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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

339-341

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Stock, Alex

Titel/Untertitel:

Poetische Dogmatik. Schöpfungslehre. Bd. 1: Himmel und Erde.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2010. 360 S. m. Abb. gr.8°. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-506-76897-1.

Rezensent:

Walter Sparn

Alex Stock lässt der Christologie und der Gotteslehre (1995–2007) nun auch eine Schöpfungslehre folgen (in grünem Einband). Deren erster, dem besonderen Interesse der poetischen Dogmatik entsprechend »Himmel und Erde« benannter Teil ist eine Kosmologie, die am Leitfaden der Phänomene »ins Prinzipielle, zu Anfangs- und Grundsätzen« (12) geht. Sie will die hier am tiefsten reichende Krise der neuzeitlichen Theologie aufklären und die Erschließungskraft dieser Denkform für das christliche Bild der Welt als Schöpfung erkunden.
Diese Absicht folgt, wie das Vorwort (7–24) offen sagt, nicht der Tradition der unmittelbaren Verknüpfung der alttestamentlichen Schöpfungsgeschichte mit der christlichen Heilsökonomie, sondern der der (das jeweilige naturkundliche Wissen einschließenden) Auslegung des Hexaemeron (13); der Traktat, der das Sechstagewerk in den aristotelisch-kosmologischen Theorierahmen setzte, muss­te in der Neuzeit in Konflikt mit dem neuen Weltwissen geraten. Der Vf. hält aber weder die Reduktion des Hexaemeron auf ein hermeneutisches Modell (W. Pannenberg) für angemessen noch den Verzicht auf naturwissenschaftliche Bezüge im letzten dogmatischen Kommentar, dem K. Barths (20 ff.). Er setzt vielmehr auf eine Pluralität von Zugängen und fragt je für sich nach den schöpfungstheologischen Potenzialen der »Natur«-Wissenschaften, des Genesis-»Mythos«, des »Credo«, der »Liturgie« und der Rede vom »Kosmos« (21 ff.).
Teil »A. Natur« (25–96) geht mit dem Problem des (asymmetrischen) Dialogs von Theologen mit Naturwissenschaftlern originell um. Unter »De natura rerum« (25 ff.) kontrastiert der Vf. Lukrez’ materialistische Kosmologie mit der Phänomenologie der Natur beim Dichter F. Ponge († 1988). Er springt zu »Darwins Ufer« (33 ff.) und zeigt, wie die Beobachtungen Darwins die artenkonstante Klassifikationsmethode und die ihr zugrunde liegende Schöpfungstheologie durch nicht-teleologische Genealogien sprengte – für Darwin religionsunbedenklich, in E. Haeckels »Stammbaum des Menschen« jedoch weltanschaulich reteleologisiert. Die auch erkenntnistheoretische Aufgabe der Theologie skizziert der Vf. an­gesichts von Kreationismus und »intelligent design« im Rückgriff auf I. Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft (48 ff.). »Galileis Fernrohr« (58 ff.) thematisiert die bibelhermeneutischen Probleme der neuen Kosmologie, die erkenntnisleitende Bedeutung des Mondes im Gegenüber zu religiösen Kulten und zur Poesie (M. Claudius u. a.) und Kunst (C. D. Friedrich, Ph. O. Runge) sowie das technisch-ökonomische Interesse der kosmologischen Umstellung (A. Osiander, 77 f.). Elegant von Galileis Versuch, die »Hölle« bei Dante zu vermessen, zu einer Parabel von F. Stier übergehend, plädiert der Vf. für wissenschaftstheoretische Buße: Gott selbst korrigiert den Schöpfungstraktat des Aquinaten, indem er sich diesem nicht hoch oben und im Allgemeinen, sondern tief unten im Meer hautnah mit dem Leviathan präsentiert. Der Vf. zielt auf eine Hermeneutik der »Glossolalie der Kreatur« im Freundlichen wie im Katastrophischen (»Thomas und die Krake«, 83 ff.).
Teil »B. Mythos« (97–146) legt den priesterschriftlichen Schöpfungsbericht Gen 1–2,4a unter der augustinischen Annahme aus, dass man in diesem »Gebüsch« (97 ff.) verschiedene wahre Ansichten finden kann – Sinnstufen über den historisch-kritisch ermittelten Literalsinn (C. Westermann, O. H. Steck, G. v. Rad) hinaus. Die toledot (100–110) Himmels und der Erde fügen sich einem rigiden worttheologischen Konzept nicht. Der Vf. verbindet das Nachdenken Gottes (Gen 1,26) mit der »Weisheit« und dem »Künstler« der älteren Exegese. In »Werke und Tage« (110 ff.) interessieren Zeitrhythmik und Raumordnung, die Doppelnatur des Lichtes, die Dominien (!) von Sonne und Mond und die Menschen als eine gottesverwandte Art von Erdlebewesen – die »labilste Stelle« der Schöpfung. Der prekäre Sonntag/Sabbat-Verbund wird im Blick auf die Aufhebung der vegetarischen Beschränkung (Gen 9) und auf das Blutvergießen vor der Grabesruhe Christi thematisiert (114.125 ff.). Des Vf.s »eigene Lesart« ist besonders originell, wo er, trotz des ex­-egetischen Eifers gegen eine creatio ex nihilo, die Schöpfung mit Gen 1,1 beginnen, d. h. Gott am Werke sieht, schon bevor er spricht. Das rückt auch die Sintflutgeschichte in eine andere Perspektive und erlaubt (mit P. Ricœur), auch die apokalyptische Endzeiterwartung mit jenen beiden Mythen in einem dynamischen Zyklus verbunden zu sehen (»Anfang und Ende«, 130 ff.).
Die kosmogonische Varianz der Heiligen Schrift und die Entwicklung der Schöpfungslehre zur Dogmengeschichte des Schöpfungsdenkens haben erhebliche Folgen: »C. Credo« (147–146) legt die Bekenntnisformulierung des Apostolikums und des Nicäno-Konstantinopolitanums zugrunde, und zwar, mit K. Barth, in der Perspektive des »ich glaube« – also einer nicht weltbildlichen, sondern fiduzialen Optik auf Himmel und Erde (»Glaube und Sicht«, 147 ff.).
So kann der Vf. in das aus Gottes Freiheit gesetzte »Factum« (150 ff.) auch die invisibilia, d. h. die Engel einbeziehen und auch diabolisch Monströse zur Kreatur in Gottes Hand verkleinern; sein »theologischer Materialismus« schreibt auch die lichtferne Materie und (mit Hiob) das malum physicum dem Schöpfer zu. In jener Optik ist das Schöpferbekenntnis mit dem 2. Artikel verbunden, einer Christologie, in der ein Logos-Apriori der Weltbetrachtung (Weish 11,21) erhalten bleibt, die aber die stoische Immanenz von Deus sive natura bricht; die »rätselhafte kosmische Wunde« wird auch nicht durch Naturerkenntnis als Herrschaftswissen geheilt, sondern durch den gekreuzigten »Gott im Fleisch« (G. Teerstegen, 160 ff.). Auch der 3. Artikel ist integraler Bestandteil einer Schöpfungslehre, die unter dem Titel »Leben« die Unruhe und Sehnsucht im Kosmos als quasi »thermodynamische« Erfahrung analog auf das göttliche Pneuma bezieht (168 ff., mit S. Weil).
In »D. Ritus« (177–253) erreicht der Vf. das wichtigste Praxisfeld. Von zeitgenössischer Dichtung aus- und auf Pythagoras und J. Keplers Weltharmonik zurückgehend fragt er, ob »Klang« (177 ff.) und Rhythmus auch im christlichen Hören auf die Schöpfung präsent ist. Er wird fündig in Gedichten Novalis’ und Eichendorffs, vor allem in den liturgischen Präfationen, dem Sanctus, Te Deum und Gloria: Die Gemeinde stimmt in den Gesang der Himmelswesen und des ganzen Kosmos ein (mit Jes 6, Offb). Der Vf. konzediert, dass sich die christliche Kultmusik im Unterschied zum harmonikalen Denken im Raum des Wortes bewegt, kritisiert aber doch die neu eren Liturgiereformen, die die Engelmusik massiv verdrängen – gegen biblische Evidenz, Dantes »Divina Comedia«, Spielleute Mariens in der Kunst und volksfromme Unbeirrbarkeit (183 f. 190ff.). Der Vf. vermisst schon bei Thomas die Frage Utrum angeli canant? und setzt der strikt funktionalen Angelologie K. Barths nicht nur O. Messiaen entgegen, sondern auch den »Klang«, den D. Bonhoeffer zur gleichen Zeit in seiner Gefängniszelle zu hören vermochte (200 ff.). Schöpfungstheologischen »Gesang« (205 ff.) er­mittelt der Vf. in ästhetisch-ökologischer Lektüre von Ps 104, bei Paul Gerhardt u. a. (213 f.225 u. ö.), in Ps 148, Dan 3,51–90 und im »Sonnengesang« Franziskus’ von Assisi. Mit natürlicher Schöpfungsfrömmigkeit konspiriere die Liturgie im »Sakrament« (225 ff.), z. B. in den Segensprüchen über Brot und Wein. Gegen Reformation und katholische Liturgiereformen (!) betont der Vf. die Dialektik von Schauen und Essen; er sieht die Wandlung als eine Art Schöpfungsakt, die Fronleichnamsprozession als Schöpfungsritual an. Er wundert sich, dass es kein der Schöpfung gewidmetes »Fest« (235 ff.) gibt. Nach einem milden Blick auf die »pastoralfolkloristische« Einführung des evangelischen Erntedankfestes in den katholischen Liturgiehaushalt spürt er in der Osternachtliturgie die Bezüge des neuen Lebens auf die Schöpfung auf: Lesungen Gen 1 und Ps 104, Lichtfeier, Taufwasserweihe (248 ff.). Doch hat die Liturgiereform alle Spuren antiker Naturtheologie getilgt, um der zivilisatorischen Peinlichkeit von Dingmagie aus dem Weg zu gehen (251 ff.).
Teil »E. Kosmos« (255–314) wendet sich den Versuchen zu, »Himmel und Erde« im Ganzen in den Blick zu nehmen und sich ein »Weltbild« (255 ff.) zu schaffen. Die kosmologischen Modellfiguren »Kreis« (257 ff.) und Kugel stellt der Vf. an Platons »Timaios«, der aris­totelischen Physik, aber auch durch Fotos und Kinderzeichnungen (!) dar. Die Verbindung der zyklischen Struktur des Universums mit der Linearität der Schöpfungs- und der Heilsgeschichte führt er in einem englischen Psalter des 13. Jh.s (260 ff.), in der »Bible moralisée«, in der Übermalung ihres Titelbilds durch A. Rainer (271 ff.) und im Bildteppich von Gerona vor Augen (277 ff., Farbtafeln). »Buch und Licht« (285 ff.) wechselt in die Metaphorik der (sinnlichen oder aber mathematischen) Lesbarkeit der Welt. Der anti-newtonianischen, aber pantheistisch gefärbten Farbenlehre J. W. Goethes stellt der Vf. die trinitarische Farbphänomenologie in Runges »Der kleine Morgen« (Farbtafel) gegenüber, wo »transzendenzstrenge Schöpfungstheologie und immanenzfreudige Na­turreligiosität … als im Bild angebahnter, anschaulich evidenter Denkweg« zusammengehalten sind (288 ff., zit. 298; Cé­zanne 198 f.). Das den neuzeitlichen Weltbildumwälzungen entsprechende neue Sujet »Landschaft« (299 ff.), schließt ebenfalls schöpfungstheologische Aspekte ein: die Erfahrung des Erhabenen (E. Burke, I. Kant), der Ambivalenz der Heiligen (R. Otto): C. D. Friedrich, »Mönch am Meer« (307 ff.). Der Vf. sieht diese Linie fortgehen bis zu Mark Rothko, wo die Schöpfungswerke zurückgeführt werden in die präphänomenale Welt des 1. und 2. Schöpfungstages (309 ff.).
Das Buch schließt mit poetischen Zugaben, Nachweisung und einem Namen- (leider keinem Sach-)Register. Trotz einiger Lücken im Blick auf neuere Forschungen (und Druckfehlern): Eine Dogmatik, die in ihrem unverkrampften Stil, ihrer phänomenologischen Kraft und in ihrer weiträumig explorativen Freiheit (auch im Blick auf die reformatorische Tradition) vorbildlich ist – ihren katholisch-liturgischen Konservatismus, der die Kohärenz dieser poetischen Dogmatik begründet, kann man nicht übersehen. Der Rezensent ist neugierig auf des Vf.s zweiten, von der Paradiesgeschichte ausgehenden, anthropologisch orientierten (318) Gang durch die Schöpfungslehre.