen verdeutlicht zu haben, ist ein großes Verdienst der Arbeit. Ob allerdings das Modell der gestuften Kirchengemeinschaft in der vorgeschlagenen Weise zu realisieren ist, muss sich noch herausstellen. Zum einen ist fraglich, ob es für eine vertiefte ökumenische Gemeinschaft tatsächlich einer derart verdichteten Rechtsgemeinschaft bedarf. Hier scheint ein röm.-kath. Grundverständnis durchzuklingen. Zum anderen kann zwar im evangelischen Kirchenrecht ein hohes Maß an Entwicklungsoffenheit vorausgesetzt werden. Aber schon bei der Darstellung der Kirchenverfassungen wird deutlich, dass insbesondere das Amtsverständnis und das Prinzip des allgemeinen Priestertums erhebliche Implikationen mit sich bringen, die einer Annäherung an röm.-kath. Vorstellungen wiederum Grenzen setzen. Hier ist noch theologische Klärungsarbeit zu leisten.
Mit diesem Buch hat K. nicht nur die Untersuchung einer Grundlagenfrage vorgelegt, sondern fast schon kompendienartige Einführungen in das römisch-katholische und das evangelische Kirchenrecht verfasst. Dies stellt zugleich seine Stärke und seine Problematik dar. Einerseits werden beide Rechtsordnungen anschaulich und differenziert dargestellt. Dadurch gewinnt der Leser einen fundierten Einblick und kann die Rechtsordnungen jeweils im interkonfessionellen Kontrast wahrnehmen. Andererseits tragen nicht alle Teile des Buches zu einer Klärung der Kernfrage bei, welches Grundverständnis des Kirchenrechts in beiden Konfessionen besteht. Dies fällt besonders bei den Ausführungen zu den Beteiligungsmöglichkeiten der Laien in der römisch-katholische Kirche und zu den Verfassungsmodellen in den evangelischen Kirchen auf. Außerdem besteht bei einer derartig breiten Anlage der Untersuchung die Gefahr, dass die Präzision im Detail leidet. Manches wäre in Spezialuntersuchungen wohl besser aufgehoben.
Zwei leichte Trübungen des gleichwohl erfreulichen Gesamteindrucks seien nicht verschwiegen: Insbesondere bei der Darstellung des römisch-katholischen Kirchenrechts wählt K. häufig wertende Formulierungen (»leider«, »positiv zu vermerken«), ohne dass die Kriterien dieser Bewertung immer erkennbar sind. Außerdem hätte dem Buch eine etwas sorgfältigere Korrektur gut getan. Insgesamt hat K. ein Buch vorgelegt, das sowohl die Grundlagen und Gestaltungen des jeweiligen Kirchenrechts eingängig darstellt als auch Potentiale der ökumenischen Entwicklung ausleuchtet. Damit liegt ein hilfreicher und gewichtiger Diskussionsbeitrag vor.