Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2011

Spalte:

322-324

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Waap, Thorsten

Titel/Untertitel:

Gottebenbildlichkeit und Identität. Zum Verhältnis von theologischer Anthropologie und Humanwissenschaft bei Karl Barth und Wolfhart Pannenberg.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. 575 S. gr.8° = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 121. Geb. EUR 100,95. ISBN 978-3-525-56949-8.

Rezensent:

Rebekka A. Klein

Die in Marburg als Dissertation verfasste Arbeit von Thorsten Waap bringt die theologische Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen mit spätmodernen Identitätstheorien ins Gespräch. W. geht davon aus, dass die Vorstellung des Menschen als Ebenbild Gottes im Zuge von Religionskritik und Säkularisierung ihre Re­-levanz verloren habe; demgegenüber sei der Identitätsbegriff für die zeitgenössische Anthropologie zentral, da er seine Dekonstruktion durch die postmoderne Philosophie überlebt und zudem den Gott­ebenbildlichkeitsgedanken, der den Menschen aus seiner Be­ziehung zu Gott heraus bestimmt, an entscheidender Stelle beerbt habe: Der Identitätsbegriff sei ebenfalls ein relationaler Begriff, welcher formal die Einheit von Subjekt und Objekt unter Einschluss von Differenz fasst, und darin sowohl Kontinuität als auch Diskontinuität des menschlichen Wesens betone. In seiner formalen Gestalt sei er prinzipiell für eine theologische Deutung des Menschen offen bzw. könne als deren Äquivalent gelten.
W. zeichnet daher in einem 1. Teil der Studie Abstieg und Aufstieg von Gottebenbildlichkeit und Identität in der Moderne nach und formuliert als Anfrage an die theologische Anthropologie, wie Identität als authentische Subjektivität aus der Gottesbeziehung heraus ermöglicht werden kann. Diese Frage sucht er im 2. Teil der Studie im Gespräch mit den Entwürfen von K. Barth und W. Pannenberg zu beantworten und ›scheitert‹ an deren fehlender Offenheit für den spätmodernen Identitätsbegriff. Das nötigt ihn im 3. Teil der Studie, eine eigene theologische Deutung des Identitätsgedankens vorzulegen, die auf die Formel ›Gottebenbildlichkeit als Anerkennung fragmentarischer Identität‹ gebracht werden kann.
Im Untertitel der Studie ist im Zusammenhang mit den Hauptbegriffen von einer Verhältnisbestimmung zwischen Theologie und Humanwissenschaft die Rede. Dies könnte zu der Annahme verleiten, W. würde einen Dialog mit empirischen Disziplinen führen, was jedoch nicht der Fall ist. Vielmehr beschränkt er seine interdisziplinäre Auseinandersetzung neben den philosophischen (D. Henrich) auf die bereits vielfach rezipierten sozialpsycholo­gischen und soziologischen Theorien zur Identität (E. H. Erikson, G. H. Mead). Der ›humanwissenschaftliche‹ Teil der Arbeit ist zu­dem weniger als 100 Seiten stark. Demgegenüber sind die Über­-legungen zur theologischen Anthropologie etwa dreimal so lang. Letztere bestimmt W. als eine »Kontaktdisziplin« (465), deren Aufgabe es sei, das christliche Menschenbild im Gespräch mit aktuellen nicht-theologischen Anthropologien zu erhellen. Seine Studie reiht sich damit ein in das Spektrum derjenigen theologischen Entwürfe, die von einem Erfahrungsdefizit der gegenwärtigen theologischen Anthropologie ausgehen und dieses durch die Integration humanwissenschaftlicher Erkenntnisse kompensieren wollen.
Wie gestaltet sich aber die Integration konkret? W. spricht sich dafür aus, Humanwissenschaft als »neutrale« Theorie zu rezipieren (27.467), um sie nicht vorab theologisch zu funktionalisieren, wie dies etwa in der Sünden- und Entfremdungstheologie von G. Schneider-Flume geschehen sei. Dieses Argument ist jedoch in der Folge mit zwei Problemen behaftet:
Zum Ersten verfolgt W. selbst die Strategie, nicht auf Begrenztheit und Scheitern menschlicher Identitätssuche, sondern auf deren größere Weite und Freiheit vor Gott hinzuweisen. So richtig es nun ist, eine einseitig sündentheologisch ansetzende Anthropologie zu vermeiden, so sehr ist aber auch das Gegenteil verfehlt. W. nimmt die hermeneutische Pointe der dogmatischen Begrifflichkeiten nicht auf: Er gebraucht sie alternativ und nicht kritisch-unterscheidend im Hinblick auf menschliche Phänomene. Zum Zweiten wird ihm die postulierte Neutralität der nicht-theologischen Anthropologien zum Vorwand, um diese unhinterfragt zu übernehmen und ihnen gegenüber nicht dieselbe kritische Haltung an den Tag zu legen wie gegenüber den theologischen Entwürfen. Er sucht den Begriff ›Identität‹ daher nicht empirisch oder phänomenologisch, sondern begriffslogisch und subjektivitätstheoretisch zu klären und reflektiert nirgends auf die Rolle der Philosophie im interdisziplinären Ge­spräch oder diskutiert kritisch deren Erfahrungsverständnis. Es tut sich hier der Verdacht auf, dass er den Anspruch auf größeren Erfahrungsreichtum durch den Einbezug der Humanwissenschaft nicht selbst einlösen, sondern lediglich instrumentalisieren möchte, um zwei große theologische Anthropologien des 20. Jh.s zu kritisieren.
Die Positionen von Barth und Pannenberg werden dementsprechend von W. auf die Alternative einer Anthropologie von oben und von unten gebracht, die zumindest Pannenberg selbst in dieser Form explizit zurückgewiesen hat. Letzterem wird dann aber auch der Ansatz von unten wieder abgesprochen, da er sich nirgends auf das konkrete Selbstverständnis des Menschen eingelassen, sondern dieses im Vorgriff auf den Begriff der Person zügig übersprungen habe. W. kommt zu dem Schluss, dass mit beiden Positionen interdisziplinär kein Gespräch möglich sei, da sie in sich abgeschlossene Systemeinheiten darstellen. Die nicht-theologische Anthropologie werde von ihnen nur als »Lieferant des Materials für den gestaltenden Theologen« (475) in den Blick genommen, was zur Folge hat, dass ihre Vorstellungen von der Identitätssuche des Menschen deren fragmentarischem Charakter nicht gerecht werden können. In kritischer Abgrenzung zu Barth und Pannenberg sucht W. daher im Schlussteil der Arbeit eine eigenständige Antwort auf seine Ausgangsfrage nach einer theologischen Integration des spätmodernen Identitätsdiskurses zu geben. Konzeptionell verspätet wird hier der für die sozialphilosophische Identitätsdebatte so zentrale Anerkennungsbegriff eingeführt, den W. zwar mit Ricœur und Levinas für seinen Alteritätsbezug zu öffnen sucht, ihn jedoch mit Pannenberg hegelianisch wendet, indem er ihn eschatologisch mit einer Überwindung der letzten Negation von menschlicher Identität im Tod gleichsetzt (557). Daneben zeigt W. auf, welche theolo gischen Vorentscheidungen es Barth und Pannenberg möglich machen, die Vielfalt humanwissenschaftlicher Forschung auszublenden. Ihr Erfahrungsdefizit sei zu korrigieren, indem der Mensch Jesus, den die biblischen Texte als »sperriges Phänomen« präsentieren (485), in den Blick genommen und darin das Prinzipiendenken der Christologie überwunden wird.
Irritierend ist die erfahrungstheologische und phänomenologische Kritik an Barth und Pannenberg im Schlussteil der Arbeit vor allem, da W. im 1. Teil völlig unkritisch ein Verständnis von Humanwissenschaft voraussetzt, das auf ihren Beitrag zum philosophischen Diskurs und nicht auf ihre empirischen Erklärungen oder phänomenologischen Beschreibungen abzielt. Hier tut sich eine gewisse Inkonsistenz der Gesamtargumentation auf, da im Hinblick auf Humanwissenschaft und Theologie mit zweierlei Maß gemessen wird.
Die Aufmerksamkeit des Lesers für die eigentliche Pointe der Studie wird zudem dadurch überbeansprucht, dass W. zwei nicht ganz deckungsgleiche Anliegen zu­gleich zu verwirklichen sucht: eine methodologische Kritik zweier theologisch-anthropologischer Entwürfe des 20. Jh.s und eine humanwissenschaftlich fundierte Aktualisierung des christlichen Gottebenbildlichkeitsgedankens.
Nichtsdestotrotz ist die Studie für jeden, der nach einer klaren Positionierung im Feld der theologischen An­thropologie sucht, mehr als lesenswert. Sie vereint eigenständige Beobachtungen mit umfangreichen theologiegeschichtlichen Re­konstruktionen und ist reich an weiterführenden Überlegungen. Formal bleibt anzumerken, dass gerade bei einer so ausführlichen Studie ein Sachregister für den Leser von Nutzen gewesen wäre.