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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

272-276

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gerdmar, Anders

Titel/Untertitel:

Roots of Theological Anti-Semitism. German Biblical Interpretation and the Jews, from Herder and Semler to Kittel and Bultmann.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2009. XVIII, 677 S. gr.8° = Studies in Jewish History and Culture, 20. Geb. EUR 156,00. ISBN 978-90-04-16851-0.

Rezensent:

Roland Deines

Diese ambitionierte Studie des schwedischen Neutestamentlers Anders Gerdmar stellt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Auslegung des Neuen Testaments und theologisch motiviertem Antisemitismus (die bevorzugten terminologischen Dis­tinktionen zwischen Antijudaismus und Antisemitismus werden in der Einleitung erläutert). Die Konzentration auf die deutschsprachige protestantische Forschung begründet er mit deren internationaler und interkonfessioneller Führungsstellung im behandelten Zeitraum. G. betont allerdings ausdrücklich, dass damit keine besondere Affinität der Deutschen zum Antisemitismus be­hauptet oder gestützt werden soll (gegen Daniel J. Goldhagens These). Behandelt werden insgesamt 19 Vertreter in recht ausführlichen Einzelkapiteln, deren wissenschaftliches Œuvre, gelegentlich ergänzt durch Archivmaterialien, im Hinblick auf die Darstellung und Wertung von Juden und Judentum analysiert wird. Der Umfang dieser Kapitel schwankt zwischen sieben (F. A. Tholuck) und 114 Seiten (G. Kittel). Hintergründe und Beziehungen zu allgemeinen theologischen und geistesgeschichtlichen Entwicklungen werden darüber hinaus in kurzen einleitenden und zusam­menfassenden Überblickskapiteln knapp vorgestellt.
Die 19 Einzelkapitel sind weiter in vier große Teile gruppiert, wobei als Gliederungsprinzip neben der Chronologie die research traditions eine bestimmende Rolle spielen. G. unterscheidet mit Friedrich Wilhelm Graf zwei hauptsächliche Linien, nämlich liberaler Kulturprotestantismus und konservativ-konfessioneller bzw. pietistisch beeinflusster Protestantismus (15). Die erste Gruppe, bestehend aus J. S. Semler, J. G. Herder, F. D. E. Schleiermacher, W. M. L. de Wette, F. C. Baur, D. F. Strauss, A. Ritschl, W. Bousset u. J. Weiss, wird unter der Überschrift »Enlightenment Exegesis and the Jews« behandelt. Die zweite, gebildet aus F. A. Tholuck, J. T. Beck, F. Delitzsch, H. L. Strack u. A. Schlatter, steht unter dem Titel »Salvation-Historical Exegesis and the Jews«. Es folgen zwei kleinere Teile, bei denen die Dichotomie von liberal und konservativ aufgegeben wurde: »The Form Critics and the Jews« mit K. L. Schmidt, M. Dibelius u. R. Bultmann sowie »Nazi Exegesis and the Jews« über G. Kittel und W. Grundmann. Die Sachgemäßheit dieser Aufteilung, insbesondere der letzten beiden Kapitel, überzeugt bei der Lektüre allerdings nicht (und wird in der Schlussanalyse dann auch wieder aufgegeben). Die Arbeit reiht sich damit ein in eine inzwischen beachtliche Anzahl von Monographien über das Verhältnis von Bibelwissenschaft und Judentum im deutschsprachigem Raum seit dem 18. Jh. (Deines, Heschel, Hoffmann, Klein, Kusche, Waubke, Wiese u. a.).
G. erwähnt diese Arbeiten zwar gelegentlich, aber kaum einmal diskutiert er sie. Es wird sehr vieles von dem wiederholt und noch einmal dargestellt, was sich – zum Teil ausführlicher und genauer – in diesen Arbeiten bereits findet, so dass der neue Aspekt, den G. in die Diskussion einbringt, in dem allzu Vielen unterzugehen droht. Für den englischsprachigen Raum stellt das Buch dagegen eine gute Einführung in das im Untertitel genannte Thema dar (German Biblical Interpretation and the Jews, from Herder and Semler to Kittel and Bultmann), wenngleich mit der Einschränkung, dass die Studie einen starken neutestamentlichen Schwerpunkt besitzt und für englischsprachige Nutzer die politischen und gesellschaftlichen Hintergrundinformationen wohl zu knapp sind. Der Eindruck, der sich beim Lesen immer neu aufdrängt, ist letztlich dann doch der einer besonderen deutschen Unheilsgeschichte innerhalb der Exegese. Zukünftige Forschung wird sich darum stärker auch um den europäischen Kontext bemühen müssen, um die Besonderheiten der deutschsprachigen Wissenschaft besser erfassen zu können.
Der erste Teil beginnt mit einem kurzen Überblick über den Einfluss der englischen Deisten und die problematische Rolle, die das Konzept einer natürlichen, allgemein-gültigen und von historischen Zufälligkeiten (Heilsgeschichte) gereinigten Theologie mit sich brachte: Obwohl die Deisten und ihre deutschen Anhänger, insbesondere Semler, aufgrund dieser Theologie grundsätzlich offen für eine gesellschaftliche und politische Gleichberechtigung der Juden waren, so standen sie dem historischen Judentum in Geschichte und Gegenwart doch völlig ablehnend gegenüber, so­fern dieses an das eigene Volk, das Land Israel und die eigene partikulare Geschichte als Volk Gottes gebunden blieb. Nur ein aufgeklärtes, universales, allem Partikularen abholdes Judentum hätte den Vergleich mit einem entlang diesen Idealen konstruierten Christentum bestehen können.
Dazu kommt, dass die Bindung an die Tora durchgängig als negativ gesehen wurde, indem der heteronomen Äußerlichkeit der Zeremonien das Ideal des sittlichen Menschen entgegengestellt wurde, der in sich selbst das universale Sittengesetz entdeckt und lebt, ohne dazu des Kultus und äußerer Anreize zu bedürfen. Die abgelehnte Form einer geschichtlichen Religion wurde in unhistorischer Weise mit dem Judentum gleichgesetzt, so dass jüdisch als negatives Kennzeichen für alles stehen konnte, was von den aufgeklärten Theologen als der natürlichen Religion (die sie mit ihrem Konstrukt des Christentums gleichsetzten) zuwider empfunden wurde. Als Folge davon konnte man als »Judenchrist« alle Christen bezeichnen, die weiterhin an »dogma, hierarchy and sacraments« festhielten (36).
Selbst bei Herder, der Sitten, Brauchtum und nationale Partikularität als Ausdruck von Gottes Schöpferwillen verstand, blieb diese Ambivalenz gegenüber dem jüdischen Volk erhalten, wenn er sich einerseits »Vom Geist der ebrä­-ischen Poesie« begeistern lässt, aber gleichzeitig die Geschichte Israels einzig als Verfallsgeschichte versteht. Nur das hellenistische Diasporajudentum be­wahrte Reste der ursprünglichen Höhe, und daran konnte dann das Christentum anknüpfen (»Jerusalem is the cradle, Alexandria the school of earliest Christianity«, 55). Dieses positive ›Vorurteil‹ gegenüber dem universalen, hellenistischen Judentum im Gegensatz zum partikularen palästinischen Judentum findet sich mit nur wenigen Nuancen auch bei de Wette (82), Baur (101–103.117), Strauss (125), Bousset (151.156–161) u. a. und ist wirkungsgeschichtlich bis heute in der neutestamentlichen Wissenschaft präsent, worauf G. kritisch schon in seiner Doktorarbeit hingewiesen hatte (Rethinking the Judaism-Hellenism Dichotomy. A Historiographical Case Study of Second Peter and Jude [CB.NTS 36], Stockholm 2001). Eine unheilvolle Wirkungsgeschichte entsprang dagegen Herders Forderung, wonach die kirchliche Gestalt dem Volksgeist entsprechen müsse: »With reference to Luther, Herder contends that Christi­an­ity must be ›Germanised‹« (56; ähnlich auch Schleiermacher, s. 70–73). Bei Kittel und Grundmann wurde dies zum Programm einer arischen deutschen Kirche, in der für Juden und Jüdisches kein Platz mehr war (und bei Kittel zusätzlich zur Forderung nach einer eigenständigen judenchristlichen Kirche). Problematisch ist allerdings, dass G. für solche Aussagen häufig lediglich auf Sekundärliteratur verweist und die zugrundeliegenden Texte etwa von Herder gar nicht (oder nur ungenau) benennt. Die Aussagen über Juden und Judentum wirken für die Autoren des 18. und 19. Jh.s vielfach zufällig zusam­mengestellt, eine Analyse der Passagen in ihrem Werkkontext findet dagegen kaum statt.
Auch für Schleiermacher stellt G. die Identifizierung der abgelehnten Religionsform mit dem Alten Testament bzw. dem Judentum heraus, dessen Geschichte ausschließlich als Verfall erfasst wird. De Wettes Urteil in Bezug auf das Alte Testament brachte gegenüber Schleiermacher die weitreichende und nahezu einhellig übernommene Differenzierung zwischen der mosa­-ischen bzw. prophetischen Religion Israels der Frühzeit (»Hebraismus«) und dem »Judenthum« als seiner Verfallserscheinung. Diese Unterscheidung er­laubte es, die positiven Bezüge von Jesus zur Geschichte Israels historisch ernst zu nehmen und gleichzeitig seine ablehnenden Aussagen gegenüber den Pharisäern als gegen das Judentum seiner Zeit gerichtet zu sehen.
Der zweite Teil über die heilsgeschichtlich ausgerichtete Theologie und ihr Verhältnis zum Judentum ist mit einiger Sympathie ge­schrieben, und hier finden sich am ehesten Aspekte, die in der bisherigen Diskussion zu kurz gekommen sind, was auch daran liegt, dass die meisten der behandelten Theologen mit Ausnahme von Schlatter gegenwärtig keine Rolle mehr spielen. Durchgängig stellt G. fest, dass das Verständnis des Judentums in Vergangenheit und Gegenwart bei diesen Theologen sehr viel offener und positiver war als bei ihren liberalen Fachkollegen. Die hier zu beobachtende fundamentale Trias von heilsgeschichtlichem Denken, das dem jüdischen Volk auch als Volk eine bleibende Bedeutung über Jesus hinaus zuzuerkennen in der Lage war, missionarischer Arbeit unter Juden und Verteidigung des Judentums gegen antisemitische Angriffe basierte auf der hervorragenden Kenntnis der jüdischen, insbesondere rabbinischen Quellen, die von keinem liberalen Forscher auch nur annähernd erreicht wurde. Dazu kamen in diesen Kreisen enge und freundschaftlich-kollegiale Kontakte zu Juden. Das Ernstnehmen der Erwählung des jüdischen Volkes als Handeln Gottes bildet den Ausgangspunkt dieser heilsgeschichtlichen Perspektive, aber auch deren Grenze, wie G. deutlich zeigt. Denn so sehr heilsgeschichtliches Denken den jüdischen Partikularismus, Hauptanstoß für die liberale theologische Tradition, zu würdigen vermag, so kritisch und ablehnend verhält es sich gegenüber dem liberalen Judentum, das zunehmend (in Verbindung mit anderen ›modernen‹ Kräften) für alle echten oder scheinbaren Probleme der Gegenwart verantwortlich gemacht wurde. Die theologische Wertschätzung fand da ihre Grenze, wo gegenwärtiges Judentum nicht dem idealisierten biblischen entsprach (cf. 199.201.216.226–9 u. ö.).
Problematisch erscheint mir allerdings G.s häufig vorgebrachte Kritik an diesen Theologen in der Art, dass etwa »Strack never gave up his view of Christian superiority« (247), wobei superiority offenbar die theologische Überzeugung bezeichnet, dass die Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk in dessen Anerkennung von Jesus als Messias sich vollendet. Hier wird anhand eines Maßstabs Kritik geübt, der für die damalige Zeit völlig jenseits des Erwartbaren lag und auch gegenwärtig theologisch kontrovers diskutiert wird: dass man die Überzeugung von der Wahrheit der eigenen Religion (was mit superiority eher irreführend ausgedrückt ist) aufgeben müsse, um nicht unter das Urteil zu fallen, eine andere Religion zu diskriminieren, hätte zu Beginn des 20. Jh.s weder jüdischen noch christlichen Theologen eingeleuchtet. Wann immer die Wahrheitsfrage in Bezug auf das eigene religiöse Bekenntnis berührt ist, ist die Erwartung einer neutralen Objektivität m. E. irreführend. Mindestens müsste genau differenziert werden, in welcher Hinsicht und in welchen Bereichen (etwa staatliche Unterstützung von Lehrstühlen) »equal footing with Christianity« (247) erwartet werden konnte.
Das längste Kapitel in diesem Teil ist Adolf Schlatter gewidmet, dessen Haltung insbesondere in den 30er Jahren in der Tat irritierend ist. G. diskutiert ausführlich die verschiedenen Interpretationen von Schlatters Haltung gegenüber der nationalsozialistischen Judenpolitik, wie sie insbesondere in der kleinen Broschüre »Wird der Jude über uns siegen« von 1935 zum Ausdruck kommt (305–318). Zu Recht wird abschließend bemerkt, dass auch Schlatter (ähnlich wie Grundmann) die völkische Gemeinschaft des ›neuen Deutschland‹ höher wertete als die Solidarität innerhalb der Kirche Christi (326), was sich u. a. daran zeigte, dass Schlatter die Ausgrenzung der Judenchristen aus dem Pfarrdienst zwar bedauerte, aber nicht als vordringliches Problem ansah (287 f.). Eine direkte Fortsetzung findet Schlatters ambivalente Position nach G. in Gerhard Kittel, bei dem dann allerdings nach 1933 in noch viel stärkerem Umfang rassische Konstruktionen der Wirklichkeit seine exegetische Arbeit und sein Bild des Judentums beeinflussen.
Teil drei beschäftigt sich mit den Formgeschichtlern, wobei das längste Kapitel erwartungsgemäß Bultmann gewidmet ist. In Karl Ludwig Schmidt erkennt G. eine Schlatter nahestehende heilsgeschichtliche Position, die bei Schmidt allerdings zu einer klareren Absage gegen antisemitische Ausgrenzungen von Juden und Ju­denchristen führte, obwohl auch er dem Staat eine rassebiologische und rassehygienische Behandlung des Judenproblems (auch diese Terminologie wurde akzeptiert) zubilligte (vgl. ähnlich auch Bultmann, 397 ff.).
In seinen Äußerungen findet G. »strains of racist views« (339, vgl. 341 f.345) und er urteilt abschließend »the total picture is full of contradictions« (344). Sehr viel kritischer ist G.s Würdigung von Dibelius. Dessen weitverbreitetes Jesusbuch von 1939 (das 1947 unverändert in 2. Aufl. erschien) lässt die Tür für eine nichtjüdische Herkunft von Jesus offen (354 f.) und betont sehr stark die Feindschaft zwischen Jesus und dem Judentum seiner Zeit (inhaltlich also ganz ähnlich wie Grundmann). In ihm findet die ältere liberale Tradition ihre Fortsetzung mit der Hochschätzung des Alten Testaments und dann des Diaspora-Judentums bei gleichzeitiger Geringschätzung des stärker partikularen palästinischen Judentums (das wiederum von Gerhard Kittel gegen den Trend der Forschung als entscheidender Hintergrund für Jesus und das frühe Christentum sehr viel positiver gewürdigt wurde, s. 424–427. 496.522–525). Ähnlich wie bei Bultmann und Grundmann wird auch bei Dibelius das Bild des Judentums von den 20er Jahren an immer dunkler gezeichnet und der Gegensatz zum Christentum entsprechend intensiviert. G. übersieht nicht, weder für Dibelius noch für Bultmann, dass sie sich für jüdische Mitbürger und Kollegen während der Nazizeit einsetzten, aber er weist m. E. mit Recht darauf hin, dass beiden jedes Bewusstsein dafür fehlte, inwieweit ihre scheinbar rein wissenschaftliche Arbeit am Neuen Testament antisemitischen Haltungen zumindest sekundierte. Bei Bultmann ist die Angelegenheit komplizierter, insofern als sich bei ihm keine rassistischen Argumente finden, dafür jedoch ein ausgeprägter theologischer Antijudaismus (392). Aufgrund seiner Unterscheidung zwischen heidenchristlicher Gemeinde und früher palästinischer Ge­meinde ist Bultmann jedoch in der Lage, ein sehr sachliches und durchaus positives Bild des zeitgenössischen Judentums von Jesus und seiner Rolle darin zu zeichnen, das allerdings folgenlos blieb, da für die christliche Botschaft wirkungsgeschichtlich allein die heidenchristliche Gemeinde entscheidend ist.
Jesu Judentum und die Verwurzelung seiner Botschaft darin wird so zwar nicht bestritten, aber sie ist theologisch irrelevant, da der Beginn des Christentums mit Paulus in die Diaspora verlegt wird (382). Gerade die Ablehnung einer heilgeschichtlichen Linie zwischen Israel und der Kirche (vgl. 388) verunmöglicht es für Bultmann, ein auch die eigene Gegenwart umgreifendes, theo­-logisch notwendiges Aufeinanderbezogensein von Judentum und Christentum zu formulieren (vgl. 388, und im Gegensatz dazu K. L. Schmidt, s. 336). G. demonstriert zudem, dass auch in Bultmanns Werk das Bild des Judentums im Verlauf der nationalsozialistischen Herrschaft zunehmend negativer wird und diese Entwicklung auch nach 1945 anhielt. Dies belegt G. vor allem anhand von Bultmanns Johanneskommentar, der ab 1938 in insgesamt 18 Einzellieferungen bis 1941 erschienen war (die Vermutung von G. auf S. 394 ist darum falsch). Sein Urteil ist, dass »Bultmann’s exegesis tends to omit anything po­-sitive about the Jews, while emphasising the negative« (394). Zwar ist anzunehmen, dass Bultmann bei der Charakterisierung der Juden im JohEv als »Vertreter des Unglaubens« und damit der »ungläubigen Welt« überhaupt, keine direkte Aussage über das zeitgenössische Judentum machen wollte, aber dass Sätze wie »Jesus steht ›den Juden‹ gegenüber« (Das Evangelium des Johannes, 59) 1938 bzw. 1941 mehr als missverständlich sind, ist kaum zu bestreiten. Die Ausscheidung von Joh 4,22 als Glosse ist hierfür nur ein weiteres Beispiel, das umso schwerer wiegt, weil zur Begründung dafür im Ergänzungsheft, das den späteren (Nachkriegs-)Auflagen beigelegt ist, auf Walter Grundmanns »Jesus der Galiläer und das Judentum« von 1940 verwiesen wird (etwa S. 24 in der Ausgabe von 1950). Dass Bultmann etwa zur selben Zeit gegenüber Leo Baeck meinte sagen zu können, dass auch das Judentum über seine Mitschuld an der Entwicklung, die zum Holocaust führte, nachdenken müsse, fügt sich in dieses ambivalente Bild (400).
Der vierte Teil »Nazi Exegesis and the Jews« behandelt Kittel und Grundmann in gesonderten Kapiteln. Auf das ermüdend lange Kapitel über Kittel wurde bereits hingewiesen, und über Grundmann wurde inzwischen auch mehr geschrieben, als seiner Bedeutung zukommt. G. nimmt sich zwar vor, sich auf Grundmanns exegetische Urteile bezüglich Juden und Judentum zu konzentrieren (533), aber wiederholt dann doch ausführlich die hinreichend bekannten De­tails zur Biographie und dem Eisenacher Institut, angereichert mit längeren Zitaten aus Grundmanns autobiographischem, im Nachlass nun zugänglichen Text »Erkenntnis und Wahrheit«. Er unterschätzt allerdings die apologetische Funktion dieses Dokuments (vgl. 539), in der es Grundmann nicht um Wahrheit, sondern um Selbstrechtfertigung ging. Zudem sind die Abfassungsumstände in der DDR nicht hinreichend in Betracht gezogen.
Die abschließende Zusammenfassung bündelt den Ertrag in hilfreicher Weise und orientiert sich an der Zweiteilung Aufklärungstheologie und heilsgeschichtliche Theologie. Es wird noch einmal hervorgehoben, dass in beiden Traditionen, wenngleich in unterschiedlicher Weise, theologischer Antijudaismus als praeparatio antisemitica fungierte (594). Katalysator dafür waren in der Regel tagespolitische Fragen. G. weist darauf hin, dass auffällig viele der von ihm behandelten Theologen tages- und parteipolitisch aktiv waren, wobei politische Wertungen der eigenen Gegenwart die Darstellung der biblischen Befunde offenbar stärker beeinflusste als umgekehrt. Man legt das Buch mit gemischten Gefühlen aus der Hand. Die Fülle ist imponierend, aber zugleich ist es zu wenig, um die dargestellten Positionen wirklich zu verstehen.
Aus der Rückschau ist es leicht, die theologischen Linien zu erkennen, die als praeparatio antisemitica dienten, aber damit ist nichts gewonnen, wenn man aus einer jeweils zeitgenössischen Perspektive zu urteilen versucht. Die Fokussierung auf die deutschsprachige protestantische Exegese ist – wenngleich verständlich – nicht ausreichend, weil so leicht der Eindruck entsteht, dass die Auseinandersetzung mit Juden und Judentum das Hauptthema protestantischer Theologie seit dem 18. Jh. war. Für die meisten der hier Dargestellten war es jedoch nur ein Thema unter anderen und oftmals nicht das drängendste.