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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

329-330

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Neininger, Rosemarie

Titel/Untertitel:

Welt verstehen – an die Schöpfung glauben. Zum Dialog zwischen physikalischer und theologischer Weltdeutung.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2010. 301 S. gr.8° = FUGE. Journal für Religion und Moderne, 5. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-506-76937-4.

Rezensent:

Hans-Dieter Mutschler

Wer in der Philosophie oder Theologie arbeitet, sollte sich entschließen, ob er systematisch oder historisch vorgehen möchte. Zwar muss auch der Systematiker über einiges an historischer Kenntnis verfügen, sind doch beide Wissenschaften historisch geprägt, gleichwohl wird der Akzent in beiden Fällen irgendwo anders liegen und man findet daher selten den Fall, dass eine Untersuchung historisch ebenso getreu ist wie systematisch erhellend oder sogar originell.
Die Arbeit von Rosemarie Neininger über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie ist primär historisch. Sie referiert getreulich über die Autoren, die in diesem Feld von Bedeutung sind, also über Pierre Teilhard de Chardin, Karl Rahner, Wolfhart Pannenberg, Arthur Peacocke, John Polkinghorne, George Coyne, Karl Schmitz-Moormann, Michal Heller und über viele andere. Auf dem Hintergrund breiten, positiven Wissens stellt sie große Physiker dar, wie Max Planck, Niels Bohr, Werner Heisenberg oder Carl-Friedrich von Weizsäcker.
Man stellt sich als Leser dieses Buches jemand vor, der die Naturwissenschaft-Theologie-Debatte nicht kennt, sich aber einen Überblick verschaffen möchte, oder man stellt sich einen Leser vor, der zwar diese Debatte kennt, sich aber über einen Autor in erster Näherung informieren möchte, der ihm bisher entgangen war. Würde das Buch ausschließlich den Zweck verfolgen, in diesem Sinn sachhaltig zu informieren, so könnte es uneingeschränkt empfohlen werden und auch die Kritik, die ich unter systematischer Hinsicht üben will, wird eine solche Empfehlung nicht zurücknehmen müssen.
Es ist gewissermaßen nur ein Schönheitsfehler, dass die Vfn. die zu Beginn genannte Alternative nicht klar zugunsten des historischen Referats entschieden hat, denn eigene systematische Gedanken zum Spannungsfeld Naturwissenschaft – Theologie werden eher angedeutet als entwickelt. Ebenso die Kritik der dargestellten Positionen. Sie fällt meist sehr verhalten aus oder unterbleibt ganz, wie im Fall von Weizsäckers.
Die Vfn. deutet an, dass man bezüglich dieses Spannungsfeldes ohne Philosophie nicht auskommen werde. Einer der Gründe liegt darin, dass Naturwissenschaft nach Karl Rahner von der Methode her ›atheistisch‹ ist. Sie erklärt die Welt »etsi Deus non daretur«. Aber wenn das so ist, dann kann man mit der Vfn. nicht die Auffassung des katholischen Priesters und Physikers Michal Heller teilen, wonach die Physik in ihren Formeln den Plan Gottes enthält. Aus demselben Grund könnte man dann nicht Alexander Ganoczys Auffassung der Chaostheorie teilen, die nach ihm statt der Philosophie als vermittelnde Instanz herangezogen wird. Tatsächlich versteht Ganoczy – man muss es deutlich sagen – nichts von Naturwissenschaft, sondern er zitiert immer nur gewisse populärwissenschaftliche Schriften, die das Niveau philosophischer und wis­senschaftstheoretischer Reflexion beträchtlich unterschreiten. Auch die Vfn. zitiert sehr viel populärwissenschaftliche Literatur zuungunsten echter Philosophie und Wissenschaftstheorie (die ganz ausfällt). Das würde man sich in einem bloß beschreibenden Buch wohl gefallen lassen, nicht aber in einem Buch, das dann doch auch systematisch Position beziehen will.
Weil diese Kritik aber nur einen geringen Teil des Buches betrifft und weil der größere Rest – wie gesagt – sehr nützlich sein könnte, sei abschließend noch eine Stärke des Buches erwähnt, die mancher als Schwäche auslegen könnte, die mannigfachen Bezüge nämlich auf Zeitungsartikel oder auf Zeitschriften, die nicht im engeren Sinn zur Fachwissenschaft gehören. Sollen Philosophie und Theologie nicht zu esoterischen, rein innerakademischen Veranstaltungen herabkommen, dann sollte es auch sonst erlaubt sein, solche Bezüge in ›seriösen‹ Arbeiten heranzuziehen.