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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

269-271

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ed. by H.-J. Klauck, B. McGinn, P. Mendes-Flohr, Ch.-L. Seow, H. Spieckermann, B. D. Walfish, E. Ziolkowski.

Titel/Untertitel:

Encyclopedia of the Bible and Its Reception.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2009. Bd. 1: Aaron – Aniconism. XXXIV S. u. 1224 Sp. m. Abb. gr.8°. Lw. EUR 238,00. ISBN 978-3-11-018355-9. Bd. 2: Anim – Atheism. XXVI S. u. 1208 Sp. m. Abb. gr.8°. Lw. EUR 238,00. ISBN 978-3-11-018370-2.

Rezensent:

Rudolf Smend

Es dürfte wenige ernsthafte Theologen geben, die nicht mit einem handlichen ein- oder mehrbändigen Bibelwörterbuch oder Bibel­-lexikon ausgestattet sind und es regelmäßig benutzen; neuere Klassiker dieser Gattung sind im deutschen Sprachbereich das Biblisch-historische Handwörterbuch (4 Bde., 1962–1979) und das Neue Bi­bel-Lexikon (3 Bde., 1991–2001), im englischen Sprachbereich The Oxford Companion to the Bible (1993) und Eerdman’s Dictionary of the Bible (2000). Was den Umfang und teilweise auch den Anspruch betrifft, werden diese Werke jedoch durch einige größere übertroffen, die man eher Enzyklopädien nennen kann, auch wenn sie nicht so heißen; am meisten verbreitet sind die beiden amerikanischen »Dictionaries«: The Interpreter’s Dictionary of the Bible (5 Bde., 1962) und The Anchor Bible Dictionary (6 Bde., 1992). Ihnen gingen zwei Enzyklopädien voran, die wahrhaft das Prädikat des Klassischen verdienen: die Encyclopaedia Biblica (4 Bde., 1899) und der Dictionnaire de la Bible (5 Bde., 1895–1912) mit seinem monumentalen Supplément (13 Bde., 1928–2005, noch nicht vollendet).
Die hier anzuzeigende neue Enzyklopädie unterscheidet sich von diesen Vorgängerinnen noch einmal durch den Umfang; sie wird 30 Bände von je etwa 600 Seiten umfassen, die im Lauf von etwa zehn Jahren erscheinen sollen. Ihr Plus besteht aber nicht nur in der Bandzahl, sondern auch in der Erweiterung, ja Verdoppelung des Themas, die im Titel durch die Worte »and Its Reception« be­zeichnet ist. Völliges Neuland betritt sie damit insofern nicht, als es mit gleichem Titel bereits zwei verdienstvolle und brauchbare Wörterbücher gibt, die, das eine ( A Dictionary of Biblical Interpretation, einbändig, 1990) unter englischer, das andere (Dictionary of Biblical Interpretation, zweibändig, 1999) unter amerikanischer Herausgeberschaft den wohl wichtigsten und jedenfalls theologisch bedeutsamsten (G. Ebeling 1946!) Teil der Nachgeschichte der Bibel vorführen. Für 2011 ist darüber hinaus ein Oxford Handbook of the Reception History of the Bible angekündigt. Die neue Enzyklopädie macht sich, soweit bisher zu sehen, nicht anheischig, das Verhältnis von Nach-, Wirkungs-, Rezeptions- und Auslegungsgeschichte und dgl. in umfassender grundsätzlicher und methodologischer Erörterung zu klären und daraus eine Konzeption zu entwickeln, die sie dann vom ersten bis zum dreißigsten Band im Einzelnen durchführt. Vielmehr verfährt sie pragmatisch, wobei sich ganz von selbst gewisse Schemata ergeben, die sich mutatis mutandis ständig wiederholen.
Als Beispiel sei die Inhaltsübersicht des 27-spaltigen Artikels »Adultery« herausgegriffen. »I. Ancient Near East. II. Hebrew Bible/ Old Testament. III. Judaism. IV. Greco-Roman Antiquity. V. New Tes­tament. VI. Christianity. VII. Islam. VIII. Literature. IX. Visual Arts. X. Music.« Begrenztere Gegenstände füllen nur einen Teil des Schemas aus, so an übernächster Stelle in sechs Spalten »Advent«: »I. Chris­tianity. II. Music.« Die römisch bezeichneten Abschnitte haben in der Regel eine Verfasserin oder einen Verfasser, umfangreichere auch mehr, so bei »Adultery« der Abschnitt III zwei (für »Rabbinic Judaism« und »Medieval and Late Judaism«), der Ab­schnitt VI sogar drei (für »Greek and Latin Patristics and Orthodox Churches«, »Medieval Times and Reformation Era« und »Modern Europe and America«), so dass der ganze Artikel auf 13 Personen zurückgeht; bei »Advent« haben zwei ausgereicht (Abschnitt I ist in »Patristics and Early Medieval Times« und »Medieval Times and Reformation Era« geteilt). Es versteht sich, dass bei – notgedrungen – so starker Untergliederung, wenn die Abschnitte fachmännisch behandelt werden sollen, eine große Linie nicht immer leicht einzuhalten ist; schon die schema­tische Untergliederung als solche und auch manche ausdrückliche und stillschweigende Bezugnahme im Einzelnen zeigen aber das Bemühen, der Gefahr eines Sammelsuriums zu entgehen.
Zwischen den beiden genannten Artikeln steht, einspaltig den entgegengesetzten Artikeltyp repräsentierend, »Adummim«, die detailreiche Erörterung der Probleme um eine zweimal im Alten Testament begegnende Ortsbezeichnung. Es ist unmöglich, einen noch so entlegenen biblischen Orts- oder Personennamen zu finden, der keinen Artikel bekommen hat, und sei dieser noch so kurz. Hier und auf manchen verwandten Gebieten vereinigt die Enzyklopädie in sich geradezu mehrere Speziallexika und lässt sich beinahe an deren Stelle gebrauchen, wobei der Radius vieles einbezieht, was nicht schon auf den ersten oder auch den zweiten Blick biblisch oder bibelnah oder in einem näheren oder weiteren Sinne »biblical based« ist. Wer sucht wohl hier den Komponisten J. G. Albrechtsberger, oder wer wendet sich bei »Anabaptists« oder »Athanasian Creed« nicht zuerst an ein theologisches und bei »Actium« oder »Appeal to Caesar« an ein historisch-altertumswissenschaftliches Nachschlagewerk? Aber bei längerem Gebrauch stellt sich wahrscheinlich ein Gefühl dafür ein, was man hier alles erwarten kann, und dann lässt sich aus dem Riesenwerk womöglich ein Nutzen ziehen, der die Erwartungen weit übertrifft. Der wichtigste Nutzen könnte über alle praktische Verwendbarkeit hinaus darin bestehen, dass sich, wenn die 30 Bände vorliegen, die Rolle der Bibel für Entstehung und Bestand unserer Kultur genauer bestimmen lässt als bisher – vielleicht auch in ihren Grenzen, die möglicherweise in der kritischen Diskussion über das Unternehmen zutage treten werden.
Auf einen großen Bereich, den diese Diskussion gerade auch im Blick auf die Grenzen sicherlich besonders betreffen wird, sei wenigstens im Vorübergehen hingewiesen. Es handelt sich um Literatur, Kunst und Musik, wie sie im obigen Beispiel »Adultery« in den Abschnitten VIII–X zur Sprache kommen (vgl. auch die übergreifenden Artikel »Art, Bible in« und »Aesthetics and the Bible«). Hier leistet die Enzyklopädie in hohem Maße eine lohnende Pionierarbeit, hier liegt aber der biblische Ausgangspunkt oft schon in weiter Ferne. Ein beliebiges Beispiel: in Melvilles »Moby-Dick« schimmert der biblische Ahab stellenweise noch ein wenig durch, aber von den Verfilmungen des Romans lässt sich das kaum noch sagen (I, 621 f.). Sollte man nicht an solchen Stellen gewisse Reduktionen in Erwägung ziehen?
Es erübrigt sich, die wissenschaftliche Qualität der Artikel von »Aaron« und »Abraham« bis zu »Athaliah« und »Atheism« zu rühmen. Für sie bürgen die Namen der sieben »Main Editors« (Ch.-L. Seow und H. Spieckermann für das Alte Testament, H.-J. Klauck für das Neue Testament, B. D. Walfish und P. Mendes-Flohr für das Judentum, B. McGinn für das Christentum und E. Ziolkowski für die Rezeptionsgeschichte), der 30 »Area Editors«, der zwölf »Consultants« und der schon jetzt mehr als 600 »Contributors«. Die Liste ist völlig international, interdisziplinär, interkonfessionell und richtungsübergreifend. Sie zeigt auch eindrucksvoll, wie wenig noch von einer europäischen, deutschen und christlichen Dominanz auf diesen Feldern die Rede sein kann und wie problemlos das Englische auch hier die allgemeine Wissenschaftssprache geworden ist – nur vier Übersetzer mussten tätig werden, und sie brauchten insgesamt nur ein halbes Dutzend Artikel oder Artikelteile zu bewältigen.
Das riesige Unternehmen brauchte nach Auskunft des Vorworts ein Jahrzehnt Vorbereitungszeit, in der vielerlei Maßnahmen, nicht zuletzt finanzieller Art, zu treffen waren. Der Verlag Walter de Gruyter konnte dem Unternehmen seine Verbindungen und Erfahrungen, zuletzt mit der Theologischen Realenzyklopädie, zu­gute kommen lassen, aber es dürfte sich um ein großes Wagnis gehandelt haben und noch eine Weile handeln. Das Redaktionsteam, nach zwei Vorgängern von Dr. Albrecht Döhnert geleitet, ar­beitet offenkundig vorzüglich, so dass man einen planmäßigen Fortgang erwarten darf. Auch die Ausstattung lässt keine Wünsche offen, die Bände liegen in Anbetracht ihrer Größe leicht in der Hand – leichter als die der TRE, ganz zu schweigen von der RGG, das Druckbild macht die Lektüre angenehm.