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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

303-304

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Drobner, Hubertus R. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Gregorii Nysseni in Hexaemeron. Opera exegetica in Genesim, pars I.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2009. CXXIII, 105 S. u. 1 Tab. gr.8° = Gregorii Nysseni Opera, IV/1. Lw. EUR 103,00. ISBN 978-90-04-13315-0.

Rezensent:

Franz Xaver Risch

Gregor von Nyssa beweist mit der eindringlichen und gelehrten Auslegung des Schöpfungsberichtes seine Meisterschaft im Aufstellen folgerichtiger Zusammenhänge, indem er den biblischen Begriff für Welterschaffung (Katabolé) als Ausbringen (Katabolé) von Samen und Grundlegung des im Wort Gottes unveränderlich bestehenden materiellen Seins auffasst, das sich in bestimmter Ordnung entfaltet und kreislaufförmig selbst erhält. Anlass seiner wohl immer, verstärkt aber im 20. Jh. bewunderten Abhandlung waren einige kritische Fragen an die Hexaemeron-Homilien seines Bruders Basilius, die Gregor in einer philosophisch-exegetischen Abhandlung beantwortet, um den älteren Bruder zu verteidigen und den jüngeren, Petrus, zu instruieren. In der Überlieferung sah man deshalb in dem Traktat eine Apologie des Basilius, doch ist der auch heute noch geläufige Titel Apologia in Hexaemeron in den ältesten Textzeugen nicht belegt.
Den ersten Versuch einer kritischen Edition hatte der schottische Gelehrte Georges H. Forbes im Jahr 1855 unternommen. Da nicht der gesamte Überlieferungsbestand gesichtet wurde, war die Forschung stets mit der beunruhigenden Frage nach einem sicheren Text belastet. Mit den ersten Vorarbeiten zur Neuedition in der Reihe Gregorii Nysseni Opera (GNO) hatte noch Werner Jäger be­gonnen. Erst Hubertus R. Drobner konnte jetzt die mühevolle Arbeit abschließen. Das Material, das über Jahrzehnte hin durch mehrere Hände gegangen und angewachsen war, stand ihm, wie es scheint, vollständig zur Verfügung. Seine Edition basiert jedoch auf eigenen Kollationen und benutzt die Vorarbeiten »vorwiegend zur Verifizierung der eigenen Ergebnisse« (IX).
D. zählt 59, davon 42 vollständige Kodizes, von denen »praktisch jeder mit jedem Sonderfehler teilt« (LV). Er erklärt dies mit der Alternative, dass entweder bereits vor dem 9. Jh. die Überlieferung sehr reichhaltig war oder von den »Kopisten« philologisch am Text gearbeitet wurde. Letzteres wirft allerdings die Frage auf, wieso Gregors Traktat bearbeitet wird, wenn er inhaltlich nicht oder nur sehr wenig rezipiert wird. Es lässt sich auch in diesem Fall nicht viel Licht ins Dunkel bringen. Immerhin kann D. aus sieben Basilius-Scholien, in denen Gregor exzerpiert ist und die er auf den Seiten XCIX–CIV abdruckt, beweisen, dass die Überlieferung reichhaltiger war, als heute bekannt ist.
Für die Textkritik verwendet D. 14 Handschriften, ein Fragment und die Scholien. Schon Forbes hatte auf beinahe gleich breiter Grundlage gearbeitet. Von seinen elf Handschriften benutzt D. allerdings nur fünf. In der Sigelvergabe folgt er verständlicherweise nicht Forbes, sondern der Konvention in der Gregorii Nysseni Opera. Für die Textkonstitution konnte D. aus der Überlieferung kein eindeutiges allgemeines Kriterium gewinnen. Er sah sich genötigt, die jeweils älteste Handschrift der beiden Hauptgruppen zu bevorzugen, die Kodizes Parisinus Coisl. 253 und Vaticanus gr. 2066 aus dem 9./10. Jh., von denen Forbes nur den ersteren eingesehen hatte, um im Übrigen »aufgrund des Kontextes abzuwägen« (CXIII) und die wahrscheinlichste Variante zu wählen. Die kritische Ar­gumentation aus der Texttradition – an sich die am meisten überzeugende –, ist damit stark eingeschränkt. Vielleicht hätte hier die sy­rische Überlieferung, die jedoch bedauerlicherweise nicht be­- rücksichtigt werden konnte, interessante Aspekte eröffnet. In drei Listen (CXIII–CXXI) vergleicht D. die unterschiedlich signifikanten Abweichungen seines Textes von Migne (337 Abweichungen) und Forbes (119 Abweichungen) sowie die Übereinstimmungen mit Forbes gegen Migne und mit Migne gegen Forbes.
Die angenehme Darbietung des Editionstextes folgt dem hohen Standard der Gregorii Nysseni Opera. Dem verhältnismäßig um­fangreichen Testimonienapparat wurde ein erweiterter Testimonienbegriff zugrunde gelegt. Zusammen mit Bibliographie und sechsfach gegliedertem Register wird so der Forschung ein vorzügliches Instrument in die Hand gegeben. Ein beigefügtes Faltblatt enthält das Stemma, das sich aufgrund der intensiven Vermischung des Textes auf eine chronologisch gegliederte Zuordnung der Kodizes zu Hauptgruppen beschränkt. Sprachlich steht die Arbeit D.s am Übergang von lateinischer, der bisher in den Gregorii Nysseni Opera fast ausschließlich üb­lichen, zu deutscher Editionssprache: Handschriftenbeschreibung und Apparat sind lateinisch, die Praefatio selbst deutsch geschrieben.
D. beschließt die Praefatio mit einem Resümee über den Ertrag der aufwendigen Editionsarbeit und scheint zu bedauern, dass er nicht wie einst Werner Jäger mit der Langfassung von De instituto christiano eine Überraschung bieten kann. Tatsächlich ist die Abweichung von Forbes nicht sehr gravierend. Doch ist es, wie Drobner unter anderem andeutet (CXXIII), überaus wichtig, der Ungewissheit, ob und inwieweit der bisher bekannte Text revidiert werden muss, ein Ende gesetzt zu haben. Die griechische Überlieferung kann nun als gründlich erschlossen gelten.