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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

308-310

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Dingel, Irene [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Justus Jonas (1493–1555) und seine Be­deutung für die Wittenberger Reformation. Red.: J. Hund, H.-O. Schneider.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2009. 228 S. gr.8° = Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, 11. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-02724-8.

Rezensent:

Andreas Gößner

Nach Georg Major und Nikolaus von Amsdorf ist nun ein Band der »Leucorea-Studien« dem Theologen Justus Jonas gewidmet. Damit gerät nun eine dritte wichtige Persönlichkeit der Wittenberger Reformation in den Blick. Waren mit Major noch ein prominenter Schüler und Anhänger Luthers und Melanchthons und mit Amsdorf ein früher Vertrauter Luthers und späterer Förderer gnesio­lutherischer Positionen wissenschaftlich gewürdigt worden, so wird nun einem der engsten Mitarbeiter Luthers und Melanchthons in Wittenberg Aufmerksamkeit geschenkt. Mit größerer zeitlicher Verzögerung bündelt der Sammelband den Ertrag einer »Wittenberger Frühjahrstagung« vom März 2003.
Eröffnet wird der Band von dem im letzten Jahr verstorbenen Leipziger Reformationsgeschichtler Helmar Junghans, der sich mit den Beziehungen des Jonas zu den Erfurter Humanisten befasst. Der frühe Lebenslauf des 1493 in Nordhausen geborenen Jonas wurde wesentlich geprägt durch die humanistischen Zirkel an der Universität Erfurt, an der er sich 1506 immatrikuliert hat. Nach dem Erwerb des Magistergrades wechselte er 1511 vorübergehend nach Wittenberg, um dann 1515 wieder zurückzukehren, bevor er 1521 als Propst des Allerheiligenstifts langfristig in Wittenberg blieb. Für die Erfurter Jahre bezeichnend ist der Einfluss der Humanisten Konrad Mutianus und Helius Eobanus Hessus auf Jonas, von deren Bildungshunger und poetischen Ambitionen er angeregt wird. Die sorgfältig durchgeführte Analyse von Jonas’ Briefwechsel lässt erkennen, wie die Erfurter Humanisten Jonas »humanistische Wissenschaftsmethode und Bildung vermittelt und ihn über ihre Erasmusbegeisterung dem Bibelhumanismus zugeführt« (37) haben. Dadurch wurde auch sein Weg zur Reformation geebnet.
Der Beziehung des Jonas zu Erasmus geht Christian Peters in seinem Beitrag nach, wobei die Phasen dieser Verbindung vom ersten Kontakt ab 1518 dargestellt werden. Der glühende Erasmianer, der Jonas noch beim Weggang aus Erfurt war, wurde 1521 zum Anhänger Luthers, was Erasmus mit Skepsis aufnahm. Der Streit um die Willensfreiheit zwischen Luther und Erasmus, in dem Jonas die Übersetzung von Luthers Schrift übernahm, führte zum Bruch mit dem einstigen Idol, wenngleich Jonas auch später noch seine Hochschätzung für Erasmus zum Ausdruck bringt.
Heinz Scheible beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Jonas und Melanchthon in vier Lebensphasen des Jonas. In der 20-jährigen Wittenberger Phase lassen sich sachliche Übereinstimmung und freundschaftliche Beziehung zwischen beiden anhand der gemeinsamen Kommissionstätigkeit und der Korrespondenz belegen. Auch in den Phasen der Wirksamkeit des Jonas in Halle (1541–46), während des Schmalkaldischen Krieges und der letzten Lebensphase des Jonas in Coburg, Regensburg und Eisfeld riss der Briefkontakt zwischen beiden nicht ab.
Eike Wolgast geht in seinem Beitrag der Frage nach den Ursachen des Ausscheidens von Jonas aus dem Wittenberger Reformatorenkreis nach. Insbesondere wird das Verhältnis zwischen Luther und Jonas, seine Teilhabe an der Gruppenbildung der Wittenberger Theologen und seine Loslösung von Wittenberg thematisiert. Ab­schließend wägt Wolgast die Bedeutung des Weggangs von Jonas nach Halle aus verschiedenen Perspektiven ab. Wünschenswert wäre bei diesem Beitrag eine Harmonisierung von widersprüchlichen bzw. deutlich anders akzentuierten Angaben zu den vorstehenden Beiträgen gewesen (Einschätzung der Berufung des Jonas zum Propst des Allerheiligenstiftes, 88 f./35; Problem der Verfasserschaft des Berichtes über Luthers Wormser Auftreten, 89/47; Frage der dänischen Zahlungen, 94/79).
Waren die ersten Beiträge unter der Überschrift »Kontexte und persönliche Beziehungen« subsumiert, so ist der zweite Teil des Bandes unter den Leitbegriffen »Theologie und Kirchenorgani­sation« vereinigt. Den Anfang macht der Beitrag von Robert Kolb über die Theologie des Jonas, der unter der Eingangsthese steht: »Without teams, no Reformation.« (103) Eingangs beleuchtet Kolb das Wittenberger Theologenkollektiv, um dann nach Jonas’ spezifischem Beitrag zu fragen. Die Antwort findet Kolb in seiner vielfach gerühmten Predigttätigkeit, seiner langjährigen Wirksamkeit als Dekan der Theologischen Fakultät, seiner Visitatorenfunktion und der Rolle als Luthers Seelsorger. Bei den Übersetzungen von Luthers und Melanchthons Werken akzentuiert Jonas durchaus, ohne jedoch ein individuelles Profil erkennen zu lassen. So er­schöpft sich Jonas’ theologisches Wirken in der Verbreitung und vertiefenden Überzeugungsarbeit im Sinne der Wittenberger Theo­logie, was sowohl für seine Auftragsarbeiten, für situationsbezogene Veröffentlichungen und für seine polemischen Werke gilt. Der Aufsatz von Volker Gummelt schließt hier an und geht der Lehrtätigkeit des Jonas in Wittenberg nach. Daraus entstanden ist u. a. sein Kommentar zur Apostelgeschichte (1524), der eingehend un­tersucht wird.
Die Frage nach den Quellen und Vorlagen weist vielfach auf Luther hin, was Jonas als »ein[en] lutherische[n] Bibelexeget[en] par excellence« (130) erscheinen lässt. Ute Mennecke würdigt die Übersetzungstätigkeit des Jonas am Beispiel von Luthers Willensschrift 1525 und beleuchtet die Intention der 1526 erschienenen Übersetzung, die der Auseinandersetzung zwischen Luther und Erasmus größere Publizität bescherte. Die Übersetzung verstand sich gleichsam als kommentierendes und konkretisierendes Werk, bei dem Jonas’ beachtliche Fähigkeit zur sprachlichen Differenzierung an den Tag kommt. In der rationalisierenden Tendenz der Übersetzung, die die polemischen Spitzen abmildert, sieht Mennecke eine »kongenial[e]« (143) Leistung des Jonas.
Heiner Lück befasst sich mit der Rolle von Jonas für die Neuordnung der reformatorischen Kirchenverfassung. Dabei setzt er bei den juristischen Kompetenzen an, die Jonas vor seiner Hinwendung zur Theologie 1521 erworben hatte und später noch einbringen konnte. Außerdem widmet sich Lück der Entstehungsgeschichte des Wittenberger Konsistoriums und der kursächsischen Konsistorialverfassung – beides unter Einbeziehung der Rolle von Jonas.
Der dritte Teil des Bandes steht unter der Überschrift »Lebensstationen und Ereignisse« und wird von Siegfried Bräuer eingeleitet. Er stellt die älteste Chronik zur reformatorischen Bewegung in Halle in den Mittelpunkt. Nach Antworten auf die Fragen nach der Entstehungszeit, dem Verfasser, dem Inhalt und der Tendenz dieser Chronik rekapituliert Bräuer besonders die in dieser Quelle geschilderten Verhältnisse in der Saalestadt im zeitlichen Umfeld der Berufung von Jonas, was mit Hinweisen auf Forschungsdesiderate abgerundet wird.
Inge Mager untersucht Tendenzen und Intentionen des Berichtes über das Sterben Luthers, der von Jonas, Michael Coelius und Johannes Aurifaber angefertigt worden ist und als »eindrucksvolle[s] reformatorische[s] Zeugnis« (189) gelten kann.
Armin Kohnle geht der Haltung des Jonas zum Interim und seinem Verhältnis zu Moritz von Sachsen nach. Trotz der Opposition des Jonas gegen Moritz im Schmalkaldischen Krieg bestand keine Gegnerschaft beider in der Interimsfrage, vielmehr unterstützte Jonas dessen kirchenpolitischen Kurs. Daraus resultierte auch die vermittelnde Position des Jonas gegenüber Melanchthon, die jedoch nicht in eine Entfremdung beider mündete.
Den letzten Lebensstationen von Jonas in Coburg, Regensburg und Eisfeld widmet sich Rainer Axmann. Der Beitrag gibt insgesamt ein Bild seiner nachlassenden Fähigkeiten und schließt mit den Zeugnissen der Erinnerung an Jonas an den genannten Orten ab.
Der Band würdigt eine wichtige Persönlichkeit der Wittenberger Reformatorengruppe in vielerlei Facetten; man wird ihn als Kompendium des gegenwärtigen Forschungsstandes gerne heranziehen.