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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

304-306

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Köckert, Charlotte

Titel/Untertitel:

Christliche Kosmologie und kaiserzeit­liche Philosophie. Die Auslegung des Schöpfungsberichtes bei Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa vor dem Hintergrund kaiserzeitlicher Timaeus-Interpretationen.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2009. XV, 626 S. gr.8° = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 56. Kart. EUR 94,00. ISBN 978-3-16-149831-2.

Rezensent:

Barbara Aland

Ziel des Werkes von Charlotte Köckert ist es, »das Verhältnis von christlicher Kosmologie und antiker Naturphilosophie zu bestimmen« (6). Beide Begriffe werden nicht ausdrücklich definiert, aber dadurch festgelegt, dass sie als Auslegungen von bestimmten »Grundtexten« verstanden werden, dem platonischen Timaios einerseits und dem Schöpfungsbericht der Genesis andererseits. Daraus ergibt sich der Aufbau der Arbeit. In einem ersten Teil werden »platonische Kosmologien als Auslegungen des Timaeus« (4) ausführlich dargestellt, nämlich Plutarch, Atticus, Numenius, Alkinoos und Porphyrius (Plotin fehlt, weil von ihm keine Platonkommentare erhalten seien). Quellenbasis des zweiten und Hauptteils sind der Genesiskommentar des Origenes, die Homilien zum Hexaemeron des Basilius und die Apologia in Hexaemeron des Gregor von Nyssa.
Schon der erste Teil, der die kaiserzeitliche Naturphilosophie darstellt, zeigt, dass es hier um weit mehr geht als um »Naturphilosophie«. Faktisch wird zu Recht die gesamte Metaphysik der jeweiligen Autoren erörtert, soweit sie aus den erhaltenen Fragmenten und Zeugnissen zu erheben ist. Das geschieht sachgemäß und informativ mit klugen Feststellungen (z. B. die Abweisung jüdischen Einflusses auf Numenius und die Erörterung des demiurgischen Willens bei Atticus). Es fragt sich dennoch, ob angesichts der verschiedenen hochdifferenzierten Interpretationen mittel- und neuplatonischer Philosophie der letzten Jahrzehnte ein neuer Versuch einer Gesamtdarstellung notwendig war. Dass K. in die Sache eingedrungen ist, glaubt man ihr wegen der ständigen kundigen Vergleiche mit philosophischen Weltentstehungslehren im zweiten christlichen Teil ohnehin. Worum es geht, ist ja, die An­dersartigkeit und Neuheit der christlichen Theologen in ihren Erörterungen von Weltschöpfung und ihrer Ursachen zu beschreiben und zu beurteilen. Dass sie die Philosophen kannten, ist vorauszusetzen und wird im zweiten Teil der Arbeit vielfach gezeigt. Was ist aber »christliche Kosmologie« und wie ist sie begründet? Darum geht es. Die Beschränkung auf die Auslegung der sog. beiden Grundtexte erweist sich dabei als nicht ausreichend und wird auch faktisch zu Recht nicht eingehalten.
Im zweiten und Hauptteil werden für Origenes die Zeugnisse des als Ganzem verlorenen Genesiskommentars einschließlich eines überzeugend neu herangezogenen Fragments zusammengestellt. Bei der Besprechung des Schöpfungsberichtes der Genesis wird deutlich, dass sich Origenes zwar in den zeitgenössischen Bahnen der Kosmologie und ihrer Begrifflichkeit platonischer wie auch stoischer und aristotelischer Herkunft äußert, aber doch strikt von den Vorgaben der ersten Verse der Genesis ausgeht, d. h. von einem Anfang der Welt, nicht von Weltschöpfung als Ausdruck zeitloser, »immer bestehender Begründungsverhältnisse« (Halfwassen), von der Schöpfung durch den einen christlich verstandenen Gott der gesamten Bibel, nicht durch den Demiurgen als Ideenkosmos, von der auf jeden Fall von Gott geschaffenen Materie, und nicht von einem vorgegebenen Substrat, wie die meisten Platoniker.
Das wird alles sorgfältig an den Termini Anfang, Himmel und Erde, Materie, Zeit und Ewigkeit sowie Ende der Welt erörtert und dabei mehrfach überzeugend deutlich gemacht, dass Origenes in eine Sachdiskussion mit den Philosophen nicht eintreten will, sein Gegenüber vielmehr die schon vorliegenden kosmologischen Überlegungen der Apologeten und der Gnostiker sind. In diesem Beziehungsgeflecht wird man dann aber nicht übergehen dürfen, auch nicht wegen der Beschränkung auf den Genesisbericht, dass Origenes die Einkörperung der zuerst gleich geschaf­fenen Vernunftwesen auf deren unbegreiflichen, aus Trägheit und Nach­- lässigkeit geschehenden Abfall von Gott zurückführt. Die Einkörperung und damit die Schaffung der Körperlichkeit ist eine Not- und Strafmaßnahme Gottes, um so den Vernunftwesen die Möglichkeit zu geben, sich ihrer Gottesferne bewusst zu werden und das Verlangen nach Gott neu zu entzünden (princ. 2,9,2.5–7). Weltschöpfung hat nach Origenes in Nachfolge und Korrektur der Gnosis auch mit dem Problem der Sünde, des Bösen und dem von Gott gewährten freien Willen zu tun, und das ist total verschieden von philosophischen Vorstellungen und wäre am ehesten im Ge­gen­über zu Plotin, dem extremsten Gegenpart, darzustellen ge-­wesen.
Für Basilius’ Auslegung des Sechstagewerkes ist das Genus der Homilie ausschlaggebend. Es wird gezeigt, dass der Schöpfungsbericht nach Basilius den Charakter einer »christlich-philosophischen Einführungsschrift« hat, die zum Staunen über die Wunder der einmal, im Anfang, von Gott geschaffenen Welt anleiten, und zeigen soll, dass das »Im Anfang schuf Gott« sämtliche philosophischen Bemühungen über die Weltentstehung als hinfällig erweist oder sogar als deren eigentliche Vollendung verstanden werden kann (340 f.). Mit einer Fülle von »naturkundlichem und naturphilosophischem Material« wird der Hintergrund der Schrift des gebildeten Basilius gut erschlossen. Ein Vergleich mit Origenes wird nicht ausgeführt. Bemerkenswert ist, dass alle für Origenes so charakteristischen Momente, die Erschaffung der vernunftbegabten Wesen vor Erschaffung der Welt (hex. 1,5), die Gestaltung der planvollen Welt zum Nutzen und als Erziehungsstätte der (gefallenen) Vernunftwesen/Menschen (hex. 1,6), die Herleitung des Bösen aus dem Abfall vom Guten (hex. 2,4), auch bei Basilius begegnen, freilich nicht in Origenes’ theologischer Verknüpfung, sondern eingeebnet in eine ermahnende, Anstöße vermeidende Predigt.
Gregor von Nyssa erst beantwortet die bei Basilius offen bleibenden Fragen. Die Entstehungsumstände der Apologia in Hexa­emeron und deren einzelne Auslegungsschritte werden sorgfältig beschrieben und in großer Fülle die Berührungen Gregors mit philosophischen Gedankengängen wie auch seine Abgrenzungen ihnen gegenüber dargestellt. Hier wie in allen vergleichbaren Partien liefert das Buch von K. eine Fundgrube von gelehrtem Mate­rial mit klugen Urteilen zur Literatur (476.487). Die Frage, die das Buch aufwirft, wird im Kapitel über Gregor besonders deutlich, die Frage nach der Vergleichbarkeit von philosophischen und christlich-theologischen Denkbemühungen bzw. nach dem völlig Neuen des Gottes- und Seinsbegriffs der Christen und insbesondere Gregors, in dessen Rahmen allein Schöpfung zu verstehen ist. K. differenziert für Gregor richtig, eher beiläufig zwischen transzendentem Schöpfergott, dessen Wesen unerreichbar ist, und seiner Kraft und Weisheit, die in der Schöpfung wirkt und erkannt werden kann (523).
Wenn aber zwischen Wesen und Wirkkraft Gottes unterschieden werden muss, inwiefern führt dann der biblische Schöpfungsbericht als ein »naturphilosophischer Traktat« von der »Un­tersu­chung der sichtbaren Dinge zur Erkenntnis Gottes« (517)? Welcher Gottesbegriff ist hier gemeint und was ist der häufig genannte »allmächtige Schöpferwille Gottes« in Bezug auf sein Sein? Ein Weiterdenken in den Spuren, die E. Mühlenberg zu Gregor vielfach gelegt hat, wäre hier hilfreich gewesen.
K. hat eine Fülle von Material zu einem großen Thema scharfsinnig aufgearbeitet und damit einen bleibenden Beitrag zur christlichen Weltschöpfungslehre im Einzelnen geleistet. Als Nächstes erhofft sich der Leser von ihr die gelehrte Erörterung eines Specialissimums.