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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

264-266

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Monroe, Christopher Mountfort

Titel/Untertitel:

Scales of Fate. Trade, Tradition, and Transformation in the Eastern Mediterranean ca. 1350–1175 BCE.

Verlag:

Münster: Ugarit-Verlag 2009. XVII, 364 S. gr.8° = Alter Orient und Altes Testament, 357. Lw. EUR 74,00. ISBN 978-3-86835-015-9.

Rezensent:

Hermann Michael Niemann

Die vorliegende PhD-Dissertation bildet eine materiale Fundgrube. Sie hat aber auch eine These, dass der Handel ein verzweigtes Netzwerk bildet, Kultur trägt, verbreitet, stabilisiert, jedoch auch zur Destabilisierung von Gesellschaften und Verän­de­run­g(en) wesentlich beitragen kann, was Christopher Monroe, Anthropologe und Unterwasserarchäologe, für die Spätbronzezeit im östlichen Mit­telmeer und Vorderasien zeigt. Zugleich erarbeitet er aus schriftlichen Quellen – vor allem aus Ugarit und Assur – ein Bild des (Fern-)Händlers oder umfassender: des Unternehmers der Zeit.
M. erfasst neben Textquellen archäologische (Be-)Funde. Er spricht von einem sehr aktiven und dynamischen, »merchants, traders, creditors, and financiers« einschließenden »Unternehmertum«, das mit beträchtlichen Risiken fertig werden, bei erfolgreichen Unternehmungen aber auch mit beachtlichem Gewinn rechnen konnte und »may have been driven by rational pursuits of profit« (277). Dieses Unternehmertum, das mit dem Handel fremde Materialien und ggf. die Gesellschaft transformierende »Ideologie« mit sich brachte, agierte in einem Kontext traditionaler Institutionen und musste mit diesem Kontext ausbalanciert werden.
Die Kapitel 1 und 2 beschäftigen sich theoretisch und methodologisch mit dem Quellenbestand und seiner Deutung bzw. Deutungsmodellen. M. geht als »Nautical Archaeologist« auf den be­rühmten spätbronzezeitlichen Wrackfund von Uluburun und auf Tel Nami als wichtigen levantinischen Hafen-/Handelspunkt neben Ugarit ein und skizziert »The Historical Setting« der Spätbronzezeit zwischen Ägäis, Zypern, Assyrien, Syrien-Palästina und Ägypten. In Kapitel 3 beginnt eine sorgfältige Quellenanalyse, zu­nächst zu materiellen bzw. technologischen Faktoren des Handels: Maße und Gewichte zur Kauf- und Preisbestimmung, Siegel, Vorratshaltung (oft im Haus des Händlers), Kennzeichnung von Wa­ren, Transportladungen (Eselladung von 28 bis 30 kg als ein Standard), Transportdistanzen und -mittel und deren Kapazitäten, Schiffsterminologie, -bau, -größen (kaum über 20 t) und -eigner (Einzelne; Paläste/Tempel). Kapitel 4 analysiert Kommunikation der Händler, Finanzierungsverhalten und Investment im Handel der Region, das Verhalten beim Tauschhandel und die große Rolle von Vertrauen und Verlässlichkeit: Ein hohes Maß an Vertrauen steigert Investment und Profit. Schutz des Handels durch Gesetze, Verträge und Militär wird betrachtet. In Assur stellt M. ein hoch entwickeltes Kreditwesen fest. Wichtig ist die Analyse der Rolle der Schriftlichkeit und von Schreibern im Handel: Literalität hat fördernden Einfluss auf Informationsweitergabe, Profit und Wohlstand. Kapitel 5 fasst die Beziehungen zwischen Händlern und Herrschern ins Auge. Herrscher bzw. Staat fördern Handel. In Ugarit ist der König eher Förderer, Investor und Profiteur als selbst Händler. Es gibt einen u. a. zwischen Händlern und Herrscher vermittelnden »Präfekten«. Es scheint, dass ugaritische Händler freier und unabhängiger agierten als z. B. ägyptische. Zwischen Staat und Unternehmern gab es eher Kooperation als Konkurrenz oder staatliche Restriktionen. In Kapitel 6 geht es um die Bedeutung der Familie im Rahmen des Handels. Der Befund: Familie und Haus(-halt) sind stark eingebunden. Die Rolle ausländischer Händler wird belastet durch traditionelles Misstrauen gegenüber Fremden, anders als beim »traditionellen« Handel im intern-agrarischen Bereich. M. spricht vom »trader’s dilemma«, wenn der Händler von Berufs wegen bzw. um des Verdienstes willen Großzügigkeit, Al­truismus u. Ä. hintanstellen muss, gruppenstabilisierende ethische Haltungen, die den Handelsprozess an sich legitimieren und stabilisieren würden. M. findet innerhalb der »Unternehmerschaft« freilich viele Beispiele der Kooperation zwischen in- und ausländischen Partnern, so dass er von »lack of a dominant mono-ethnic trading network« bzw. einer »trade ecumene« spricht. Unternehmer verschiedener Herkunft fanden sich in kooperierenden Gruppen, in Häfen zusammen, vergleichbar der »blood relationship« von Familien und Sippen. Kapitel 7 geht es um »The entrepreneurial sphere and its classes«, um die Rolle von gesellschaftlichen Klassen bei Profit und dem Zugang zu Wohlstand. Erörtert wird das Verhältnis von Produzenten und Händlern. Handel und Unternehmertum sind zu komplex, um in simple dichotomische Modelle zu passen. (Land- und See-)Handel regt Produktion an, was wiederum »a primitive form of labor market« fördert. Wohlstand kann vielfältig erworben werden, durch Besitz, als Lieferant, als Arbeiter (Handwerker; Transporteur usw.) und als Dienender. Händler sind in der Regel in Städten konzentriert (Palast-, Tempel-, Depotnähe), haben Interesse an Schreiben/Buchführung, ohne selbst schreiben können zu müssen. Sie stehen wegen ihrer ökonomischen Bedeutung als Beschaffer und Verteiler in der Mitte, be­wegen sich aber auch am Rand der Gesellschaft. Sie müssen auf Balance zwischen Moral und Profit achten, um »successfully bridg­ing the gap between tradition and trade«. Gelingt diese Balance und auch die zwischen Tradition und Innovation nicht, kann eine Gesellschaft in Spannungen geraten und bei misslingendem Ausgleich (durch Gesetze, Verträge, Kommunikation, Technologie, Information u. Ä.) kollabieren (284 ff.).
Kapitel 8 fasst zusammen. Das Unternehmertum der Spätbronzezeit, »traditionell« und zugleich »rational- gewinnorientiert« or­ganisiert, hat M. deutlich besser ausgeleuchtet als bisher. Im Rahmen des damaligen »Weltwirtschaftssystems« entwickelten sich »intersoziale Vernetzung« sowie »Kern- und Peripherie-Gebiete«, die M. skizziert, wobei er auf Arbeiten u. a. von C. Chase-Dunn und T. Hall (in kritischer Nachfolge zu I. Wallerstein) fußt, die einen theoretischen Rahmen für eine »world-systems perspective to anthropological and archaeological evidence« entwickelten (289). Beim Verhältnis von Transformation (u. a. durch Handel) und Kollaps von Gesellschaften differenziert M. gegenüber M. Liverani stärker zwischen externen und internen (systemischen) Faktoren (z. B. politischer Degeneration und ihren Folgen), während Liverani die Interna über-, die Externa unterschätze. M. bestreitet, dass man Dörfler/Bauern und Städter/Unternehmer in den sozioökonomischen Prozessen trennscharf unterscheiden könne. Er weist darauf hin, dass die interregionale Ökonomie der Levante in der Spätbronzezeit gefährdet wurde durch wachsende Abhängigkeit von Bronze und anderen Prestigegütern. Der Fernhandel bewirkte größere ökonomische Interdependenz, reduzierte dabei die Subsistenz­ökonomie. Gesteigerte Kupfer-/Metallproduktion verbrauchte viel Holz, ebenso wie der Schiffbau. Der mit Fernhandel einhergehende steigende Informationsfluss (auch die Verbreitung von Krank heiten!) und die Netzwerkbildung überstiegen die Reichweite ein­zelner politischer Mächte und konnten beitragen zu herrschaftsfreien Rändern und Nischen für Outlaws, Unsicherheit und Gefahr für den Handel. Unternehmertum trug in der Spätbronzezeit zur Konzentration von Kapital, Information, Technologie und Autorität in Städten bei, aber auch zum Zurückbleiben des ländlichen Raumes und einer »economic imbalance«, die von Griechenland bis Palästina archäologisch erkennbar wird. Verarmte und Landlose konnten sich Wohlhabenden anschließen und verdingen oder als »outlaws« am vorhandenen Wohlstand teilnehmen. Als die Negativa dieser Faktoren am Ende der Spätbronzezeit kumulierten, waren die wohlhabendsten Städte, Herrscher und Gesellschaften Ziele nicht nur von »outlaws«, sondern wurden in ihrer Rohstoff- und (Fern-)Handelsabhängigkeit Opfer der zerbrechenden Netzwerke. So wurde die Welt der Spätbronzezeit mit ihren vielen Zentren, die u. a. ihre Brillanz ausmachten, durch dieses Netzwerk im negativen Fall auch gefährdet und brach zusammen. »A multi-centered world-system is, on the other hand, a multi-limbed beast with no head … No one was looking at the big socioeconomic picture or cared much about the fate of the marginalized peoples in­volved … The violent destruction of the Late Bronze palatial civilization … was, like many collapses, the inevitable result of limited foresight« (297).
56 Seiten Bibliographie und zehn Seiten Indizes erschließen das materialreiche Buch.