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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

301-303

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Driver, Lisa D. Maugans

Titel/Untertitel:

Christ at the Center. The Early Christian Era.

Verlag:

Louisville: Westminster John Knox 2009. XVII, 259 S. gr.8° = The Westminster History of Christian Thought. Kart. £ 19,99. ISBN 978-0-664-22897-2.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Nachdem in der Reihe der Studienbücher der Westminster History of Christian Thought der Mittelalter- und der Reformationsband bereits erschienen waren, liegt nun der altkirchliche Teil vor. Verfasserin ist Lisa D. Maugans Driver, die an der lutherischen Valparaiso University in Indiana als Associate Professor of Theology unterrichtet.
Die Bände der Reihe verstehen sich als »accessible introductory studies«; zum Konzept gehört es, dass Verfasser gewonnen werden, die sich nicht unbedingt in der Forschung, sondern vielmehr in der Lehre einen guten Namen gemacht haben (»written by superb teachers«, IX). Inhaltlich liegt der Schwerpunkt auf der Geistesgeschichte, wobei kein Gesamtüberblick angestrebt wird, sondern eine zentrale Frage als Leitlinie fungiert, anhand derer die jewei­lige Epoche dargestellt wird. Für die Geschichte des frühen Christen tums ist dies die Frage nach dem Verständnis der Person Jesu Christi.
Die Darstellung besteht aus drei Teilen mit insgesamt zehn Unterkapiteln, an deren Ende jeweils einige »Questions for Discussion« vorgeschlagen und Literaturhinweise für ein »Suggested fur­-ther Reading« gegeben werden. Wichtige didaktische Elemente sind gelegentliche kurze, optisch aus dem Fließtext herausgehobene Erläuterungen zentraler Begriffe und die Wiedergabe und Übersetzung einzelner quellensprachlicher Wörter für die des Griechischen und Lateinischen unkundige Leserschaft.
Der erste Teil behandelt die Messiaserwartungen des Judentums zwischen 520 v. Chr. und 70 n. Chr. und damit einen entscheidenden Teil der Voraussetzungen, die zu einer christlichen Deutung des Lebens und der Person Jesu führen konnten. Dabei fällt auf, dass die Darstellung fast ausschließlich auf biblischen (= kanonischen) Belegstellen basiert. Die Überschriften der Unterkapitel (1. »The One to Redeem Israel« [Luke 24:21]; 2. »Are You the One Who Is to Come?« [Matt. 11:3]) indizieren, was bei der Lektüre vollends deutlich wird, nämlich dass die Darstellung sehr von der Perspektive der christlichen (= neutestamentlichen) Autoren geprägt ist. Die Deutung Jesu als des angekündigten Messias erscheint dadurch (trotz vorgenommener Problematisierungen) um einiges naheliegender, als sie im Kontext des Judentums des 1. Jh.s tatsächlich gewesen ist.
Der zweite Teil befasst sich mit der Zeit von der Mitte des 1. Jh.s bis zur Alleinherrschaft Konstantins. In den vier Unterkapiteln dieses Teils werden die Mission, die Stellung der Christen zum römischen Staat, die Schriftauslegung der frühen Christen unter besonderer Berücksichtigung des Origenes und schließlich das Problem von Häresie und Orthodoxie vor allem am Beispiel gnostischer soteriologischer Konzepte verhandelt; Letzteres mit erfreulichem methodischen Problembewusstsein (116).
Der dritte und letzte Teil stellt unter der etwas triumphalistisch anmutenden Überschrift »A Dynamic Golden Age (Fourth and Fifth Centuries)« das Selbstverständnis der Christen als »ekklesia«, das Leben der Gemeinden, die christliche Ethik und schließlich die großen theologischen Konflikte um die Trinitätslehre und Chris­tologie dar. In allen vier Unterkapiteln werden dabei auch Voraussetzungen aus dem 2. und 3. Jh. dargestellt. Im Teil über die Ge­meinden und über die christliche Ethik wird die Lebensrelevanz der Christusnachfolge anschaulich. Der arianische Streit wird allzu kurz und entsprechend undifferenziert dargestellt, wenn man bedenkt, dass er ja in vieler Hinsicht Voraussetzung für den chris­tologischen Streit ist. Beim christologischen Streit erfährt die Kontroverse zwischen Nestorius und Kyrill bis 431 eine gründliche Darstellung, während der Weg nach Chalkedon nur noch kurz gestreift wird (220 f.).
Man muss den Ansatz der Reihe und des Bandes akzeptiert und den avisierten Leserkreis im Auge haben, um sich nicht daran zu stören, dass manch wissenschaftlicher Problematisierungsschritt fehlt, der der Förderung von eigener Urteilsfähigkeit aufhelfen würde. Man muss die nicht nur didaktischen, sondern eben auch impliziten theologischen Voraussetzungen teilen, um sich nicht darüber zu mokieren, dass bei der Darstellung insbesondere der biblischen Texte einer eher harmonisierenden Gesamtsicht der Vorzug gegeben worden ist gegenüber einer (historisch-)kritischen Profilierung der Evangelien einschließlich ihrer Unterschiede im Verständnis Jesu. Und man muss den Frömmigkeitsstil mögen, der das Buch prägt, angefangen bei dem dreifachen Lob Gottes in den »Acknowledgements« bis hin zur Darstellungsweise, die an manchen Stellen jedem Vergleich mit der altkirchlichen Protreptik standzuhalten vermag. Aber es stellt sich letztlich bei jedem Buch die grundsätzliche Frage, ob man es eher mit dem Autor oder eher gegen den Autor lesen will, und lässt man sich bei diesem Buch einmal darauf ein, es mit dem Autor bzw. in diesem Fall mit der Autorin zu lesen, wird man gern bescheinigen, dass es sich um eine Darstellung handelt, die ihre Leser gut in die Materie einzuführen vermag und ihnen sowohl eine erste Orientierung als auch Hinweise zu weitergehender Auseinandersetzung gibt.
In Zeiten, in denen die Kenntnisse über das Christentum im Ganzen, über die Christologie im Besonderen und über die Christologie der Alten Kirche im ganz Besonderen weder bei Studenten noch bei interessierten Zeitgenossen sonderlich hoch einzuschätzen sind, kann ein solches Buch erste Abhilfe schaffen, zumal wenn es so gut lesbar geschrieben ist wie der vorliegende Band. Beim Rezensenten hat sich während der Lektüre trotz mancher elementarer Fremdheitserfahrung hin und wieder der Gedanke eingeschlichen, dass wir derlei Bücher nicht nur für den normalen Betrieb des Grundstudiums, sondern auch für die Kommunikation unserer Gegenstände an einen breiteren Kreis von Lesern in Zu­kunft noch ganz gut werden brauchen können. Das bezieht sich auch auf den etwas protreptischen Grundzug des Werkes.