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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

331-333

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Sheil, Patrick

Titel/Untertitel:

Kierkegaard and Levinas. The Subjunctive Mood.

Verlag:

Farnham-Burlington: Ashgate 2010. XVIII, 288 S. gr.8° = Transcending Boundaries in Philosophy and Theology. Lw. £ 65,00. ISBN 978-0-7546-1711-2.

Rezensent:

Claudia Welz

Die von Andrew Brown und George Pattison betreute Dissertation von Patrick Sheil vergleicht den Gebrauch des Konjunktivs bei Søren Kierkegaard und Emmanuel Levinas. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht eine Sprachform, die nicht nur Irreales und Hypothetisches, sondern auch Ungewisses und Zweifelhaftes, Mögliches und Erhofftes ausdrücken kann. S. verweist dabei nicht nur auf diverse Werke von Kierkegaard und Levinas, sondern diskutiert diese im Kontext der Schriften von Shakespeare, Adorno, Hume, Schopenhauer, Simone Weil u. a.
Die Reihe von zehn Kapiteln setzt ein mit der Überschrift »Identity and the Subjunctive«. Hier beleuchtet S. das bei beiden Autoren prominente ›als ob‹ in Begriffen wie z. B. (französisch) proximité, worin auf den Akt verwiesen werde, durch den es ist, als ob der Andere nahe wäre, oder (dänisch) Samtidighed, worin die Aufforderung stecke, so zu handeln, als ob man mit Christus gleichzeitig wäre (3). Kierkegaard assoziiere Zeitlichkeit mit Flüchtigkeit, und für Levinas sei Identität ethisch suspekt (17), weshalb beide über den Indikativ hinausgehen und dem Werden vor dem Sein Priorität einräumen, ohne die Fluidität sprachlich festlegen zu können. Deshalb bleibe die Identität von ›Identität‹ fraglich (20–26). Kapitel 2 (»Representing the Seducer«) analysiert Kierkegaards »Tagebuch eines Verführers« und dessen Jonglieren mit Gelegenheiten, dem Virtuellen und dem Vorgestellten. S. sieht eine Analogie zwischen diesen Verführungsstrategien und der Indirektheit ethisch-religiöser Kommunikation (47–50). Unter dem Titel »Interrupting Philosophy: The Complaint about Knowledge« widmet sich Kapitel 3 dem Verhältnis von Glaube und Wissen, Zweifel und Skeptizismus. Der Konjunktiv bezeichne oder beweise die Dinge nicht einfach, sondern ziele auf sie mit einem Zögern (58.63) bzw. einer Hoffnung wider alle Hoffnung (65). So werde der Name ›Gott‹ bei Levinas und Climacus der totalisierenden Tendenz der Ratio zum Trotz zu einem Platzhalter (69). Kapitel 4 (»Transcendence and Negativity«) befasst sich mit der Opposition von unendlicher Sehnsucht und objektgerichtetem Bedürfnis in der Liebe und einer Transzendenz ohne Rückkehr zu sich selbst, z. B. in Levinas’ autrement qu’être. Ist die Sehnsucht ihre eigene Erfüllung, ist sie S. zufolge gerade nicht konjunktivisch (85). Kierkegaards Rede vom verweigerten Wunsch als vollkommene Gabe dagegen führt S. auf die Dynamik des Konjunktivs zurück (92) und grenzt diesen »divine masochism« von gewöhnlichem Masochismus ab (95). Kapitel 5 (»The Moodiness of the Subjunctive«) beschreibt die Stimmung, in der der Konjunktiv gebraucht wird und die Wirklichkeit wieder in Möglichkeit transformiert wird. S. stellt heraus, dass die Kontrolle bzw. Verwandlung der Stimmung sowohl in Kierkegaards ästhetischen als auch in seinen erbaulichen Schriften zentral ist (103). Auch in Levinas’ nüchternen Darstellungen herrschen bestimmte Stimmungen vor, etwa in den Beschreibungen von Schlaflosigkeit, Scham und Übelkeit (104). Die selbsterschließende Qualität der Angst und die Verbindung von Tod und Ernst bei Kierkegaard wird mit Seitenblick auf Heidegger erhellt (119–122).
Ab Kapitel 6 (»The Accusation of Ethics«) konzentriert sich S. auf ethische Fragen. Wie Levinas den Akkusativ betont, so Kierkegaard die Vereinzelung durch das Angeklagtsein. Für beide spiele die Pflicht, einander in der Liebe Schuld zu bleiben, eine entscheidende Rolle (130). Das Konjunktivische der Anklage sei die Hoffnung auf Freispruch sowie die Herausforderung, so zu handeln, als wäre der Andere zur Stelle und zeigte auf mich (133). Die Anklage erfordere, dass ich mir vorstelle, angeklagt zu sein, und sei endlos, sofern sie keine eingrenzbare Sünde identifiziere (134). Kierkegaards Idee, dass alle Dinge zu guten Gaben werden, wenn sie mit Dankbarkeit empfangen werden, sei konjunktivisch, sofern Schmerz erst dann zum Geschenk wird, wenn er empfangen wird, als wäre er es (137). S. schlägt überdies vor, Unschuld und Sünde in Kierkegaards Begriff Angst konjunktivisch zu verstehen, nicht als Urteile über den faktischen Zustand eines Individuums (148–151). In Kapitel 7 (»Working through Love: The Subjunctive Hopes All Things«) wendet sich S. dem auf den Indikativ hinzielenden Konjunktiv des ›So sei es!‹ zu. Liebe enthalte bei Kierkegaard die wider den Augenschein bewahrte Hoffnung, dass der geliebte Mensch das Gute in sich hat (155), wodurch es hervorgeliebt wird. Somit wird das Sehen des Unsichtbaren zum konjunktivischen Konzept. Kapitel 8 trägt den Titel »Freedom«. Ob eine Person in Freiheit gehandelt hat, entscheide sich an ihren Alternativen, an dem, was sie auch hätte tun können, d. h. am Potentialis (175). S. verteidigt Determinismus im Sinne des Bestimmtseins durch die Kräfte des Möglichen (183), wobei für die Reue Raum gelassen wird – ›hätte ich bloß x getan‹ (188). Um Menschen befreien zu können, sei ein zu künftigen Taten ermächtigender konjunktivischer Indikativ vonnöten (›du hast die Kraft …‹) (191). Levinas’ Idee einer der Freiheit vorausgehenden Verantwortung wird ebenfalls von der Zukunft her gedeutet (192 f.). Kapitel 9 zu »Suffering, Faith and Forgiveness« illustriert an Kierkegaards Beispiel der Frau, die sanftmütig das problematische Verhalten ihres Mannes (er)trägt, das Ineinander von Indikativ und Konjunktiv: Durch die Frau werde der Indikativ der (in den Augen anderer höchstens konjunktivischen) Güte ihres Mannes ans Licht gebracht (211). Werde ein Feind geliebt, sei es, als wäre er nie ein Feind gewesen; werde ihm verziehen, sei es, als hätte er sich nie vergangen. Dergleichen konjunktivische Manöver wirken subversiv (214–221). Der Konjunktiv der Rache dagegen sei an die Weigerung gebunden, den Indikativ des Anlasses hinter sich zu lassen (224). Kapitel 10 (»Concluding With the Unscientific«) unterstreicht die Ambivalenz des Konjunktivischen. Wie die Rache könne auch die Verzeihung schaden, oft einem Dritten (231 f.). S. gibt zudem eine Übersicht über die besprochenen Konjunktive: 1. Handeln, als ob das Leid des Anderen mir Gebot wäre, ihm zu helfen, 2. Sich-in-die-Lage-des-Anderen-Versetzen, als wäre ich selbst an seiner Stelle, 3. Annehmen, dass das Getane nicht genug ist, 4. Glauben als Warten auf das noch ungewisse, unsichtbare Kommende (234–245). S. kommt zum Schluss, dass wir selbst entscheiden müssen, wann wir etwas konjunktivisch interpretieren wollen; Kierkegaard und Levinas wollen so gelesen werden, als ob wir sie nicht für unsere Entscheidungen brauchten (249 f.). Soviel zum Inhalt des Buches.
Kritisch lässt sich anmerken, dass S. leider den Stand der internationalen Diskussion ignoriert und andere, Kierkegaard und Levinas vergleichende Werke mit keinem Wort erwähnt. Auch sucht man vergeblich nach einer Einführung in die Problemstellung, einer Erklärung der Vorgangsweise und einer Methodenreflexion. S. eröffnet sein Buch mit rhapsodischen Bemerkungen und versäumt es, den Zusammenhang der zehn Kapitel explizit zu machen. Durch eine stärkere Systematisierung und weitere textnahe Interpretationen hätte das Buch an Klarheit und Tiefe gewinnen können. Die Gedanken der vielen ›nebenbei‹ herangezogenen Autoren werden oft nur in einem einzigen Satz angedeutet und in Formulierungen gekleidet, die Kenner erfreuen mögen, Uneingeweihten jedoch verschlossen bleiben. Dennoch enthält S.s Buch hellsichtige, überraschende Beobachtungen und Gedanken we­ckende Argumente, die der Forschung zugute kommen werden.