Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2011

Spalte:

282-284

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Van Seters, John

Titel/Untertitel:

The Biblical Saga of King David.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2009. XIV, 386 S. gr.8°. Geb. US$ 49,50. ISBN 978-1-57506-170-2.

Rezensent:

Klaus-Peter Adam

Nach zwei kürzeren, viel genannten Arbeiten besonders im Bereich von 2Sam 1983/2000 legt John van Seters eine ausführliche Syn­these und Weiterführung vor. Er erkennt zwei literarische Stufen der Davidüberlieferungen 1Sam 16 bis 1Kön 2 (ohne 2Sam 21–24): eine unbestimmt zwischen Josiazeit und Nachexil datierte deutero­nomistische ›Geschichtsschreibung‹ und eine diese kommentierende, königtumskritische, perserzeitliche retrospektiv entwor­fene ›David-Sage‹, die den Dynastiegründer als letztlich für den Untergang Judas Verantwortlichen zeichne.
Die Arbeit ist in sieben Kapitel und eine Zusammenfassung gegliedert: 1. Einführung mit Forschungsgeschichte, 2.–3. zum so­zialen und historischen Setting der David-Sage, 4. zum Problem der wiederholten Anfänge, 5. David als outlaw (1Sam 18–31), 6. David wird König aus Sicht des Dtrs, 7. ein Porträt vom Leben an Davids Hof. Im Einzelnen rekonstruiert der Vf. in Kapitel 1 eine Forschungsgeschichte, deren Ausgangs- und Endpunkt literar- bzw. redaktionsgeschichtliche Modelle bilden (3–39): literargeschichtliche Differenzierung von Material des 10. Jh.s von jüngerer dtr Bearbeitung (Wellhausen); formgeschichtliche (Gunkel, Gressmann), thematische (Rost), an der Geschichtsschreibung interessierte (von Rad), weisheitliche (Whybray) Analysen des Textbestandes; ein jüngeres redaktionsgeschichtliches Modell (Veijola); das Verständnis als prophetische Geschichtsschreibung (McCarter); literary/final reading (Gunn, Edelman); redaktionsgeschichtliche Desintegration des alten Konsenses (Dietrich, Willi-Plein, Rudnig); Ansatz des Vf.s 1983/2000 und Kaisers/McKenzies Reaktionen.
Argumente gegen die Auswertung der Daviderzählungen auf dem Hintergrund des 10. Jh.s sieht der Vf. vor allem in der Bestreitung des davidisch-salomonischen Großreiches ausgehend von der Deutung archäologischer Befunde durch Finkelstein (53–90). Die Charakterisierung des Protagonisten in der David-Sage, die den judäischen König als Führer von Söldnerheeren in griechischer Tradition beschreibe, belege hingegen die Herkunft großer Teile der Aufstiegs- und der Hofgeschichte aus dem 4. Jh. (91–119).
Methodisch navigiert die Textanalyse zwischen Sympathie für die künstlerische Gestaltung der Thronfolge- und Aufstiegsgeschichte, ihrer exegetischen Würdigung einerseits, und Vorbehalten gegen atomistische literarische Aufsplitterung in kleine Einheiten besonders in der jüngeren redaktionskritischen Forschung andererseits (51). Der Vf. wählt einen gattungskritischen Ansatz (39–49): Die Daviderzählungen seien als ›ernsthafte Unterhaltung‹ im Anschluss an D. Gunn, The Story of King David 1978 (61), zu verstehen, dessen Analogien zu isländischen Familiensagen (Njál‘s Saga) der Vf. aufgreift und folgendermaßen spezifiziert: Die Familiensage stelle eine Hauptfigur und deren Familie in den Vordergrund; ein historisches Faktum bilde ihren Ausgangspunkt; sie sei ursprünglich für den mündlichen Vortrag, als ›ernsthafte Unterhaltung‹ konzipiert; habe einen anonymen Autor; verwende literarische Konventionen wie Fehde und Rivalität; vermeide explizite Sprache; diene zumeist der Glorifizierung, jedoch auch der Kritik der Vergangenheit (49).
Aufgrund dieser formgeschichtlichen Analyse ermittelt der Vf. zwei einander diametral entgegenstehende, sekundär verbundene Davidüberlieferungen. Eine bilde einen integralen Bestandteil der größeren Geschichte Israels (DtrG), während die andere, die ›David-Sage‹ aus persischer Zeit, keinerlei dtr Spuren in ihrem Kernbestand zeige und die Tendenz der älteren Davidüberlieferung fundamental revidiere.
Die dtr Version (account A 196; 361–362) bestehe aus 1Sam 16,14–23; 18,5–9*.(10–11).12–16.17–30; 19,1–17; 21,11–16; 22,1–5; 23,1–5.15–18.24b–28; 24,1–23; 28,1a. 4ab.b; 31,1–13; 2Sam 1,1*.2–4.11–12.17–27; 2,1–2aa.3; 5,1–2.3b (4); 5,6–12.17–25; 8,1; 8,2–14; 10,15–19; 6,2–3a.5.15.17–19; 7,1–10a (10b–11aa).11ab–29. Diese repräsentiere das Genre der Geschichtsschreibung und propagiere ideologisch Israels und Judas Einheit. Dtrs Davidbild setze die Vorstellung eines kleinen quasi-monarchischen Reiches Davids voraus: Es entwickele auf der Grundlage der durch Benjamin vermittelten Erzählungen über das Nordreich (Mose; Gesetzesoffenbarung in der Wüste; Besiedlung des Landes; Richtererzählungen) eine Überlieferung von den geschichtlichen Ursprüngen Israels bis Saul. Exemplarisch sei das Ergebnis für den Bereich der Saul-David-Überlieferung herausgegriffen: Die entscheidende Intention des dtr Davidbildes sei, Judas Platz innerhalb dieser Geschichte Israels zu sichern. Dtr integriere folgerichtig die Ursprungsgeschichte des judäischen Staates in diese Erzählung dergestalt, dass er David an die Stelle des Saulsohnes Jonathan treten lasse und nach einer göttlichen Erwählung Sauls in *1Sam 9–14 dessen Verwerfung folgen lasse, die den Weg für David als König über Israel freimache (347). Davids Aufstieg sei daher positiv dargestellt. Die Größe Juda werde zugunsten des ›Volkes Israel‹ aufgegeben. Die Datierung dieses dtr Entwurfes (Josiazeit, ex., nachex.) lässt der Vf. offen (348). Die perserzeitliche David-Sage (account B; 196.362–363: 1Sam 17,1–18,4.6a*; 19,18–21,10; 22,6–23; 23,6–14.19–24a; 25,1–44; 26,1–25; 27,1–28,2; 29,1–11; 30,1–31; 2Sam 2,4–4,12; 2Sam 1,1abb.5–10.13–16; 2,2abb; 5,3a (4); 5,13–16; 2Sam 6,1.3b–4,6–14.16.20–23; 2Sam 8,16–18.20.23–25; 2Sam 9–20; 1Kön 1,1–52; 2,5–9.13–46) ergänze die dtr Darstellung. Sie erhebe nicht den Anspruch auf eine Einheit der Stämme, sondern zeichne, teils in der Form der Parodie (355), ein realistischeres Davidbild: David sei nicht besser als andere judäische Könige gewesen. Gegen Wellhausen sei diese Sage nicht historiographisch auf dem Hintergrund des 10. Jh.s auszuwerten, sondern vor allem als Gegenbild des positiven Davidbildes in der Form ›ernster Unterhaltung‹ (355). Der Autor der David-Sage unterminiere aus perserzeitlicher Perspektive allzu optimistische großdavidische Hoffnungen auf ein Reich vom Euphrat bis Ägypten. In kosmopolitischer Perspektive lasse sie Fremde, wie den Philister Obededom; Uriah, den Hethiter, als positive Erzählfiguren auftreten, was auf einen multiethnischen Staat und auf die Vielfältigkeit Judas als Entstehungshintergrund schließen lasse (359). Exemplarisch ergibt sich für die Aufstiegsüberlieferung (195–206): Anders als der dtr Version gehe es der perserzeitlichen David-Sage um das Königtum an sich: David habe, von der Angst des Herrschaftsverlusts besessen, Unschuldige getötet. Im Unterschied zum David des Dtr, der mit einer kleinen Schar Freiwilliger Juda gegen die Philister verteidigt habe, beschreibe die David-Sage David als Söldnerheerführer: 1Sam 25, Abigails Rede nehme Klischees dtr Königsideologie aus 2Sam 7 auf; 1Sam 24 sei Teil des dtr Davidbilds, das 1Sam 26 kritisiere; während David nach der dtr Version 1Sam 21 bei Achisch um Asyl nachsuche, habe Achisch ihn nach der David-Sage 1Sam 27 warmherzig empfangen und in Ziklag eingesetzt (350). Die David-Sage revidiere die dtr Konzeption eines Ge­samtisrael zugunsten einer Differenzierung zwischen Juda und Israel und negiere ferner die Einheit der Stämme. Entstanden in persischer Zeit, spreche sie Judäern jegliche Identifikation als ›Israeliten‹ grundsätzlich ab (353).
Ein Appendix mit einem Quellenüberblick (361–362), Bibliographie, Autoren- und Stellenregister beschließen den Band.
Die Ergebnisse dieser lange gereiften Synthese können hier nicht im Einzelnen gewürdigt werden. Verdienstvoll ist das Bemühen um die Integration neuerer und neuester archäologischer Er­gebnisse und der historischen Topographie aus dem ersten Jahrzehnt des 21. Jh.s (N. Na’aman, I. Finkelstein). Was die literarhistorische Rekonstruktion angeht, mutet es angesichts der kritischen Haltung des Vf.s gegenüber jedweden vorliegenden literargeschichtlichen Erklärungsmodellen fast ironisch an, dass der Vf. die Doppelungen der Erzählüberlieferung in 1Sam zwei unterschiedlichen literarischen Werken zuordnen möchte, was entfernte Ähnlichkeiten mit der Rekonstruktion zweier Erzählfäden aus Quellen in 1Sam zeigt (letztmals Eissfeldt 1965).
Der genrekritische Zugang des Vf.s zur Davidüberlieferung ist angesichts der episodisch gegliederten, nur locker in eine Makrochronologie oder in ein geographisches Schema eingeordneten Folge von Erzählungen mit häufig derselben Figurenkonstella­-tion methodisch angemessen und man kann der Einordnung von Teilen der Davidüberlieferung als Sage im Unterschied zur Ge­schichtsschreibung durchaus ihr Recht zugestehen. Allerdings lassen sich die Formmerkmale der Sage nur unscharf fassen (Formeln; sprachliche Eigenheiten lassen sich nicht benennen). Verwirft man diese allgemeine Gattungsbestimmung als Sage nicht grundsätzlich zugunsten differenzierterer Einzelzuordnungen von Texten (z.B. Lehrerzählung, Ätiologie, etc.), könnte die Einordnung als Sage in Verbindung mit anderen Erklärungsmodellen aus der Narratologie (z. B. Propp-Sequenz) sowie der Oralitätsforschung (z. B. J. M. Foleys) möglicherweise gestärkt und so die formgeschichtliche Kategorie plausibilisiert werden. Der Vf. will nur teils an die frühe Gattungsgeschichte anschließen. So nimmt er K. Koch positiv auf (35), nicht jedoch Gunkels Einordnung der Erzvätererzählungen der Genesis als Sage (Genesiskommentar 1910, Einleitung §1 VII–XIII; ebenfalls in Abgrenzung zur Geschichtsschreibung), dessen Kategorie der Sage er schroff als ›romantic ideas‹ verwirft (16, Anm. 35); der Vf. wendet sich hier gegen E. Blums Anwendung der Kategorie der Sage auf die Thronfolgegeschichte.