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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

316-318

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Andreae, Johann Valentin

Titel/Untertitel:

Rosenkreuzerschriften. Bearb., übers., komment. u. eingel. v. R. Edighoffer.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2010. 544 S. m. Abb. kl.8° = Johann Valentin Andreae Gesammelte Schriften, 3. Lw. EUR 254,00. ISBN 978-3-7728-1429-7.

Rezensent:

Martin Brecht

Die Andreae-Edition schreitet derzeit erfreulich zügig voran. Nachdem in diesem Jahr bereits die Sozietätsschriften angezeigt werden konnten, ist nunmehr mit den Rosenkreuzerschriften der Band erschienen, auf den sich das stärkste Interesse richten dürfte, war doch die Autorschaft dieser Publikationen teilweise geheimnisvoll verhüllt, ihre Wirkung hingegen überraschend groß. Die von Richard van Dülmen besorgte Ausgabe der drei Rosenkreuzerschriften (Stuttgart 1973), mit der man sich bisher behelfen musste, vermochte die Ansprüche an eine wissenschaftliche Edition kaum zu erfüllen. Als Herausgeber der neuen Ausgabe fungiert der Germanist an der Sorbonne Nouvelle, Paris, und ausgewiesene Kenner der Rosenkreuzer Roland Edighoffer, der vor allem mit seiner zweibändigen Thèse Rose-Croix et Societé Idéale selon Johann Valentin Andreae (1982 und 1987) und mit seiner Andreae-Bibliographie im Biographischen und Bibliographischen Lexikon die neue Andreae-Forschung engagiert und führend mitgeprägt hat.
Als die ursprünglichen Rosenkreuzerschriften gelten die ano­nym erschienene Fama Fraternitatis des löblichen Ordens des Rosenkreutzes an alle Gelehrte und Häupter Europae geschrieben (Kassel 1614), die ebenfalls anonyme Confessio Fraternitatis R. C. (Kassel 1615) sowie die unter Andreaes Namen publizierte Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz Anno 1459 (Straßburg 1616). Da Erscheinungsjahr und Abfassungszeit in keinem Fall übereinstimmen, muss die Einleitung folgerichtig zunächst die Chronologie klären und die Einordnung der Schriften in Andreaes kompliziert verlaufene Biographie vornehmen. Die Darlegungen profitieren dabei von den intensiven buchgeschichtlichen Recherchen Carlos Gillys von der Bibliotheca Philosophica Hermetica, Amsterdam.
1612 wies der kaiserliche Notar Adam Haselmayr aus Heilig Kreuz bei Hall in Tirol, ein Paracelsist und Alchemist, dessen be­wegten Lebensgang Carlos Gilly aufgehellt hat (1994), erstmals darauf hin, dass ihm 1610 eine Fassung der Fama bekannt geworden sei. Haselmayr wusste auch, dass das Original bei dem Tübinger Paracelsisten Dr. Tobias Hess zu finden sei. Die Fama muss schließlich wie danach die in ihr erwähnte Confessio ohne Beteiligung ihres Autors durch paracelsistische Kreise nach Kassel zum Druck vermittelt worden sein.
Die mythische Gestalt des Christian Rosencreutz findet sich erstmals in Andreaes Chymischer Hochzeit. Der Name weist auf das Andreaskreuz mit vier Rosen in den Feldern, das Wappen des Autors, hin. Nach seinen eigenen vagen Angaben soll dieser Text bereits Jahre vor dem Zeitpunkt 1609, nach Vorschlag der Edition um 1605, entstanden sein und würde demnach eine erste Fassung des Rosenkreuzermythos bieten. An dieser Stelle ist die bewegte Vita Andreaes in die Betrachtung einzubeziehen. Nach dem Tod seines Vaters Johannes 1601 war die Familie nach Tübingen gezogen, wo Johann Valentin seit 1602 in der artistischen, seit 1605 in der theologischen Fakultät studierte. 1607 wurde Andreae relegiert, weil ihm die Beteiligung an einem Pasquill gegen die Tochter des württembergischen Kanzlers Matthäus Entzlin angelastet wurde. Ohne Berufschancen brachte er zunächst sein Leben als Hofmeister junger Adliger meist in Tübingen zu, von einigen Reisen abgesehen, bis er 1612 sein Studium doch wieder aufnehmen konnte, das ihn zwei Jahre später ins Pfarramt in Vaihingen/Enz führte. Diese »Pause« ( Mora) in der Biographie ist unter anderem als Entstehungszeit der Rosenkreuzerschriften anzunehmen. Davon geht auch die Edition aus. Andreae befand sich zu jener Zeit in Kontakt mit allerhand Außenseitern. Unter ihnen befand sich eben Tobias Hess (1568–1614), der ihn mit seinen utopistischen, chiliastischen und paracelsistischen Vorstellungen, in denen auch hermetisches Gedankengut mitgeführt wurde, zeitweilig tief beeindruckt haben muss. Ein religiöser Einzelgänger war auch der Jurist Christoph Besold (1577–1638), der Andreae seine reiche, keineswegs nur auf Orthodoxie begrenzte Bibliothek öffnete. Die Annahme der älteren Forschung, dass Hess und Besold als Co-Autoren der Rosenkreu­zerschriften in Frage kommen, wird gleichwohl nicht zutreffen und wird auch vom Herausgeber nicht geteilt, obwohl Andreaes erweisliche Nähe zu Hess betont wird. Es ist von Andreas alleiniger Verfasserschaft auszugehen, die freilich für die Fama und Confessio noch zu erhärten ist.
Die Edition bietet nach dem Text jeweils die Varianten der alten Drucke. Das trägt zwar nicht allzu viel aus, aber bei einem umstrittenen Text ist solche Sorgfalt wohl angebracht. Die nachfolgenden Sacherklärungen erläutern kompetent die hermetischen Probleme oder auch Interpretationsfragen, sind freilich nicht immer stringent oder eben, wie gerne bei derartigen Texten, hypothetisch. Auf erhellende Parallelen in anderen Schriften Andreaes weiß der Herausgeber kundig hinzuweisen. Lateinische Passagen werden übersetzt.
Wie in der Erstausgabe ist der Fama die Allgemeine und Generalreformation der gantzen weiten Welt gleichberechtigt vorgeschaltet, obwohl sie nicht von Andreae, sondern aus den Ragguagli des Italieners Traiano Boccalini (gedruckt Venedig 1612) stammt. Der gemeinsame Nenner besteht in dem Stichwort Generalreformation. Die Ragguagli waren Andreae erweislich bekannt, ob er aber die Generalreformation selbst mit der Fama zusammengestellt hat, muss offen bleiben. Die Fama schildert die besondere Bildung von Christian Rosencreutz in Arabien, anschließend seine Sammlung des kleinen selbstlosen Ordens, am Schluss wird das geheimnisvolle Grab des Gründers mit seinen reichen Symbolen beschrieben. Auf die Confessio hat die Fama bereits hingewiesen, allerdings von einer reicheren Textgestalt aus. Die rosenkreuzerische Program­matik bleibt ziemlich allgemein. Die Front gegen die Alchemisten (Heinrich Khunrath) ist deutlich. Geboten wird die lateinische Confessio mit der ihr alsbald beigegebenen deutschen Übersetzung, von der aber nicht sicher ist, ob sie auf Andreae zurückgeht. Die vom Herausgeber und mir zugleich verifizierten dreißig Zitate aus der Confessio in Andreaes Theca Gladii Spiritus (1616), eines der stärksten Indizien für Andreaes Verfasserschaft der Confessio, sind im Apparat vermerkt. Die Chymische Hochzeit ist vom Titel angefangen ein hinreißendes alchemistisches Märchen von der feierlichen und abenteuerlichen Beteiligung des Christian Rosencreutz am Prozess einer Metallverwandlung, das sich als Dichtung auch verbreiteter Hochschätzung erfreute. Der Autor seinerseits hat italienische Motive verarbeitet. Wie der Apparat bestätigt, erweist sich Andreaes Deutsch als nicht ganz einfach und nicht selten erklärungsbedürftig. Der Herausgeber greift dabei meist auf das Mittelhochdeutsche zurück, was aber beim Frühneuhochdeutschen nicht immer aufgeht. Vielfach liegen einfach Suabismen vor, für die es aber des entsprechenden Sprachgefühls bedürfen würde. Die Worterklärungen sind also kritisch aufzunehmen.
Die interessante Textgruppe der Rosenkreuzerschriften liegt ins­gesamt in wissenschaftlich brauchbarer Fassung vor und der Herausgeber kann der Auffassung sein, seine Aufgabe erfüllt zu haben. An dem verbreitungsfeindlichen stolzen Preis ist er ja nicht schuld. Freilich bleibt er bei der Frage, was diese Schriften eigentlich sollten und bedeuten, merkwürdig unschlüssig und verhalten. Die Karten werden nicht auf den Tisch gelegt. Aber damit bleiben, aus welchen Rücksichten auch immer, dringliche Fragen offen. Die Chymische Hochzeit stellt sich, pointiert gesagt, schließlich als eine raffiniert abbrechende Nonsens-Geschichte heraus, wie ihr Held wohl weiß, ein anti-alchemistischer Text, gerichtet gegen die Aktivitäten des Vaters des Autors. Dass dieser seinen Mentor Hess trotz eingeräumter Kritisierbarkeit nichtsdestoweniger in Schutz ge­nommen hat, kompliziert die Deutung. Bei der Fama und Confessio wäre eigentlich zu erwarten, dass der Herausgeber erklärt hätte, warum Andreae die Geschichte später so beharrlich dementierte und sie gegen ein sympathisierendes Publikum nicht mehr gelten lassen wollte. Das kann nur heißen, dass es für ihn inzwischen eine Alternative gab, die in seinen Sozietätsschriften zur christlichen Bruderschaft vorliegt. Was die Rosenkreuzerschriften anbetrifft, habe ich in meiner Andreae-Biographie (2008) Vorschläge gemacht. Dass die Edition darauf nicht reagiert, finde ich neben der Freude über das Vorliegen der Edition enttäuschend.