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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

342-343

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Demel, Sabine

Titel/Untertitel:

Zur Verantwortung berufen. Nagelproben des Laienapostolats.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2009. 397 S. 8° = Quaestiones disputatae, 230. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-451-02230-2.

Rezensent:

Astrid Kaptijn

Auf dem Umschlag des Werkes sind zwei Straßenschilder in der Stadt München abgebildet. Auf der einen Seite wird die Lämmerstraße, auf der anderen Seite die Hirtenstraße angezeigt. Diese beiden Bezeichnungen waren zu einer gewissen Zeit in der katholischen Kirche gebräuchlich. Erstere waren dabei passive Subjekte, die der Seelsorge der Hirten anvertraut wurden. Jeder der beiden Kategorien war ein bestimmter Handlungsbereich zugewiesen: die weltlichen Angelegenheiten den Lämmern, die kirchlichen Angelegenheiten den Hirten. Es stellt sich die Frage, ob diese Sichtweise heute tatsächlich überwunden ist. Sabine Demel, Professorin für Kirchenrecht an der Universität Regensburg, hat sich zum Ziel gesetzt, genau dies zu untersuchen. Sie analysiert drei konkrete Beispiele, als Maßstab für den Grad der Eigenverantwortung der Laien für die Sendung der Kirche, im Gegenüber zur Vollmacht der Bischöfe. (D. bevorzugt den Ausdruck »Vollmacht«, um die sakramentale Eigenheit kirchlicher potestas zum Ausdruck zu bringen [167, Anm. 392], gegenüber demjenigen der Gewalt, der im weltlichen Bereich üblich ist).
D. beginnt ihre Analyse mit einer fundierten Studie der Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils in Bezug auf das gemeinsame und das amtliche Priestertum und den Glaubenssinn der Gläubigen. Außerdem untersucht sie die partielle Rezeption dieser Lehre im kirchlichen Gesetzbuch von 1983. Diese Materie hat D. teilweise bereits in ihrem früheren Werk Mitmachen – Mitreden – Mitbestimmen. Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen in der katholischen Kirche, Regensburg, 2001, Topos, studiert. Interessant sind D.s Änderungsvorschläge für verschiedene Normen des Codex. Auf diese Weise soll die konziliare Lehre besser integriert werden können. Auch wenn der praktische Nutzen dieser Normen möglicherweise begrenzt ist, erlauben diese doch eine Veränderung der kirchlichen Sichtweise.
Ein zweites Kapitel entfaltet in der Folge unter anderem das Recht des Codex in Zusammenhang mit der im Bereich der DBK verwendeten Terminologie zu den Vereinigungen. Dieser rechtliche Status wird in der Regel für verschiedene Organisationsformen des Laienapostolats verwendet. Die Differenzierung zwischen kanonischen, d. h. kirchlich geregelten Vereinen, und nicht kanonischen, also frei gestalteten Vereinen, ist bekannt. Nicht üblich dagegen ist die Schlussfolgerung, dass beide Formen als kirchliche Vereine zu betrachten sind.
Die drei Beispiele, die in drei Kapiteln vorgestellt werden, sind das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, der Diözesanrat als Organ zur Koordinierung des Laienapostolats auf Diözesanebene und der Verein Donum Vitae als von Laien getragene Schwangerschaftsberatungsstelle. D. versucht, den rechtlichen Status dieser drei Laieninitiativen zu klären. Dies stellt ein schwieriges Unterfangen dar, weil die Bezüge zum Codex im Allgemeinen fehlen und sowohl die Formen als auch die Begrifflichkeiten des Kirchenrechtes nicht vorkommen. So sprechen die Statuten des ZdK seit 1967 über die eigene Verantwortung als ein von den Bischöfen anerkannter (und nicht mehr »getragener«) Zusammenschluss des Laienapostolats. Die »Unabhängigkeit« des ZdK ist jedoch vielmehr eine ekklesial-kooperative Autonomie, wo die Bischöfe bei der Erstellung der Statuten, der Wahl des Präsidenten und des Generalsekretärs, sowie des geistlichen Assistenten und des Priesters der zum Rektor bestellt wird, mitwirken. Auch wenn das Einwirken der Bischöfe in Bezug auf Letztere eher als Zeichen gedeutet werden kann, das ZdK als kirchlich-kanonischen Verein einzustufen, schlussfolgert D. doch von der Entwicklungsgeschichte her auf einen freien Zusammenschluss des ZdK im Sinne von c. 215.
Hier zeigt sich die Gemeinsamkeit mit den beiden anderen Beispielen. Auch bei diesen handelt es sich, gemäss D., um frei gestaltete Vereine. Dies schließt die Mitwirkung des Bischofs z. B. bei den Diözesanräten, in einer Form, die an einen öffentlich-kanonischen Verein erinnert, nicht aus. Auch hier ist das Selbstverständnis des Diözesanrats entscheidend für D.: weil dieser in eigener Verantwortung und unabhängig tätig sein möchte und gar nicht den Willen hat, den Rechtsstatus eines kirchlich kanonischen Vereins zu erwerben. Daraus leitet D. den freien Zusammenschluss gemäß c. 215 ab.
Das gilt auch für den Verein Donum Vitae, der im Zivilrecht begründet ist, und der von den Bischöfen als privater Verein außerhalb der katholischen Kirche qualifiziert wird. In den drei Beispielen handelt es sich um Initiativen der Gläubigen als Laien, deren Freiwilligkeit die Bischöfe respektieren. Diese Initiativen sind nämlich nicht im Rahmen des kanonischen Vereinigungsrechts geregelt. Trotzdem können sie als kirchlich eingestuft werden, unter anderem wegen der Anwendung einiger Rechte der Gläubigen wie beispielsweise Vereinigungen zu gründen und zu leiten (c. 215) oder auch durch eigene Unternehmungen eine apostolische Tätigkeit in Gang zu setzen oder zu unterhalten (c. 216).
D. schließt ihr Werk mit zwei theologisch-kanonischen Kapiteln ab. Das erste davon hebt die Rolle des Heiligen Geistes für das gesamte Volk Gottes hervor sowie das Fehlen eines Widerspruchs zwischen dem Heiligen Geist und der Freiheit einerseits und dem Dienst und den Institutionen andererseits. Das zweite Schlusskapitel widmet sie dem Umgang mit dem Recht in der Kirche. D. entfaltet dazu ein Plädoyer für eine nicht rein positivistische, sondern an den theologischen Grundlagen (Sinn und Zweck) orientierte Rechtsanwendung. Ihr eigenes Werk erweist sich dabei als schönes Paradebeispiel für diese Methode.
Das Werk vertritt verschiedene Interessen. Das Studium des Vereinigungsrechts in der katholischen Kirche, ein Bereich, in dem in der Anwendung auf konkrete Fälle des Öfteren eine gewisse Klarheit fehlt und das nicht oft von Kirchenrechtlern bemüht wird. Die Argumentation wird mutig geführt, denn D. bezieht eine klare Stellung. Das Gewicht, das sie dem Selbstverständnis der Vereine zu­misst, kann jedoch hinterfragt werden: Ist dieses als endgültig entscheidendes Kriterium zur Bestimmung des rechtlichen Status einer Vereinigung angezeigt? Weil die Initiative zur Gründung von den Laien selbst kommt, könnte dieses Kriterium als entscheidend angenommen werden. Allerdings kommt es selten vor, dass die Gläubigen die von ihnen gegründeten Vereinigungen im kanonischen Recht verankern wollen. Ferner sind im Bereich des Vereinigungsrechts zahlreiche Vereine bereits zur Zeit des CIC/1917 entstanden und haben ihre Statuten nicht unbedingt den Neuerungen des CIC/1983 angepasst. Welches Gewicht ist in diesen Fällen dem Selbstverständnis beizumessen?
Einen weiteren interessanten Blickwinkel bietet das Werk im ersten Kapitel zum gemeinsamen und amtlichen Priestertum. Hier wird eine differenzierte Darlegung, gemischt mit einigen Kritikpunkten, zu den beiden Kategorien der Gläubigen und ihrer besonderen Stellung in der Kirche geboten. Interessant ist auch ein Exkurs über die besondere Situation im Bistum Regensburg, mit der Aufhebung des Diözesanrats und der Gründung eines Diözesankomitees durch den Bischof – woraus ein hierarchischer Rekurs und ein Verfahren an der Apostolische Signatur folgte – eine interessante Darstellung der Praxis des Heiligen Stuhls in Beschwerdenverfahren.