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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

311-312

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Feldmann, Christian

Titel/Untertitel:

Martin Luther.

Verlag:

Reinbek bei Hamburg: Ro­wohlt Taschenbuch Verlag 2009. 160 S. m. Abb. 8° = Rowohlts Monographien, 50706. Kart. EUR 8,95. ISBN 978-3-499-50706-9.

Rezensent:

Christoph T. Beckmann

Christian Feldmann ist studierter katholischer Theologe und So­ziologe und hat als freier Journalist und Korrespondent u. a. für die »Süddeutsche Zeitung« gearbeitet. Seit 1985 ist er als freier Schriftsteller tätig. Es liegen Biographien aus seiner Feder z. B. über Joseph Ratzinger, Edith Stein, Dietrich Bonhoeffer und Hildegard von Bingen vor.
F. richtet sein Werk – dem Charakter der Reihe gemäß – ausdrücklich an den interessierten Laien und nicht an den »Lutherforscher« (152). Die auf dem Klappentext angekündigten »neuesten Forschungsergebnisse« werden, wenn auch zum Teil etwas einseitig, eingestreut. Überhaupt führt er eine ansehnliche Reihe an Forschungsliteratur auf, stellt die einschlägigen Werkausgaben vor und spart auch eine Übersicht der Filme und Internetquellen zu Luthers Leben und Werk nicht aus (152–157). Zudem enthält das Büchlein eine biographische Zeittafel, ein Namenverzeichnis sowie als Beigabe eine kleine Sammlung von Zitaten über Luther (von Johannes Cochlaeus bis Karl Marx) sowie eine Reihe von Bildern.
Das Buch ist übersichtlich nach gängigen Etappen der theologischen Entwicklung Luthers gegliedert. Sehr gut lesbar präsentiert F. Luthers persönliche Entwicklung, seine Theologie sowie die Einordnung in die Zeit, Gesellschaft und theologische Entwicklung vor Luther. Schwerpunkte der Darstellung liegen sinnvollerweise auf zentralen Schriften und Auseinandersetzungen. Dabei lässt F. den Reformator zitateweise auch selbst zu Wort kommen, wobei die modernisierte Ausdrucksweise etwas vom Charme der Sprache Luthers vermissen lässt. Immer wieder wird per Endnoten auf Forschungsliteratur verwiesen.
Luther ist für F. ein »maßloses Genie« (7). Er möchte in die divergierenden Luther-Bilder Klarheit bringen, äußert allerdings eingangs schon das die Darstellung prägende Interesse, altvertraute Klischee-Vorstellungen kritisch zu hinterfragen und den »Mythos Luther« etwas zurechtzustutzen: Luther habe erstens die Thesen nicht angeschlagen, zweitens habe er nie gesagt: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders« und drittens sei seine Bibelübersetzung mitnichten die Erste gewesen. Auch seine Ablasskritik entspreche »weitgehend traditioneller Theologie und offizieller römischer Lehre« (8). Überschwängliche Sympathie für Luther ist F. ohnehin nicht zu unterstellen, wenn er z. B. Luther in späten Jahren gar als »hasserfüllte[n] Demagoge[n]« (134) erscheinen lässt.
F. spielt häufig das »Reformatorische« der Theologie Luthers herunter und hebt dafür seine mittelalterliche Herkunft hervor. Während der Klosterzeit wird besonders die Prägung durch Staupitz als Zentralfigur einer frühen Reformationsbewegung aufgezeigt, in die Luther einzuordnen sei, was sich allerdings in dieser Klarheit nicht als Konsens der Lutherforschung beschreiben lässt. Dass die Gnade im Ablasswesen zum Geschäft geworden wäre, sei jedenfalls nur ein Eindruck der Öffentlichkeit gewesen, theologisch sei der Ablass nicht umstritten gewesen. Wie auch, möchte man fragen, wenn dieses Problem theologisch gar nicht reflektiert wurde. In der vorreformatorischen Christenheit sei nicht alles schlecht und verkommen gewesen, bemerkt F. weiter, und der »re­-formatorische Durchbruch« sei alles andere als neu gewesen, die Bibelübersetzung ebenfalls nicht. Und auch die die Gemeinde in den Gottesdienst einbeziehende Lieddichtung Luthers habe eine Fülle von Vorläufern.
Innerhalb der detaillierten Darstellungen der Entwicklung der Theologie Luthers zeigt F. doch einige Unschärfen. Dass Luthers Botschaft den Bauern ihre Abhängigkeit von der Grundherrschaft deutlich gemacht habe, lässt sich kaum belegen; dass Luther die Bauern nicht mochte, weil er aus einer privilegierten Schicht stammend deren Probleme nicht kannte, ist arg verzeichnet. Luthers sicher zu kritisierende Haltung im Bauernkrieg wird nicht recht in seiner Theologie verortet, sondern schlicht verurteilt. Dass innerhalb der »Zwei-Reiche-Lehre« das eine Reich von Gott, das andere vom König oder Fürsten regiert werde, verkennt gerade den Kern dieses Modells und seine Weiterentwicklung gegenüber dem mittelalterlichen Bild der zwei Reiche. Luthers Predigttätigkeit wird leider nur sehr wenig beleuchtet, und dass er »gern lateinische Brocken« in den Text einmengte – da vorliegende Mitschriften so gestaltet sind –, wird wohl keiner mehr behaupten wollen. Eine Darstellung des Abendmahlsstreits mit Zwingli fehlt weitgehend.
Luther wird so zwar kenntnisreich, aber tendenziös dargestellt: als ein nicht sehr origineller Reformer der mittelalterlichen Kirche, über deren Theologie er häufig gar nicht hinausgeht. Das nutzt F. zu einer ökumenischen Vereinnahmung, die die Entwicklungen in der römisch-katholischen Kirche als sehr reformatorisch darstellt: Das Vaticanum II trage z. B. zur Verwirklichung der Visionen Luthers bei und die »Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre« dokumentiere Einigkeit in dieser Frage. Ob die Spekulation über eine mögliche Rehabilitierung durch den zum römischen Papst gewählten Joseph Ratzinger wirklich verdient hat, eine Darstellung des Reformators zu beschließen (141), möchte ich zuletzt bezweifeln.
Insgesamt bietet F. ein zur vorwissenschaftlichen Erschließung des Reformators zwar ausreichend Material an die Hand gebendes und gut geschriebenes, aber doch in seiner Tendenz gerade für das angesprochene Publikum interessierter Laien teilweise zu partei­isches Werk.