Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2011

Spalte:

277-279

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Knoppers, Gary N., and Kenneth A. Ristau [Eds.]

Titel/Untertitel:

Community Identity in Judean Historiography. Biblical and Compara­tive Perspectives.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns 2009. X, 286 S. gr.8°. Geb. US$ 44,50. ISBN 978-1-57506-165-8.

Rezensent:

Klaus-Peter Adam

Dieser Band versammelt Vorträge des Seminars für Antike Ge­schichtsschreibung der Kanadischen Gesellschaft für Biblische Studien aus dem Jahr 2007, die sich der Identitätsbildung und Ethnizität in der biblischen Geschichtsschreibung widmen.
K. Sparks, Israel and the Nomads of Ancient Palestine, 9–26, stellt die unterschiedlichen Quellen für die Beschreibung der Nomaden und ihre Bedeutung für biblische Gruppen wie Ismaeliter, Amalekiter, Keniter und Rekabiter dar. Die Midianiter seien die einzige Gruppe von Nomaden, mit denen die frühen Israeliten genealogisch verbunden werden. Während Israel seine Ursprünge als Nomadengruppe beschreibe, erschienen die (in der biblischen Darstellung nicht immer als gesonderte Einzelgruppen dargestellten) Nomaden aus der Perspektive der sesshaft gewordenen Israeliten als potentielle Gefahr für das sichere Leben und wandelten sich in der literarischen Repräsentation von Freunden zu Feinden (17).
J. Van Seters, David: Messianic King or Mercenary Ruler, 27–39, rekonstruiert entsprechend seiner Darstellung The Biblical Saga of King David, 2009, zwei Stufen der Überlieferung der davidischen Geschichtsschreibung: ein vor-deuteronomistischer Bericht aus neubabylonischer Zeit und eine königtumskritische David-Saga aus persischer Zeit; letztere Datierung erwägt V., weil Davids Söldnertruppe aus Philistern und Cherethitern besteht; Gruppen, die als leichtbewaffnete, griechische Söldner zu identifizieren seien und daher für das Bild Davids als Führer von Söldnertruppen für den griechischen Kontext typisch seien (33). Dieses Bild korrigiere den messianischen Utopismus der älteren Überlieferung (Ps 132) und zeichne David innerhalb der dtr Geschichtsauffassung als den letztlich für den Untergang Judas Verantwortlichen.
K. Stott, A Comparative Study of the Exilic Gap in Ancient Israelite, Messenian, and Zionist Collective Memory, 41–58, hebt die Bedeutung des Exils innerhalb der Bildung kollektiver Erinnerung hervor. Das babylonische Exil der Judäer als geschichtliche Epoche zwischen historisch ›fiktiver‹ Vorzeit der Unterdrückung und nachexilischer Befreiung sei in seiner Bedeutung für die kollektive Identitätsbildung vergleichbar mit der Geschichtskonzeption der Messenier, ihrer Unterdrückung durch die Spartaner und ihres Exils (42–44), sowie ferner mit der nationalen Erinnerung aus der Sicht des Zionismus des 19. Jh.s (54). Wenngleich einige Aspekte der jeweiligen Exile sich unterschieden (beispielsweise werde das Exil der Messenier positiv als Befreiung angesichts drohender Sklaverei durch die Spartaner porträtiert), diene gleichwohl in allen drei Fällen eine ›strukturelle Amnesie‹ über historische Fakten des Exils (44) der historischen Rekonstruktion der Vergangenheit. Die geschichtstheoretische Reflexion erklärt die Auslassung des Exils in der Historiographie als Folge der grundsätzlichen Problematik von Exilssituationen für die kollektive Identitätsbildung: erlittene Marginalisierungen ließen sich nicht positiv für die Deutung der eigenen kulturellen Identität darstellen (54).
E. Ben-Zvi, Are There Any Bridges Out There? How Wide Was the Conceptual Gap Between the Deuteronomistic History and Chronicles?, 59–86, hebt in einem breit angelegten Vergleich Konvergenzen zwischen DtrG und ChrG hervor: Die Geschichtsschreiber verwendeten ähnliche historiographische Techniken und teilten ähnliche Vorstellungen über verzögertes bzw. über ereignetes Gericht, über Propheten und Prophetie, David und die Davididen, über die Exklusivität der davidischen Dynastie in der monarchischen Zeit, über JHWHs Torah/Lehre für Israel und für ihre Bedeutung nationaler Geschichte sowie bezüglich einer gesamtisraelitischen Identität; beide Werke konzipierten ferner Nichtisraeliten als ›die anderen‹ in analoger Weise. Insgesamt stünden sich die geistigen Welten beider Geschichtswerke einander näher, als gelegentlich angenommen werde.
J. Bowick, Characters in Stone: Royal Ideology and Yehudite Identity in the Behistun Inscription and the Book of Haggai, 87–117, analysiert in seinem ersten Teil detailliert die Behistun-Inschrift aus rhetorischer, aus kulturver­gleichender und aus ideologischer Perspektive und vergleicht im zweiten Teil deren Königsideologie mit dem Buch Haggai. Beide Bücher repräsentierten die Königsherrschaft als göttlich legitimiert, wobei Haggai Zerubbabel im Unterschied zu Darius in der Behistun Inschrift nie aktiv, sondern stets als Empfänger der göttlichen Handlungen darstelle (116).
J. Kessler, The Diaspora in Zechariah 1–8 and Ezra-Nehemiah: The Role of History, Social Location, and Tradition in the Formulation of Identity, 119–145, vergleicht das Verständnis der Diaspora als Irrweg, aus dem Israel vollständig zurückkehren wird, in Sach 1–8 mit dem Verständnis der Diaspora als faktischer Realität in Esra/Nehemia. Folgerichtig akzeptierten Letztere die im Exil lebenden Zeitgenossen als authentische Verehrer JHWHs, von denen sie er­warten, dass sie die Gemeinde in der Provinz Jehud unterstützen, und denen sie auch zutrauen, Führungsfunktionen in der Gemeinde in Jehud zu übernehmen.
G. N. Knoppers, Ethnicity, Genealogy, Geography, and Change: The Judean Communities of Babylon and Jerusalem in the Story of Ezra, 147–171, beschäftigt sich besonders mit Esra 7–10; Neh 8 und sieht, wenngleich diese Texte primär die Bewohner Jehuds im Auge haben, einen Teil der Trägergruppe der Esraerzählung in der Diaspora. Diasporajuden gälten nämlich ebenfalls als zentrale Größe für die Identität des nachexilischen Judentums. Die Esraerzählung stehe damit für eine zeitübergreifende und internationale Art und Weise judäischer Identitätsbildung (149); sie stelle einen generationsübergreifenden Prozess judäischer Identitätserneuerung dar, innerhalb dessen die Diaspora die Ursprungsgemeinschaft auf der Grundlage der in der Diaspora entwickelten und gepflegten Sitten präge (159–161).
M. Leuchter, Ezra’s Mission and the Levites of Casiphia, 173–195, interpretiert die Spannungen der Esraerzählung als literarische Zeugnisse der Aussöhnungsversuche zwischen zadokitischen ›mythosakralen‹ und levitischen ›soziosakralen‹ priesterlichen Traditionen (194). Die literarische Figur Esras verkörpere genau diese Aussöhnung, indem sie die zadokidischen Traditionen einerseits sowie andererseits seine Identität als Schreiber/Lehrer, der die Anliegen der Leviten von Casiphia (Esra 8; 15–19) vertrete, miteinander verbinde.
L. Jonker, Textual identities in the Books of Chronicles: The case of Jeho­ram’s History, 197–217, verbindet sozialpsychologische (201–206) und ethnologische Forschung miteinander anhand des Falles J(eh)orams in der Darstellung der Chronik. Textbezogene Identität bildet die Theoriegrundlage seiner Lesung der J(eh)oramüberlieferung aus der Perspektive einer persischen Provinz. Sie führt ihn zu der Erkenntnis, dass Juden in der Exilszeit ihre Einzigartigkeit im Vergleich mit anderen persischen Provinzen insbesondere durch den in Jerusalem praktizierten Jahwismus definiert haben (215).
K. A. Ristau, Reading and Re-reading Josiah: The Chronicler’s Representation of Josiah for the Postexilic Community, 219–247, entwickelt ausgehend vom Verständnis der Chronikdarstellung des Josia die Vorstellung einer Akzeptanz des Abhängigkeitsstatus’ Judas und, andererseits, der Abwesenheit der davidischen Monarchie. Josia in der Darstellung des Chronisten verkörpere diese Ambivalenz.
M. J. Boda, Identity and Empire, Reality and Hope in the Chronicler’s Perspective, 249–272, widmet sich der Darstellung der Epochen und der Königsgestalten in der Chronik. Unter anderem sieht Boda die chronistische Darstellung Hiskias als Figur des Glaubens sowie als Verkörperung des legitimen Widerstands gegen das Reich geprägt von Hoffnung auf Unabhängigkeit (263–267), während der Chronist am Ende Manasse als bußfertigen König darstelle, der durch diese Haltung vermutlich den Weg zur Erneuerung des Königtums weise (267–270). Die Chronik deute anhand dieser gegensätzlichen Porträts auf die Entwicklung von den Tiefen des Exils über Manasse zu Hiskia als Höhepunkt hin und gebe damit der Hoffnung auf eine Erneuerung eines unabhängigen Königtums Ausdruck (272).
Ein Autoren- und ein Stellenregister (273–286) beschließen den Band, der auf eindrucksvolle Weise methodologisch vielfältig Prozesse der Identifikationsbildung in der judäischen Geschichtsschreibung untersucht.