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Ausgabe:

März/2011

Spalte:

243-262

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Konrad Schmid

Titel/Untertitel:

Literaturgeschichte des Alten Testaments
Aufgaben, Stand, Problemfelder und Perspektiven

I. Literaturgeschichte des Alten Testaments


in historischer und biblischer Sicht


Das Alte Testament besteht aus Literatur1, die über einen längeren historischen Zeitraum hinweg entstanden ist. Insofern drängt sich eine literaturgeschichtliche Zugangsweise zu seinen Texten und Schriften nachgerade auf. Das Alte Testament umfasst eine Bibliothek von Büchern aus dem 1. Jt. v. Chr., wobei diese Bücher nicht bloß als Ganze unterschiedlichen Zeiten innerhalb dieser Spanne entstammen, sondern in aller Regel selbst über längere Zeiträume hinweg entstanden sind, so dass das Alte Testament – historisch betrachtet – zumindest in doppelter Weise geschichtlich differenziert wahrzunehmen ist: Seine Bücher gehören unterschiedlichen Epochen an, dasselbe gilt von den Texten innerhalb dieser Bücher. Darüber hinaus ist in Betracht zu ziehen, dass ein gewisser Anteil des Textguts des Alten Testaments ursprünglich auf mündliche Überlieferungen zurückgeht. Das Alte Testament – darin der alt­-orientalischen Literatur grundsätzlich vergleichbar – ist »Traditionsliteratur«: Es besteht aus Texten und Schriften, deren Urheberschaft nicht auf eine bestimmte Autorgestalt in einer bestimmten Epoche zurückführbar ist. 2 Die zentrale Figur hinter den Texten ist nicht der Autor, sondern der Tradent, der sich literarisch produktiv, aber zumeist anonym oder pseudonym in den Traditionsprozess einbringt. Ein individuelles »Ich« als autorielle Gestalt hinter einem Buch beginnt als Konzept erst bei Qohelet (um 200 v. Chr.) Gestalt anzunehmen.3 Der erste namentlich bekannte Autor eines biblischen Buches ist Jesus Sirach, der um ca. 180 v. Chr. ge­schrieben hat und dessen Buch Bestandteil des weiteren Septuagintakanons ist.

Neben der historischen Perspektive auf die Literatur des Alten Testaments ist die biblische mitzubedenken: Das Alte Testament ist nicht nur in historischer Hinsicht, sondern auch gemäß seiner biblischen Selbstpräsentation eine Bibliothek von Büchern aus unterschiedlichen Zeiten, deren Bestandteile sogar mitunter wie­derum angeben, unterschiedlich alt zu sein.4 Die Umrisse der literaturgeschichtlichen Selbstpräsentation sind allerdings von Ka­nonteil zu Kanonteil und von Buch zu Buch unterschiedlich deutlich ausgeprägt. Die große Darstellung von Genesis bis 2. Könige, die die Geschichte von der Schöpfung der Welt bis zur Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier beschreibt, ist weitgehend anonym abgefasst. Auf der Ebene der nachmaligen Einzelbücher trägt allein das Dtn eine Art Überschrift (Dtn 1,1), die allerdings in narrativer Absicht Mose als den Sprecher des Nachfolgenden einführt und ihn nicht einfach als dessen Autor benennt. Aber in verschiedenen Partien des Alten Testaments außerhalb des Pentateuch kann die Tora insgesamt auf Mose zurückgeführt werden (vgl. den Sprachgebrauch »Tora des Mose« o. ä. in Jos 22,5; 1Kön 2,3; 2Kön 21,8; 23,25; 2Chr 23,18; 25,4; 30,6; 33,8; Esr 3,2; 7,6; Neh 8,1.14; 10,30; Dan 9,11.13), die nach ihrem Selbstzeugnis allerdings nur einzelne Passagen als direkt durch Moses selbst niedergeschrieben ansieht (Ex 17,14; 24,4; 34,28; Num 33,2). 5

Die Prophetenbücher verfügen in der Regel – ähnlich wie das Dtn – über Überschriften, die den Inhalt des betreffenden Buches, nicht aber unbedingt seinen (ganzen) Text, mit einer bestimmten historischen Figur zwischen dem 8. und 6. Jh. v. Chr. in Verbindung bringen.6 Namentlich bei Jesaja und Jeremia ist deutlich, dass die in der 3. Person gehaltenen, erzählenden Stücke über den jeweiligen Propheten (Jes 36–39; Jer 26–28; 36–44) nicht durch die Überschriften Jes 1,1 und Jer 1,1 gedeckt sind. Im Rahmen der Erzählung Jer 36, die von der Herstellung einer zweiten Rolle mit Worten von Jeremia berichtet, nachdem der König Jojakim eine erste Rolle verbrannt hatte, findet sich bemerkenswerterweise ein explizites Zeugnis dafür, dass sich das Jeremiabuch in biblischer Eigenperspektive als ein Resultat mehrstufiger Fortschreibungstätigkeit präsentiert:

Jer 36,32: Und Jeremia nahm eine andere Rolle und gab sie Baruch, dem Sohn des Nerijahu, dem Schreiber, und nach dem Diktat Jeremias schrieb dieser darauf alle Worte der Schrift, die Jehojakim, der König von Juda, im Feuer verbrannt hatte, und viele ähnliche Worte wurden ihnen hinzugefügt.

Die passivische Formulierung schließt zwar nicht aus, dass diese »ähnlichen Worte« von Jeremia stammen, öffnet aber doch deutlich den Horizont auch für die Möglichkeit nachjeremianischer Fortschreibungen. Im Jeremiabuch kann man also nachlesen, dass dieses nicht von Jeremia allein stammt, sondern später in beträchtlichem Ausmaß weiter fortgeschrieben worden ist.

Im Bereich der Schriften werden Prov, Qoh und Cant auf Salomo zurückgeführt (Prov 1,1; Cant 1,1 und – wenn auch in verdeckter Weise – Qoh 1,1), nicht für den Gesamtpsalter, aber für zahlreiche Einzelpsalmen wird davidische Autorschaft insinuiert (vgl. Ps 3,1 u.ö.).7 Die weiteren Bücher innerhalb der Ketubim sind wiederum anonym.

Nimmt man diese Befunde zusammen, so scheinen vor allem Propheten als namentlich genannte Autoren biblischer Texte und Bücher infrage zu kommen. Das gilt zunächst für die Schriftpropheten und ihre Bücher, dann aber auch für die mitunter als Propheten gezeichneten Gestalten Mose sowie David und Salomo. Entsprechend wird dann Flavius Josephus das Alte Testament auf prophetische Verfasser zurückführen.8 Entscheidend ist aber, dass das Alte Testament diesen »Propheten« unterschiedliche Wirkungsperioden zuweist und selbst seine Schriften so als zeitge­bunden ausweist. Gleichzeitig zeigt das Vorhandensein anonymer Bücher oder Passagen, dass die Tradenten des Alten Testaments sich nicht zwangsläufig hinter prophetischen Gestalten der Gründerzeit verbergen müssen, sondern auch neutral in der Namenlosigkeit verbleiben können.

Wie in nahezu allen Bereichen der alttestamentlichen Wissenschaft sind historische und biblische Sicht auch im Blick auf die Literaturgeschichte nicht deckungsgleich, sondern divergieren voneinander. In historischer Sicht sind die biblischen Zuschreibungen sogleich zu relativieren: Im antiken Literaturbetrieb be­nennen sie in erster Linie die Autorität, unter der eine Überlie­ferung steht, und nicht den Autor, der sie geschrieben hat.9 Namentlich die »Mosaizität« von bestimmten Stücken des Alten Tes­taments – der Dekalog konnte noch bis in die Mitte des 20. Jh.s auf Mose zurück­geführt werden – im Sinne moderner Autorschaft kann schon aufgrund allgemeiner kulturgeschichtlicher Überlegungen zum Literaturbetrieb des antiken Israel ausgeschlossen werden: Erst mit dem Erreichen eines bestimmten Grads von Staatlichkeit ist überhaupt damit zu rechnen, dass ausgedehntere Literaturwerke entstehen können – im Bereich von Juda und Israel ist das nicht vor dem 9. oder 8. Jh. v. Chr. der Fall. Erst von dieser Zeit an weist der inschriftliche Befund aus Israel und Juda überhaupt auf eine hinreichend entwickelte Schriftkultur hin. 10 Entsprechend sind auch die »davidischen«, »salomonischen« oder »jesaja­nischen« Überlieferungen des Alten Testaments zunächst Elemente der erzählten Welt und nicht der Welt des Erzählers. Ob man dann bestimmte Kerntexte etwa der Prophetenbücher den jeweils na­mengebenden Figuren zuweisen will, ist abhängig von den Grundannahmen, die man an die Entstehungsbedingungen der alttestamentlichen Literatur heranträgt. Wie immer hier entschieden wird: Zu betonen bleibt in methodologischer Hinsicht, dass solche historischen Zuweisungen aufgrund biblischer Selbstaussagen ge­genüber deren Bestreitungen nicht a priori als »vorsichtiger« gelten können. Es handelt sich vielmehr um weitreichende Theorien, die ebenso begründungspflichtig sind wie diejenigen, die sich durch kritische Distanznahmen zum biblischen Zeugnis auszeichnen.

Die elementaren Rahmenbedingungen für eine historisch adäquate Beschreibung der Literaturgeschichte des Alten Testaments sind dabei klarer, als es die verzweigten Forschungsdiskussionen zunächst vermuten lassen. Erstens: Die biblische Literatur ist über einen längeren Zeitraum durch schriftgelehrte Arbeit an ihr entstanden. Der Umstand, dass die Texte der Bibel auf längere Fortschreibungsprozesse zurückgehen, wird von ihr bisweilen auch explizit thematisiert (vgl. Jer 36,32). Aus altorientalischen Überlieferungsbefunden (z. B. Gilgamesch) und solchen aus Qumran (z. B. Ge­meinderegel), die unterschiedliche Entwicklungsphasen be­stimmter Schriften empirisch bezeugen, sowie aus den Differenzen zwischen hebräischen und griechischen Fassungen mancher bib­-lischer Bücher (besonders Samuel, Jeremia, Ezechiel), die ebenfalls in quasiempirischer Weise Textwachstum dokumentieren, ist er­kennbar, dass dieser Modus der Literaturwerdung den damali- gen Gepflogenheiten der Umwelt in wesentlichen Elementen entspricht.11 Zweitens: Entsprechend der kulturgeschichtlichen Wahrscheinlichkeiten hat man damit zu rechnen, dass verschiedene Partien des Alten Testaments auf mündliche Vorstufen zurück­gehen. Dieser Anteil ist geringer, als die klassische Forschung anzunehmen geneigt war (s. u.), aber größer, als einige neuere Beiträge suggerieren.12 Drittens: Die Schriftensammlung des Alten Testaments ist im Wesentlichen ein Zeugnis des nachexilischen Judentums, das seine maßgeblichen Grundentscheidungen bezüglich Monotheismus, Bund und Gesetz gegenüber abweichenden älteren Traditionen privilegiert und diese so in die Heterodoxie entlassen hat. Entscheidende Formierungsphasen scheinen also in die persische und hellenistische Zeit zu gehören, was die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit früherer Texte 13 nicht aus-, sondern einschließt. Viertens: Literaturgeschichte und Theologiegeschichte des Alten Testaments überschneiden sich zwar teilweise, sind aber nicht deckungsgleich.14 Fünftens: Dasselbe gilt für das Verhältnis von Literaturgeschichte und Kanongeschichte. Auch sie berühren gemeinsame Felder, sind aber nicht identisch.

II. Aufgaben


Dass das Projekt einer Literaturgeschichte des Alten Testaments eine Aufgabe alttestamentlicher Wissenschaft ist, dürfte außer Frage stehen. In theologischer Hinsicht ist sie in keiner Weise zu beanstanden: Die historisch-kritische Fragestellung, mit der die moderne Bibelwissenschaft ihren Einsatz genommen hat, verdankt sich dem historischen Bewusstsein der Neuzeit, das sich sogleich auch die Bibel zu seinem Gegenstand machte und sie von nun an las wie jedes andere Buch auch.15 Die Prozesse, die sich im Vorfeld dieser Entscheidung abgespielt haben, mögen schmerzlich gewesen sein, sie haben aber letztlich verhindert, dass das Christentum fortan mit der Barbarei und die Wissenschaft mit dem Unglauben einhergegangen wäre.16

Sowohl biblische, historische wie auch theologische Überlegungen legen also eine literaturgeschichtliche Herangehensweise an das Alte Testament nahe – unbeschadet aller weiteren subdisziplinären Thematisierungen seiner Texte im Rahmen der alttestamentlichen Wissenschaft. Diese Aufgabe hat sich auch institutionell in den Theologischen Fakultäten im deutschen Sprachraum festgesetzt. Eine ganze Reihe von Lehrstühlen im Bereich des Alten Testaments trägt als genauere Spezifizierung den Begriff der »Literaturgeschichte« in ihrer Bezeichnung (z. B. Berlin, Greifswald, Kiel, Tübingen). Die Näherbestimmung im Sinne der »Einleitung« oder »Einleitungswissenschaft« findet sich nur (noch) im katholischen Bereich (z. B. Tübingen, München). Blickt man allerdings in die angebotenen Curricula, so wird die traditionelle Einleitungsvorlesung gegenüber einer literaturgeschichtlichen Herangehensweise nach wie vor privilegiert.

Zwar berühren sich die einleitungswissenschaftliche und die literaturgeschichtliche Frage an das Alte Testament eng bezüglich ihrer analytischen Herangehensweisen an die Texte, doch sie laufen auf unterschiedliche synthetische Darstellungsformen heraus. Eine Einleitung in das Alte Testament präsentiert ihre Ergebnisse in der Regel nach der kanonischen Ordnung der Schriften, während eine Literaturgeschichte der Sache nach historisch aufgebaut sein muss, was insofern besondere Probleme mit sich bringt, als die Bücher des Alten Testaments nicht jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte Israels entstanden sind. Vielmehr hat sich ihre Entstehung über lange Zeiträume hin erstreckt, so dass diese Bücher jeweils bei mehreren Perioden besprochen werden müssen.

Aus dieser Überlegung ergeben sich bereits die wichtigsten Aufgabenstellungen an eine Literaturgeschichte, die diese über eine Einleitung hinaus zu leisten hat: Sie hat erstens über die geschichtliche Verankerung der Einzeltexte hinaus die Geistigkeit der unterschiedlichen Epochen der Entstehung des Alten Testaments nach den zur Verfügung stehenden Quellen zu rekonstruieren, sie hat zweitens die innerbiblischen Diskurse innerhalb dieser Epochen aufgrund der jeweiligen Bezugnahmen zwischen den Texten zu beschreiben und sie hat drittens die Entwicklungen dieser Diskurse im Blick auf ihre traditionellen Vorgaben und auf ihre späteren Fortführungen darzustellen.

Man mag mit Fug und Recht fragen: Ist eine solche Literaturgeschichte überhaupt möglich? In wissenschaftstheoretischer Hinsicht ist aber anzumerken, dass konkrete Schwierigkeiten bei der Bewältigung einer wissenschaftlichen Aufgabe allein noch keine legitime Kritik der Fragestellung als solcher darstellen können.

III. Stand


In eigentümlichem Kontrast zur Notwendigkeit der Fragestellung als solcher im Rahmen alttestamentlicher Wissenschaft steht der Befund, dass konkrete Entwürfe einer Literaturgeschichte des Alten Testaments vergleichsweise selten vorgelegt worden sind. Aus der ersten Hälfte des 20. Jh.s sind vor allem die Werke von Hermann Gunkel17, Karl Budde18, Harlan Creelman19, Johannes Meinhold20, Julius A. Bewer21, Johannes Hempel22 sowie Alfred Lods23 zu nennen. In der zweiten Hälfte des 20. Jh.s und im beginnenden 21. Jh. ist die Fragestellung einer Literaturgeschichte des Alten Tes­taments noch spärlicher angegangen worden. Es lassen sich nur vergleichsweise wenige Ausarbeitungen nennen, so etwa von Ge­org Fohrer24 und – de facto, obwohl der Begriff »Literaturgeschichte« nicht prominent verwendet wird – von Walter Dietrich in dem von ihm betreuten Projekt »Biblische Enzyklopädie«25, das vor dem Abschluss steht. Die »Biblische Enzyklopädie« ist wohl die bislang umfangreichste Zugangsweise zur Literaturgeschichte des Alten Testaments. Ihr Gesamtaufbau ist noch deutlich von einer grundsätzlichen Konkordanz von biblischem und historischem Israel geprägt und die Einzelbände vertreten untereinander zum Teil recht divergierende Positionen.

Von der Programmatik her ist weiter anzuführen das Bändchen »Das Alte Testament« von Christoph Levin26, das eine integrierte Literatur-, Theologie- und Religionsgeschichte des antiken Israel bietet. Forschungsgeschichtliches Sondergut sind dabei seine Jahwisten-Hypothese sowie seine Spätdatierungen von Deuterojesaja und Hosea, traditionell ist die Annahme eines »Deuteronomis­tischen Geschichtswerks«27. Eingezeichnet ist Levins Gesamtbild in die grundsätzliche, besonders von Wellhausen inspirierte Unterscheidung zwischen dem königszeitlichen Israel und Juda einerseits und dem antiken Judentum andererseits, die durch den Un­tergang der beiden Staaten und die nachfolgenden Exilierungen voneinander getrennt sind. Sie spielt auch eine entscheidende Rolle im Entwurf von Reinhard G. Kratz.28 Er beschreibt zunächst in knappen Strichen die altisraelitische Schriftkultur und die literarischen Evidenzen, um dann in einem thematisch orientierten Durchgang die wichtigsten Transformationen in der biblischen Literatur nachzuzeichnen, die einem dichotomischen Ge­samtbild verpflichtet ist (468: »From Prophets of Salvation to Prophets of Disaster«; 471: »From Secular Nation to the People of God«; 477: »From Divine Kingship to the Kingdom of God«; 474: »From Secular Law to Divine Law«; 479: »From Wise to Pious«). Beschlossen wird die Darstellung durch eine Beschreibung der Logik und Entstehung der drei Kanonteile sowie der apokryphen Literatur.

Obwohl sachlich begründet und institutionell gut verankert und trotz einiger neuerer Publikationen zum Thema,29 fristet das Projekt einer Literaturgeschichte des Alten Testaments insgesamt gesehen doch nach wie vor eher ein Schattendasein innerhalb der alttestamentlichen Wissenschaft. Klaus Kochs Charakterisierung aus dem Jahr 1964 gehört noch nicht vollständig der Vergangenheit an: »[D]as Unternehmen einer Literaturgeschichte [ist] mit Gunkels Tod sang- und klanglos unter[gegangen] und gegenwärtig völlig vergessen.«30

Wie ist diese Zurückhaltung zu erklären? Die vordergründigste Erklärung liegt wohl darin, dass eine Literaturgeschichte des Alten Testaments sich anmaßen muss, eine Synthese der historischen Arbeit seines Gegenstandes zu leisten, die aufgrund der Spezialisierung und der Verästelung der alttestamentlichen Wissenschaft kaum mehr verantwortbar scheint. Doch bei näherem Hinsehen kann diese Erklärung jedenfalls nicht als Entschuldigung für den Verzicht auf ein solches Projekt gelten. Zum einen betrifft die Frage nach historischen Einordnungen biblischer Texte und Bücher das Kerngeschäft der alttestamentlichen Wissenschaft und sie ist – anders als dies für die Literaturgeschichte der Fall zu sein scheint – im Bereich der Einleitungswissenschaft auch unbestritten etabliert. Zum anderen hat die literaturgeschichtliche Herangehensweise an das Alte Testament nicht allein synthetische oder resümierende Funktion, sondern leistet auf ihre Weise selbst einen Beitrag zur analytischen Arbeit: Die Frage nach literaturgeschichtlichen Entwicklungen und Vernetzungen können einleitungswissenschaftliche Urteile weiter untermauern oder auch unwahrscheinlich machen.

Allerdings ist auch festzuhalten, dass (Teil-)Fragen rund um eine Literaturgeschichte des Alten Testaments durchaus intensiv bearbeitet worden sind. Das gilt etwa besonders für das Aufkommen der Schriftkultur im Alten Orient und im antiken Israel und natürlich vor allem bezüglich der Einleitungsfragen der alttestamentlichen Schriften, die allerdings in vielen Bereichen nach wie vor strittig sind.

IV. Problemfelder

1. Schriftkultur und Schreiberschulen im antiken Israel

Im vergangenen Jahrzehnt sind unabhängig voneinander drei wichtige englischsprachige Studien entstanden, die zwar nicht unmittelbar die Literaturgeschichte des antiken Israel rekonstruieren, aber deren Rahmenbedingung – die Schriftkultur des antiken Israel – analysieren und von dorther in Ausschnitten die Entstehung des Alten Testaments erklären. 2004 erschien William Schniedewinds »How the Bible Became a Book«31, 2005 David Carrs »Writing on the Tablet of the Heart«32 und 2007 Karel van der Toorns »Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible«33.

Schniedewind schlägt aus seiner Rekonstruktion der Möglichkeiten des altisraelitischen Literaturbetriebs die Zeit zwischen den Regentschaften von Hiskia und Josia (also vom 8. bis in das 6. Jh. v.Chr.) als Hauptepoche der Entstehung der alttestamentlichen Texte vor. Ein Hauptargument für diese Entscheidung liegt bei Schniedewind darin, dass sich die Zahl der hebräischen Inschriften entsprechend verteile, die in der persischen Zeit dann aber zugunsten aramäischer Inschriften ganz verschwinden.34 Der Befund ist in der Tat auffällig, allerdings erklärbar und entsprechend nicht überzubewerten: Das Hebräische verschwand als Kolloquialsprache, hebräisches epigraphisches Material außerhalb der biblischen Überlieferung ist deshalb auch gar nicht mehr zu erwarten. Mit seiner Betonung der letzten zwei vorexilischen Jahrhunderte befindet er sich – besonders was die Josiazeit angeht – zwar in großer Nähe zu den Einschätzungen von I. Finkelstein und N. Silberman in ihrem Bestseller »The Bible Unearthed« 35, gleichzeitig aber auch in großer Distanz zumindest zur europäischen Forschung, die er diesbezüglich vor allem durch die minimalistische Position von Philip Davies u. a. repräsentiert sieht.36 Der Wert von Schniedewinds Buch liegt besonders im Bereich der Darstellung der epigraphischen und literatursoziologischen Rahmenbedingungen. We­niger überzeugend sind seine literaturgeschichtlichen Urteile zu den biblischen Texten, die zwar insofern zutreffend sind, als sie das 8. Jh. v. Chr. als wahrscheinlichen Beginn der literarischen Produktion im Alten Testament vorschlagen, insofern aber fehlgehen, als sie deren nicht absolutes, aber doch faktisches Ende bereits zwei Jahrhunderte später ansetzen. Der wesentliche Fehler, der Schniedewind unterläuft, ist die mangelnde Unterscheidung zwischen erzählter Welt und Welt des Erzählers in den unterschiedlichen Büchern des Alten Testaments. Natürlich reichen etwa die um­- fang­reichen Bücher der Propheten Jesaja und Jeremia bis in die Zeit der namengebenden Gestalten zurück. Der größere textliche Anteil stammt jedoch aus der Nachgeschichte, die sich bei beiden Bü­chern bis an die Kanonsgrenze erstreckt, d. h. also fünf- bis sechshundert Jahre in Anspruch genommen hat. Jedenfalls im Bereich der deutschsprachigen Exegese kann als Konsens gelten, dass kein Buch des Alten Testaments in einer anderen als seiner nachexi­lischen Gestalt überliefert worden ist und dass wohl die Zeit des Zweiten Tempels zwar nicht als exklusive, aber doch als wichtigste Epoche der Bildung der alttestamentlichen Literatur zu gelten hat. 37 Dabei sind die quantitativen Aspekte von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend ist vor allem die qualitative Um­formung und Selektion der traditionellen Literaturanteile in nachexilischer Zeit im Blick auf die zentralen theologischen Entscheidungen be­züglich Monotheismus, Bund und Gesetz, die fortan die maßgeblichen Rahmenbedingungen der jüdischen Literatur bildeten.

Von besonderer Bedeutung für die historische Rekonstruktion des Literaturbetriebs, aus dem das Alte Testament hervorgegangen ist, wie auch für die Rekonstruktion dieser Literatur selbst ist die Studie »Writing on the Tablet of the Heart« von David Carr. Sie zeigt an einem übergreifenden historischen Vergleich der Kulturen der Alten Welt, dass die Schreiberausbildung stark vom Studium der Klassiker geprägt und daraufhin ausgerichtet war, dass deren Inhalte von den künftigen Angehörigen der Schreiberklasse memoriert wurden. Die Textbeherrschung der Schreiber war also im Wesentlichen über deren Gedächtnis vermittelt. Zitate und An­spielungen konnten sie in der Regel aus ihrer Erinnerung abrufen. Für die historische Exegese des Alten Testaments sind diese Über legungen von erheblicher Bedeutung: Besonders in denjenigen Textbereichen, die durch Vorgänge innerbiblischer Schriftaus­legung ge­prägt sind, wird man zurückhaltender als bisher sein müssen, wörtliche Berührungen zwischen verschiedenen Texten sogleich als »literarische Bezüge« einzustufen, die allein auf schriftlicher Ebene zu interpretieren sind. Selbstverständlich lassen sich solche Bezüge erkennen und natürlich sind sie von Belang für die Interpretation einer alttestamentlichen Schrift. Doch hat man sich ihre Entstehung wohl in einer Vielzahl von Fällen anders vorzustellen als dergestalt, dass der Autor des betreffenden Texts verschiedene biblische Schriftrollen vor sich gehabt hätte, aus denen er dann zitiert hätte. Vielmehr dürften ihm die der historischen Rekonstruktion als biblische Intertexte erschließbaren Bezugstellen in seinem Ge­dächtnis erinnerlich gewesen sein, die er dann verarbeitete.

Das Alte Testament ist also dort, wo es durch schriftgelehrte Ar­beit geprägt ist, weniger als ein textliches Mosaik unterschiedlicher Zitationen zu interpretieren, sondern vielmehr als ein Werk von Schriftgelehrten, das aus kombinatorischen Exegesen von Texten und Themen resultiert, die über die Erinnerung seiner Schreiber vermittelt sind. Im Blick auf die Vollzüge exegetischer Arbeit wird man sich also hüten müssen, sich aufgrund moderner Rekonstruktionsmittel zu Schlüssen verleiten zu lassen, die den kulturgeschichtlichen Gegebenheiten der antiken Welt nicht entsprechen.

Wie Carr betont auch der Altorientalist Karel van der Toorn den hervorgehobenen, elitären Status der Schreiber in den Kulturen Mesopotamiens und im antiken Israel. Er hebt stark die Affiliation dieser Schreiber mit den jeweiligen Tempeln hervor, wobei er diesbezüglich die Rolle des Königshofes wohl unterschätzt. Seine Überlegungen zur Literaturwerdung des Alten Testaments beschränken sich mit dem Deuteronomium und dem Jeremiabuch auf nur zwei Schriften, die er aber aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu zwei unterschiedlichen Kanonteilen als in gewissem Sinn repräsentativ für das Alte Testament insgesamt ansieht. Er vertritt für das Deuteronomium ein vergleichsweise einfaches Modell sukzessiver Buchausgaben, die sich im Abstand von ca. 40 Jahren folgen. Van der Toorn stellt zwar vier wichtige, konzeptionell unterschiedliche Sichtweisen im Deuterononium heraus, doch dürfte das literarische Wachstum des Buches erheblich komplexer verlaufen sein. Das Jeremiabuch bietet sich ihm deshalb als Untersuchungsgegenstand an, da es zum einen selber eine Theorie seiner Verschriftung enthält (Jer 36) und zum anderen explizit zeigt, dass die Schriftprophetie über Schreiber (in diesem Fall Baruch) vermittelt entstanden ist und nicht einfach auf die schriftstellerische Tätigkeit der Propheten selbst zurückgeht.

Die literatursoziologischen Rahmenbedingungen der Entstehung der alttestamentlichen Literatur werden seit längerer Zeit kontrovers diskutiert. Dabei ist der Umstand nicht zu vernachlässigen, dass es im bronzezeitlichen Kanaan zweifellos Schrift, Schreiber und Schulen gegeben haben muss. Das wohl eindrücklichste Beispiel ist die Amarnakorrespondenz, die der Jerusalemer Stadtkönig Abdi-Ḥepa mit dem Pharao Echnaton führte und deren Er­zeugnisse in dessen Residenz Tel el-Amarna erhalten geblieben sind. Aber es sind auch weitere Schriftzeugnisse erhalten geblieben,38 die funktionierende Schreiberschulen in Kanaan voraussetzen. Besondere Aufmerksamkeit hat in den letzten Jahren ein 2005 entdecktes Abecedarium aus Tel Zayit auf sich gezogen, da es aus dem 10. Jh. v.Chr. stammt, woraus manche Forscher weitreichende Folgerungen für das Vorhandensein eines frühen Staates bzw. einer damals schon sehr ausgeprägten Schriftkultur gezogen haben.39 Die Dis­kussion wiederholt sich nun für eine 2008 zum Vorschein gekommene Inschrift aus Tel Qeiyafa, die ebenfalls in diesem Sinn ausgewertet worden ist.40 Man wird wohl mit einer neuen, für ein breiteres Publikum geschriebenen, aber sehr kenntnisreichen Studie von Christopher Rollston festhalten müssen, dass diese vereinzelten Belege nicht geeignet sind, um allgemeine Schlüsse ziehen zu können.41 Allerdings deutet der epigraphische Befund aus dem königszeitlichen Israel bezüglich Schrift und Orthographie aufgrund ihres vergleichsweise hohen Standardisierungsgrads mit hinreichender Sicherheit darauf hin, dass es entsprechende Ausbildungsorte – »Schulen« – gegeben hat, in denen die Schreiber diesbezüglich trainiert worden sind. Anders sind solche Standardisierungen nicht erklärbar.

Wie man sich solche »Schulen« vorzustellen hat, ist allerdings unklar. In der Bibel werden sie nur in Sir 51,23 und Act 19,9 erwähnt. Der Stand des Schreibers ist sowohl epigraphisch42 wie auch biblisch gut bezeugt (vgl. z. B. 2Sam 8,17; 1Kön 4,3; Jer 32; 36; 43; 45; Esr 7,6.12–26; Neh 13,12 f.; Sir 38 f.). Die Bezeichnungen »Schreiber des Königs« bzw. »königlicher Schreiber« (2Kön 12,11; 2Chr 24,11, vgl. Est 3,12; 8,9) weisen darauf hin, dass eine solche Ausbildung wohl zunächst am königlichen Palast angesiedelt war, an dem es laut Jer 36,12 auch eine »Schreiberkammer« gab. Auch militärische Belange sind von Schreibern dokumentiert worden, wie es das Amt eines »Schreibers des Heerführers« (2Kön 25,19; Jer 52,25) belegt. In der Perserzeit dürfte die Schreiberausbildung dann vor allem am Jerusalemer Tempel stattgefunden haben, 43 der aber wohl be­reits in der Königszeit auch Schreiber vor allem zur Pflege der religiösen Texte trainiert haben dürfte.

Ob man den Umstand, »dass die biblische Tradition aus theologischen Gründen die Institutionen permanent in Frage« stellt, so gewichten muss, »daß man sich nur schwer vorstellen kann, daß sie in diesen Institutionen auch entstanden ist und gepflegt wurde«44, bleibt unsicher: Die kritischen Potentiale der biblischen Literatur beziehen sich ja nicht auf die gegenwärtigen Institutionen, sondern – im Rahmen der biblischen Generalakzentuierung, die im Wesentlichen die Königszeit und die davorliegende Gründungszeit Israels Gegenstand und Referenzrahmen der theologischen Reflexion ihrer Texte sein lässt – auf deren vorexilische Vorläufer.

Besonders bemerkenswert ist eine Fragestellung, die Seth Sanders mit seinem Buch »The Invention of Hebrew«45 aufgeworfen hat. Er versucht, dem Problem nachzugehen, weshalb überhaupt im 1. Jt. v. Chr. eine hebräische Nationalliteratur entstand – mit einer eigenen Schrift und in einer eigenen Sprache. Er führt diesen Vorgang auf eine Veränderung in der politischen Kultur und im politischen Bewusstsein dieser Zeit zurück. Anders als dies bei den imperialen Texten der mesopotamischen Großreiche der Fall ist, die der Selbstverherrlichung des Königtums dienen, wird im kö­nigszeitlichen Israel das Volk als eine eigens zu adressierende Größe entdeckt und entsprechend eine Lokalsprache zur Schriftsprache erhoben. Die These ist interessant und verfolgenswert, operiert aber wahrscheinlich mit zu frühen Datierungen der bib­lischen Literatur und verkennt, dass die Konzeption von Israel als ein »Volk« wohl erst nach dem Untergang des Nordreichs literarisch und theologisch prominent ausgebildet worden ist. 46 So wird die er­folgreiche Ausprägung einer eigenen hebräischen Nationalliteratur, die sich an Israel als »Volk« wendet, eher mit dem Verlust des Königtums als mit einem besonderen Verständnis des Königtums in Israel zusammenhängen. Für die methodologischen Diskussionen um das Projekt einer Literaturgeschichte ist die Perspektive von Sanders aber deswegen interessant, da sie zeigt, dass eine Literaturgeschichte des Alten Testaments in der Sache möglicherweise weniger weit entfernt ist von den Nationalliteraturen des 18. und 19. Jh.s, die Anlass und Gegenstand der modernen Literaturgeschichtsschreibung bilden.

2. Das Verhältnis der alttestamentlichen zur altisraelitischen und frühjüdischen Literatur


Im Falle des Alten Testaments, das aufgrund seines besonderen wirkungsgeschichtlichen Status’ als Heilige Schrift des Judentums und gemeinsam mit dem Neuen Testament auch des Christentums beinahe die gesamte uns bekannte Literatur des antiken Israel enthält, stellt sich die Frage, wie sich dieses Literaturkorpus zum Textgut verhält, das es sonst noch im antiken Israel gegeben haben mag. Die Frage, ob es Nichtvorhandenes nie gegeben hat oder ob es verloren gegangen ist, lässt sich naturgemäß nicht einfach beantworten. Im Bereich des antiken Israel sind aber doch immerhin einige Funde erhalten geblieben, von denen aufgrund des Umstands, dass sich die üblichen Schriftträger – Leder und Pa­pyrus – nicht sehr lange halten, mit Recht vermutet werden kann, dass sie nicht die komplette Restmenge der über die alttestamentlichen Schriften hinaus hergestellten Literatur des antiken Israel darstellen. – So kennt und nennt das Alte Testament selbst einige Quellen, die jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit fiktiv sind: So werden etwa das Buch der Kriege Jhwhs (Num 21,14), das Buch des Aufrechten (Jos 10,13; 2Sam 1,18), das Buch des Liedes 47 (1Kön 8,53a, LXX), das Buch der Geschichte Salomos (1Kön 11,41), das Buch der Geschichte der Könige von Israel (1Kön 14,19) oder das Buch der Geschichte der Könige von Juda (1Kön 14,29) genannt.

Zusätzlich ist mit weiteren vorexilischen Überlieferungen zu rechnen, die vor allem nach der Katastrophe Jerusalems im Jahr 587 v. Chr. selektioniert worden sind. Besonders zu nennen sind hier heilsprophetische Überlieferungen, von denen nicht auszuschließen ist, dass sie ebenfalls schriftlich vorgelegen haben, wenn man nicht der strikten These zuneigen will, dass Schriftprophetie und Gerichtsprophetie koinzidieren.48 Die neuassyrischen Befunde zeigen jedenfalls, dass auch reine Heilsprophetie schriftlich aufgezeichnet werden konnte, auch wenn sich daraus keine langzeitige schriftgelehrte Tradentenprophetie wie in Israel ergab.49

Die Literaturgeschichte des Alten Testaments betrifft also einen zwar wichtigen, aber eben doch nur einen Ausschnitt der althebräischen Literaturgeschichte, die nur partiell erhalten geblieben ist. Die Ratio der Selektion ist nur wirkungsgeschichtlich erläuterbar: Die Literaturgeschichte des Alten Testaments behandelt diejenigen Texte, die sich als Gebrauchstexte in der Jerusalemer Tempelschule und nachher sowie deswegen als Heilige Schrift durchgesetzt haben.

Der kanonisch-wirkungsgeschichtlich verengte Blick auf die Literatur des antiken Judentums weitet sich durch die anders gelagerte Überlieferungssituation von der hellenistischen Zeit an. Die vom 3. Jh. v. Chr. an entstandene weitere Literatur, die keine Aufnahme in den hebräischen Bibelkanon gefunden hat, ist durch die Tradierung vor allem im Bereich einiger Ostkirchen erhalten ge­blieben. Darunter finden sich sehr umfangreiche Literaturwerke wie die Henochüberlieferung, das Jubiläenbuch und weitere Schriften, die von der enormen Breite des literarischen Wirkens und der theologischen Positionen im antiken Judentum zeugen. Eine literaturgeschichtliche Herangehensweise an diese Werke hat an dieser Stelle noch Erhebliches zu leisten.50

3. Mündlichkeit und Schriftlichkeit


Bis gegen Ende des 20. Jh.s herrschte in der Bibelwissenschaft die Auffassung vor, das Alte Testament enthalte jedenfalls zu beträchtlichen Teilen vormals mündliches Textgut, das nun in schriftlich kodifizierter Form vorliege. Diese Gesamtperspektive brachte auch eine eigenständige Methode hervor: die formgeschichtliche Fragestellung, die im Bereich des Alten Testaments vor allem mit dem Namen Hermann Gunkel verbunden ist.51 Sie geht davon aus, dass Texte bestimmten Gattungen folgen, die durch deren jeweiligen »Sitz im Leben« vorgegeben werden. Durch die formgeschichtliche Fragestellung – so war die Meinung – öffnet sich ein Fenster in die ursprüngliche Geistigkeit des Volkes Israel, die in ihrem Redeleben ihren unmittelbarsten Ausdruck fand.

Namentlich in der Propheten-52 und Psalmenforschung53 sind in den letzten Jahrzehnten die Gewichte erheblich zurechtgerückt worden – mitunter sogar in zu starkem Maß. Das ins Feld geführte Argument, literarische Texte erklärt man am besten mit litera­rischen Mitteln, ist zwar auf den ersten Blick überzeugend, wird aber spätestens auf den zweiten Blick den historischen Wahrscheinlichkeiten nicht vollständig gerecht. Die Kultur des antiken Israel war eine wesentlich illiterate, gleichzeitig aber durchaus reich an Traditionsgut. Besonders im amerikanischen Sprachraum haben sich neuere Arbeiten mit dem Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit beschäftigt. 54 Sie weisen zu Recht darauf hin, dass die Texte des Alten Testaments in einer Welt produziert und rezipiert worden sind, die im Wesentlichen durch mündliche Kommunikationsvorgänge geprägt war.

Es besteht kein Grund, daran zu zweifeln, dass in der Tat manches spätere alttestamentliche Textgut in der einen oder anderen Form in mündlicher Überlieferung wurzelt, wobei bei dessen Analyse die Grenze zwischen formgeschichtlicher, überlieferungsgeschichtlicher und traditionsgeschichtlicher Fragestellung nicht immer klar zu ziehen ist. Beruhen die Texte auf entsprechenden Stoffen oder bilden sie bereits entsprechend mündlich geformte Einheiten ab? Es liegt auf der Hand, dass kürzere und durch sprachliche Mittel – etwa poetische Prägung – fixierte literarische Einheiten diesbezüglich als stabiler an­gesehen werden müssen als umfangreicheres und offener überliefertes Textgut. Jedenfalls wäre es ein Trugschluss sondergleichen, zu meinen, die Exodusüberlieferung sei im Zuge ihrer erstmaligen literarischen Fixierung entstanden oder Ps 93 sei so alt wie seine erste Niederschrift. Dass der konkreten Rekonstruktion mündlicher Vorstufen enge Grenzen gesetzt sind, versteht sich dabei allerdings von selbst.

4. Die Periodisierung der alttestamentlichen Literaturgeschichte


Wie ist die alttestamentliche Literaturgeschichte zu gliedern? Periodisierungen beruhen zwangsläufig auf von außen an die Li-teratur des antiken Israel herangetragenen Kategorien. Es wäre zwar grundsätzlich denkbar, bei der Darstellung einer Literaturgeschichte des Alten Testaments ganz auf sie zu verzichten. Doch wäre dies mit dem Preis verbunden, dass so nicht mehr deutlich würde, zu welchen Zeiten sich die jeweils zeitgenössischen Texte vergleichbaren Fragestellungen zugewandt und wann sich diese Fragestellungen wieder grundlegend geändert haben.

Dass es Epochen der alttestamentlichen Literatur gegeben hat, die ein vergleichbares Problembewusstsein zeigen, sollte nicht infrage gestellt werden. Dies lässt sich vor allem daran beobachten, dass gleichzeitig mit dem Erlangen eines gewissen Grades von Staatlichkeit der politischen Gebilde Israel und Juda im 9. und 8. Jh. v. Chr. diese jungen Staaten sogleich in den Einflussbereich der He­gemonialmächte in Mesopotamien, aber auch in Ägypten gerieten, der sie kultur- und literaturgeschichtlich maßgeblich be­stimmte. So ist es wohl kein Zufall und im Bereich der gegenwärtigen alttes­tamentlichen Wissenschaft auch nicht umstritten, dass zwei der wichtigsten theologischen Literaturwerke im Alten Testament – das Deuteronomium und die Priesterschrift – in unverkennbarer Weise in Reaktion auf entsprechende zeitgenössische imperiale Konzeptionen gestaltet worden sind: das Deuteronomium als subversive Rezeption neuassyrischer Vertragstheologie, 55 die Priesterschrift in modifizierender Aufnahme persischer Reichsideologie.56

Die Einteilung der alttestamentlichen Literaturgeschichte nach den jeweiligen imperialen Großmächten und ihren Einflüssen ist somit durchaus vertret- und begründbar, ihr kommt aber selbstverständlich nur ein relatives Recht zu. Die Literaturgeschichte des antiken Israel bietet auch Anhaltspunkte zu einer endogenen Gliederung, die ebenfalls zu beachten sind. Man braucht nur an die von Gunkel vorgeschlagene Periodisierung zurückzudenken, die trotz ihres hohen forschungsgeschichtlichen Alters – jedenfalls was die historische Ansetzung der literaturgeschichtlichen Hauptzäsuren betrifft – nach wie vor überraschend aktuell ist: Gunkel unterschied im Wesentlichen drei Epochen in der Literatur des antiken Israel, zunächst diejenige der Volksüberlieferungen (bis ca. 750 v. Chr.), dann diejenige der großen Einzelschriftsteller (zwischen ca. 750 und 540 v. Chr.) und dann diejenige der Epigonen.

Natürlich würde man heute nicht mehr in diesem Sinne die großen Autoren von ihren Epigonen absetzen, zumal das zu Gunkels Zeiten den großen Autoren zugeschriebene Textgut durch die redaktionsgeschichtliche Arbeit am Alten Testament doch erheblich geringer geworden ist. Bedenkenswert bleibt aber doch die Ansetzung der Gliederungseinschnitte: Sie betreffen zunächst das ausgehende 8. Jh. v. Chr., dem mit dem Untergang des Nordreichs wohl doch erhebliche überlieferungsbildende Funktion zukommt, was zum einen für die prophetische Tradition gilt, in der die Un­heilsprophetie als schriftliche Größe zwar wohl nicht erst entsteht, 57 aber doch stark akzentuiert wird. Zum anderen gilt das auch für die drei großen Überlieferungskerne der erzählenden Bücher des Alten Testaments im Bereich von Gen–2Kön, die in den Väter-, Exodus- und Davidserzählungen zu finden sind. In all diesen Bereichen ist zwar noch älteres Textgut – wahrscheinlich auch mit mündlichen Vorstufen – verarbeitet worden. Die theologisch interpretierende Fixierung jeweils als Gründungslegende für ganz Israel ist jedoch am ehesten nach dem Untergang des Nordreichs denkbar. 58 Für die Ursprungslegenden der Väter- und Exoduserzählung liegt dies – neben allgemeinen kulturgeschichtlichen Überlegungen zum Aufkommen der Schriftkultur im antiken Israel – aufgrund ihrer nichtköniglichen Ausrichtung ohnehin auf der Hand. Für die Davidserzählungen lässt es sich aufgrund der eigentümlichen Betonung Davids als König von ganz Israel vermuten.

Ganz anders freilich als Gunkel wird man die Epoche der »Epigonen« einstufen müssen. Die alttestamentliche Wissenschaft des letzten Jahrhunderts hat zur Genüge deutlich gemacht, dass die genialischen Konzeptionen in den biblischen Büchern, die zu Gunkels Zeiten noch den großen Einzelschriftstellern der Königszeit zugewiesen wurden, zu erheblichen Anteilen den schriftgelehrten Tradenten der persischen und hellenistischen Zeit zugeschrieben werden müssen, die in vielen Fällen diese Einzelschriftsteller als implizite Autoren ihrer Bücher allererst konstruiert haben. Damit verbindet sich auch die Notwendigkeit einer Revision der im 19. Jh. geläufigen und auch im 20. Jh. noch nicht ganz aus der Übung geratenen Abwertung des nachexilischen »Judaismus« gegenüber dem vorexilischen »Hebraismus« 59, die sich weder historisch noch theo­-logisch begründen lässt.60

5. Methodische Probleme literaturgeschichtlicher Einordnungen alttestamentlicher Texte


Obwohl die Frage nach historischen Einordnungen alttestamentlicher Texte notorisch schwierig ist, oft nur in relativen Verhältnisbestimmungen vorzunehmen und sich nur selten in klare abso-lute Datierungen überführen lässt, da die Texte selbst über ihre Entstehungszeit entweder schweigen oder nur kritisch zu evaluierende Angaben darüber machen, darf man doch feststellen, dass sich die Sachlagen in den drei Teilen des alttestamentlichen Kanons unterschiedlich verhalten. Ohne die debattierten Probleme zu verharmlosen, scheint die historische Verortung alttestamentlicher Texte im Bereich der Prophetenbücher gegenwärtig vergleichsweise am besten vornehmbar zu sein. Das hängt damit zusammen, dass die Prophetenbücher am ehesten so etwas wie literaturgeschichtliche »Leitfossilien« 61 zu erkennen geben, die sich aufgrund bestimmter politisch-theologischer Prägungen als solche sortieren lassen. So bieten etwa die Unterscheidung von Frevlern und Frommen, die Erwartung eines umfassenden kosmischen Weltgerichts, die Bevorzugung der Abkömmlinge der ersten Gola (der Deportation Jojachins und seiner Gefolgschaft 597 v. Chr.) gegenüber den damals im Land Verbliebenen oder die »deuteronomistische« Interpretation der Schuldgeschichte Israels recht klare Zuordnungsmerkmale prophetischer Texte.

Anders verhält es sich im Bereich des Pentateuch und der Ge­schichtsbücher. Sie sind zwar reich an historischen Aussagen, aber diese gehören nicht in die Welt des Erzählers, sondern des Erzählten und bedienen deswegen in der Regel nicht das Interesse des historischen Zugriffs. Das gilt zwar auch für die prophetische Literatur, doch ist deren erzählte Welt nicht zusätzlich in die mythische Ursprungszeit Israels zurückversetzt. Eben aufgrund des Um­stands, dass die erzählte Welt von Pentateuch und Geschichtsbüchern eine derart starke Eigenprägung mit sich bringt, versagen die an der prophetischen Literatur gewonnenen Instrumente zur historischen Einordnung der Texte mitunter. Die literaturgeschichtlichen »Leitfossilien« lassen sich aber hinter ihren mythischen Einkleidungen, die kritisch analysiert werden müssen, durchaus noch erkennen. Noch einmal andere Probleme stellen sich bei der historischen Interpretation der poetischen Bücher des Alten Testaments, namentlich der Psalmen: Entsprechend ihrer Gattung sind sie oft bewusst in überzeitlichen Formulierungen gestaltet worden, so dass hier absolute Datierungen in aller Regel überhaupt nur tentativ im Gefolge relativer Verhältnisbestimmungen zu anderen Teilen der alttestamentlichen Literatur möglich sind.

Bei allen Schwierigkeiten ist aber festzuhalten, dass das methodische Instrumentarium der alttestamentlichen Wissenschaft zur literaturgeschichtlichen Einordnung biblischer Texte sehr stark ausdifferenziert ist, es gehört zu den großen Errungenschaften im Bereich von Textexegesen überhaupt. Allerdings ist immer wieder zu beobachten, wie bestimmte Teilschritte der Methodik gegen-über anderen unsachgemäß privilegiert werden, was zu Verzer­rungen in der literaturgeschichtlichen Urteilsbildung führt. Die grundsätzlich unbestrittene Interdependenz der verschiedenen Methodenschritte stellt eine Maxime dar, die in der Exegese wieder neu einzufordern ist, wobei namentlich zwei Aspekte hervorzu­heben sind: Zum einen ist es unabdingbar, dass entstehungsgeschichtliche Rekonstruktionen inhaltlich und sachlich begründet werden und zum anderen müssen die Plausibilitäten der verschiedenen Schritte explizit und selbstkritisch gewichtet werden. An­dernfalls droht der alttestamentlichen Exegese sowohl die Marginalisierung im Bereich der Theologie als auch in demjenigen der antiken Philologien.

6. Innerbiblische Schriftauslegung


Die alttestamentliche Wissenschaft hat sich mehr und mehr der Einsicht geöffnet, dass das Alte Testament nicht nur Text, sondern Text und Kommentar in einem ist, dass es über weite Strecken hinweg durch Vorgänge innerbiblischer Schriftauslegung geprägt ist.62 Diese Veränderung hat die Einschätzung des Alten Testaments insgesamt verändert: Es gilt nicht mehr im Wesentlichen als kodifiziertes mündliches Gut, sondern als schriftgelehrte Traditionsliteratur, die in ihren Überlieferungskernen wohl auf eine mündliche Vorgeschichte zurückgehen mag, in der Substanz aber nunmehr als dichte, reflektierte Literatur anzusprechen ist. Diese Bestimmungen sind grundsätzlich auf alle drei Kanonteile des hebräischen Alten Testaments anwendbar, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung im Blick auf deren einzelne Bücher.

Die zahlreichen Befunde von innerbiblischer Schriftauslegung verschärfen noch einmal die Notwendigkeit eines literaturgeschichtlichen Zugangs zum Alten Testament: Dessen Bücher und Texte verlangen nicht nur aufgrund des Umstandes, dass sie vergangenen Zeiten und entfernten Orten entstammen, eine historisch orientierte Auslegung, sondern sie sind eben in ansehnlichen Passagen gar nicht verständlich, wenn deren Auslegungsverhältnisse und Bezugnahmen zu anderen, vorgegebenen Texten nicht er­kannt werden. – Umgekehrt führen die Vorgänge innerbiblischer Schriftauslegung nachgerade auf literaturgeschichtlich relevante Beobachtungen, da diese Auslegungsprozesse in der Regel schriften- und zeitübergreifend ausgerichtet sind. Durch solche Bezug­nahmen lässt sich erkennen, welche Texte auf welche reagieren, wie sie ihre Positionen zueinander in Beziehung setzen oder voneinander abgrenzen. Ein gutes Beispiel hierfür findet sich etwa in der kritischen Aufnahme von Jes 65 f. in Qoh 1: Gegenüber den prophetischen Verheißungen eines neuen Himmels und einer neuen Erde hält Qoh 1 fest, dass nichts Neues unter der Sonne zu erwarten sei, sondern dass die Menschen nach wie vor an die Lebensbedingungen der vorfindlichen Welt gewiesen seien, 63 womit elementare Positionen der biblischen Urgeschichte (Gen 1–11) gegenüber Jes 65 f. bekräftigt werden.64

7. Das Verhältnis von Literaturgeschichte und Kanongeschichte


Besondere Beachtung verdient schließlich das Verhältnis von Literatur- und Kanongeschichte. Es liegen hinreichende historische Anhaltspunkte vor, damit zu rechnen, dass die alttestamentliche Literatur nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt per Dekret in einen kanonischen Status erhoben worden ist, sondern dass das Resultat der Kanonizität des Alten Testaments auf einem langen Prozess beruht, der sich weitgehend ohne institutionell abgestützte Entscheidungen abgespielt hat. Literatur- und Kanongeschichte folgen einander also nicht nach, sondern überlappen sich. Die Kanonsgeschichte reicht weit in die Literaturgeschichte hinein, da den Texten des Alten Testaments nach und nach zunehmende Autorität zugeschrieben worden ist.65 Gleichzeitig erstreckt sie sich über die Literaturgeschichte hinaus, Kanon ist ein erst nach­-biblisches Konzept.

Im Blick auf die neueren Forschungen zum alttestamentlichen Kanon sind vor allem zwei Erkenntnisse hervorzuheben, die als Rahmendaten für die weitere Diskussion zu respektieren sind. Zum einen ist vor allem mit der vollständigen Publikation der biblischen Texte aus Qumran66 deutlich geworden, dass der kanonische Abschluss des Alten Testaments in der Zeit zwischen 100 v. und 68 n. Chr. nicht dergestalt zu deuten ist, dass daraus ein einheitlicher Textbestand resultiert wäre.67 Mit Erhard Blum gesprochen – bei ihm auf den Pentateuch bezogen – gibt es keine Endgestalt biblischer Texte, sondern nur verschiedene Textzeugen.68 Die Vorstellung eines kanonischen Textes im Sinne seiner buchstabengetreuen Fixierung ist erst nachalttestamentlich – sie hängt mit dem Aufkommen der Inspirationslehre zusammen und lässt sich erst gegen Ende des 1. nachchristlichen Jh.s belegen (besonders deutlich in 4Esr 14 und bei Flavius Josephus, Contra Apionem I,8).69

Damit zusammenhängend darf heute auch als gesichert gelten, dass die übliche Standardtheorie zum hebräischen Bibelkanon, die von einer grundsätzlichen Konkordanz der Dreiteilung der hebräischen Bibel in Tora, Propheten und Schriften mit der Kanongeschichte ausgeht, nicht mehr vertreten werden kann. Die drei Ab­teilungen des Kanons spiegeln nicht die drei Hauptphasen seiner Entstehung.70 Vielmehr sind zum einen Tora und Propheten als Kanonabteile in enger Interaktion untereinander entstanden71 und zum anderen scheint die normative Schrift des Judentums um die Zeitenwende eine im Wesentlichen zweiteilige und nicht dreiteilige Struktur gehabt zu haben, wie die zahlreichen Referenzen auf »die Tora (bzw. Mose) und die Propheten« in der zeitgenös­sischen Literatur zeigen. Eine feste Dreiteilung als solche ist erst gegen Ende des 2. Jh.s n. Chr. bezeugt.72 Die Formierung eines eigenen Kanonteils »Schriften« scheint mit der Akzentuierung der be­sonders aus pharisäischer Perspektive wichtigen Alltagsrelevanz von Tora und Propheten zusammenzuhängen: Die »Schriften« er­klären, wie man gesetzes- und schriftgemäß leben kann.73

Der Weg zur Normativität der Schrift und schließlich dem Kanon ist durch zahlreiche Faktoren bestimmt. Zu ihnen zählen die Theologisierung des Rechts74 nach dem Untergang des Nordreichs und in dessen Gefolge die bundestheologische Konzipierung des Deuteronomiums als einer unbedingt bindenden Urkunde eines Vertrags zwischen Gott und seinem Volk,75 Vorgänge der Übertragung kultischer Funktionen auf Texte im Nachgang zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels, gewisse Rahmenbedingungen der persischen Religionspolitik,76 die schriftgelehrte Ausrichtung der Nicht-Tora-Texte an der Tora, der Entschluss zur paradigmatischen Abbildung verschiedener Literaturgattungen77 und andere mehr. Letztlich ist aber die Kanongeschichte nicht vollständig verstehbar, ohne dass man nach der theologischen Qualität der im Kanon versammelten Schriften fragt, die nicht zuletzt auch über deren Eigenschaft als mehrfach bereits im Verlauf ihrer biblischen Entstehung ausgelegte Schriften beschreibbar ist.78

V. Perspektiven


Dass es der alttestamentlichen Wissenschaft zum Gewinn gereichen wird, wenn sie das Projekt einer alttestamentlichen Literaturgeschichte weiter verfolgt, dürfte außer Frage stehen. Gleichzeitig ist aber auch vor überhöhten Erwartungen zu warnen. Die Haupthindernisse für die Entwicklung einer alttestamentlichen Literaturgeschichte – die mangelhafte Datenlage und die divergierende Forschungsdiskussion zu entstehungsgeschichtlichen Fragen der alttestamentlichen Literatur – werden durch neue Entwürfe nicht beseitigt werden und entsprechend werden solche neuen Zugänge zweifelsohne strittig bleiben. Doch die Notwendigkeit des Ge­schäfts historischer Rekonstruktion als solches bleibt von der Strittigkeit der Ergebnisse her unberührt.

Besondere Aufgaben künftiger Forschung werden zunächst in der differenzierten Verhältnisbestimmung von epigraphischen und archäologischen Quellen einerseits und den Bibeltexten andererseits liegen. Dazu ist allerdings in methodischer Hinsicht ein Konsens darüber zu erzielen, dass die historisch orientierte Bibel­exegese sich nicht vorrangig oder gar ausschließlich auf innertextliche Argumente und Zuordnungen stützen darf, sondern außertextliche Daten und Gegebenheiten von allem Anfang an mit in ihre Überlegungen einzubeziehen hat. Dieser Punkt mag prima facie einleuchtend sein, gleichwohl ist er in der gegenwärtigen Bibelforschung nicht unumstritten.79

Dann ist eine Klärung des Verhältnisses von äußeren Einflüssen und inneren Entwicklungen der Literatur des antiken Israel vonnöten. Welches Gewicht kommt für welche Literaturbereiche den Binnenfaktoren zu, welches den internationalen kulturgeschichtlichen Einflüssen? Diese Frage bedingt nicht zuletzt auch weitere Erkundungen im Bereich der altorientalischen Nachbarliteraturen.80

Schließlich ist die Vermittlung der unterschiedlichen internationalen akademischen Kulturen in der Bibelwissenschaft nach wie vor ein Desiderat. Namentlich im Bereich einleitungswissenschaftlicher Bestimmungen, die für den Entwurf einer Literaturgeschichte von entscheidender Bedeutung sind, divergieren die Forschungen in Europa, Nordamerika und Israel bezüglich Voraussetzungen, Methoden und Resultaten in einem solchen Maße, dass es wenig sinnvoll erscheint, sich mit dem status quo der gegenseitig informierten Beziehungslosigkeit zu bescheiden. Gerade hier könnte aber das Verfolgen von dezidiert literaturgeschichtlichen Fragestellungen gegenseitige Annäherungen und Aufklärungsprozesse mit sich bringen, die sich auch in anderen Teildisziplinen der alttestamentlichen Wissenschaft gewinnbringend auswirken könnten.

Summary


The Old Testament depicts itself as a collection of writings stemming from different periods. However, the particularities of the biblical picture fit primarily with the Bible’s own »narrated world.« Historically speaking, this portrayal does not correspond with the »world of the narrators« of the biblical books, but must instead be evaluated critically. The result of such an enterprise is a history of the literature of the Old Testament, an approach especially indebted to the legacy of Hermann Gunkel. Although the legitimacy and necessity of the project of a history of Old Testament literature can hardly be disputed, it nevertheless has remained in the shadow of other disciplines within biblical studies. The present article strives to assess the current state of the debate, to elucidate the main problems that need to be approached, and finally to suggest some avenues for future research.

Fussnoten:

1) Theißen, Gerd: Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem. Vorgetragen am 27.11.2004. Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2007. 371 S. 8° = Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 40. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-8253-5323-0, 17; bietet folgende Definition an: »Literatur sind zusammenhängende mündliche und schriftliche Texte, die ihrer Intention nach öffentlich sind und nicht in ihrem unmittelbaren Gebrauchszweck aufgehen.«
2) Das gilt sogar für die Schreiber: Wie der Befund in Qumran zeigt, sind biblische Schriftrollen bisweilen von mehr als einem Schreiber geschrieben worden (z. B. 1QJesa), vgl. E. Tov, The Copying of a Scroll, in: Ders., Hebrew Bible, Greek Bible, and Qumran, TSAJ 121, Tübingen 2008, 107–127, 115.
3) Vgl. P. Höffken, Das EGO des Weisen. Subjektivierungsprozesse in der Weisheitsliteratur, ThZ 41 (1985), 121–134.
4) Vgl. H. Utzschneider, Art. Literaturgeschichte II. Altes Testament, RGG4, Tübingen 2002, 405–408. Erkennbar ist dies besonders an den Psalmen oder am Jeremiabuch, die sich als aus Teilsammlungen unterschiedlicher Provenienz zusammengesetzt präsentieren.
5) Vgl. H. Najman, Seconding Sinai. The Development of Mosaic Discourse in Second Temple Judaism, JSJ 77, Leiden u. a. 2003, bes. 1–40; dies., Torah of Moses: Pseudonymous Attribution in Second Temple Writings, in: C. A. Evans (Hrsg.), The Interpretation of Scripture in Early Judaism and Christianity, JSP.S 33/SSEJC 7, Sheffield 2000, 202–216.
6) Vgl. K. Koch, Prophetenbuchüberschriften. Ihre Bedeutung für das hebrä­-ische Verständnis von Profetie, in: A. Graupner u. a. (Hrsg.), Verbindungslinien. Festschrift für Werner H. Schmidt zum 65. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 2000, 165–186; ferner H. M. Wahl, Die Überschrift der Prophetenbücher. Anmerkungen zu Form, Redaktion und Bedeutung für die Datierung der Bücher, EThL 70 (1994), 91–104.
7) Für weitere Zuschreibungen von Psalmen an Einzelne und Gruppen s. die Diskussion in J. C. Gertz (Hrsg.), Grundinformation Altes Testament. Eine Einführung in Literatur, Religion und Geschichte des Alten Testaments, UTB 2745, Göttingen 42010, 418 f. (M. Witte).
8) Vgl. Contra Apionem I,8 und dazu P. Höffken, Zum Kanonbewusstsein des Josephus Flavius in Contra Apionem und in den Antiquitates, JSJ 32 (2001), 159–177.
9) Vgl. E. A. Knauf, Audiatur et altera pars. Zur Logik der Pentateuch-Redaktion, BiKi 53 (1998), 118–126.
10) Vgl. J. Renz, Die vor- und außerliterarische Texttradition. Ein Beitrag der palästinischen Epigraphik zur Vorgeschichte des Kanons, in: J. Schaper (Hrsg.), Die Textualisierung der Religion, FAT 62, Tübingen 2009, 53–81.
11) Vgl. J. H. Tigay (Hrsg.), Empirical Models for Biblical Criticism, Philadelphia 1985; S. Metso, The Textual Development of the Qumran Community Rule, STDJ 21, Leiden u. a. 1997; E. Tov, Scribal Practices and Approaches Reflected in the Texts Found in the Judean Desert, STDJ 54, Leiden u. a. 2004; E. Ulrich, Qumran Witness to the Developmental Growth of the Prophetic Books, in: K. D. Dobos/M. Köszeghy (Hrsg.), With Wisdom as a Robe. Qumran and Other Jewish Studies in Honour of Ida Fröhlich, HBM 21, Sheffield 2009, 263–274.
12) C. Berner, Die Exoduserzählung. Das literarische Werden einer Ur­sprungslegende Israels, FAT 73, Tübingen 2010, 451, bestreitet etwa im Gefolge seiner kleinräumigen literarkritischen Differenzierung von Ex 1–15 jegliche mündliche Vorstufen der Exoduserzählung. Man darf allerdings fragen, ob dieses Resultat eher von der gewählten Methode als von den historischen Wahrscheinlichkeiten her begründet ist.
13) Vgl. dazu die Beiträge in J. Day (Hrsg.), In Search of Pre-Exilic Israel. Proceedings of the Oxford Old Testament Seminar, JSOT.S 406, London-New York 2004.
14) Vgl. Theißen, Entstehung, 19: »Literaturgeschichte des Neuen Testaments ist keine Theologiegeschichte. Die Texte wirken nicht nur dadurch, was sie theologisch sagen, sondern auch dadurch, wie sie etwas sagen.«
15) Vgl. zu diesem Topos die kundige forschungsgeschichtliche Studie von J. W. Rogerson, Die Bibel lesen wie jedes andere Buch? Auseinandersetzungen um die Autorität der Bibel vom 18. Jahrhundert an bis heute, in: S. Chapman u.a. (Hrsg.), Biblischer Text und theologische Theoriebildung, BThSt 44, Neukirchen-Vluyn 2001, 211–234.
16) Vgl. F. D. E. Schleiermacher, Über seine Glaubenslehre, an Herrn Dr. Lücke (1829), in: H. Bolli (Hrsg.), Schleiermacher-Auswahl, Gütersloh 1968, 120–175, 146.
17) H. Gunkel, Die Grundprobleme der israelitischen Literaturgeschichte, OLZ 27 (1906), 1797–1800.1861–1866; ders., Die israelitische Literatur, in: P. Hinneberg (Hrsg.): Die Kultur der Gegenwart. Ihre Entwicklung und ihre Ziele, Berlin 1906, 51–102 (Separatnachdrucke: Leipzig 1925 = Darmstadt 1963); vgl. dazu W. Klatt, Hermann Gunkel. Zu seiner Theologie der Religionsgeschichte und zur Entstehung der formgeschichtlichen Methode, FRLANT 100, Göttingen 1969, 166–192; Liwak, Rüdiger [Hrsg.]: Hermann Gunkel zur israelitischen Literatur und Literaturgeschichte. Zusammengestellt, eingeleitet u. hrsg. v. R. Liwak. Waltrop: Spenner 2004. XXI, 70 S. 8° = Theologische Studien-Texte, 6. Kart. EUR 10,00. ISBN 978-3-89991-014-8, IX–XXXI; M. Witte, Von der Analyse zur Synthese – Historisch-kritische Anmerkungen zu Hermann Gunkels Konzept einer israeli­tischen Literaturgeschichte, in: U. E. Eisen/E. S. Gerstenberger (Hrsg.), Hermann Gunkel revisited. Literatur- und religionsgeschichtliche Studien, Exegese in unserer Zeit 20, Münster 2011, 1–31. Für ältere Entwürfe vgl. die Darstellung bei K. Schmid, Methodische Probleme und historische Entwürfe einer Literaturgeschichte des Alten Testaments, in: S. Lubs/A. Ruwe/U. Weise (Hrsg.), Behutsames Lesen. Alttes­tamentliche Exegese im interdisziplinären Methodendiskurs, FS C. Hardmeier, ABG 28, Leipzig 2007, 340–366; Theißen, Entstehung, 25–28.
18) K. Budde, Geschichte der althebräischen Litteratur, Leipzig 1906.
19) H. Creelman, An Introduction to the Old Testament Chronologically Arranged, New York 1917.
20) J. Meinhold, Einführung in das Alte Testament. Geschichte, Literatur und Religion Israels, Gießen 1919.
21) J. A. Bewer, The Literature of the Old Testament in its Historical Development, New York 1922. Das Buch erlebte schon bis 1933 fünf Folgeauflagen und wurde 1962 noch einmal aufgelegt.
22) J. Hempel, Die althebräische Literatur und ihr hellenistisch-jüdisches Nachleben, Wildpark-Potsdam 1930.
23) A. Lods, Histoire de la littérature hébraïque et juive depuis les origines jusqu’à la ruine de l’état juif (135 après J.-C.), Paris 1950.
24) G. Fohrer, Erzähler und Propheten im Alten Testament. Geschichte der israelitischen und frühjüdischen Literatur, UTB 1547, Heidelberg 1989.
25) N. P. Lemche, Die Vorgeschichte Israels. Von den Anfängen bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts v. Chr., Biblische Enzyklopädie 1, Stuttgart 1996; V. Fritz, Die Entstehung Israels im 12. und 11. Jahrhundert v. Chr., Biblische Enzyklopädie 2, Stuttgart 1996; W. Dietrich, Die frühe Königszeit in Israel. 10. Jahrhundert v. Chr., Biblische Enzyklopädie 3, Stuttgart 1997; A. Schoors, Die Königreiche Israel und Juda im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. Die assyrische Krise, Biblische Enzyklopädie 5, Stuttgart 1998; R. Albertz, Die Exilszeit. 6. Jahrhundert v. Chr., Biblische Enzyklopädie 7, Stuttgart 2001; E. S. Gerstenberger, Israel in der Perserzeit. 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., Biblische Enzyklopädie 8, Stuttgart 2005; E. Haag, Das hellenistische Zeitalter. Israel und die Bibel im 4. bis 1. Jahrhundert v. Chr., Biblische Enzyklopädie 9, Stuttgart 2003. Vgl. dazu K. Schmid, Biblische Geschichte zwischen Historie und Fiktion, ZeitSchrift 48 (1999), 122–125.
26) C. Levin, Das Alte Testament, München 32006.
27) Vgl. die neueren Diskussionen bei M. Witte u. a. (Hrsg.), Die deuteronomistischen Geschichtswerke. Redaktions- und religionsgeschichtliche Perspektiven zur »Deuteronomismus«-Diskussion in Tora und Vorderen Propheten, BZAW 365, Berlin-New York 2006.
28) R. G. Kratz, The Growth of the Old Testament, in: J. W. Rogerson/J. M. Lieu (Hrsg.), The Oxford Handbook of Biblical Studies, Oxford 2006, 459–488.
29) Darunter K. Schmid, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008.
30) K. Koch, Was ist Formgeschichte?, Neukirchen-Vluyn 1964, 114.
31) Schniedewind, William M.: How the Bible Became a Book. The Textualization of Ancient Israel. Cambridge-New York: Cambridge University Press 22005. XIII, 257 S. m. Abb. gr.8°. Kart. £ 13,99. ISBN 978-0-521-53622-6.
32) D. Carr, Writing on the Tablet of the Heart. Origins of Scripture and Literature, New York 2005; vgl. auch u. Anm. 54.
33) Toorn, Karel van der: Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible. Cambridge-London: Harvard University Press 2007. X, 401 S. gr.8°. Kart. US$ 18,95. ISBN 978-0-674-03254-5. Zu nennen ist für die Anfänge nun auch der gehaltvolle Sammelband R. E. Tappy/P. K. McCarter (Hrsg.), Literary Culture and Tenth-Century Canaan. The Tel Zayit Abecedary in Context, Winona Lake 2009.
34) Vgl. auch W. Schniedewind, Aramaic, the Death of Written Hebrew, and Language Shift in the Persian Period, in: Sanders, Seth L. [Ed.]: Margins of Writing, Origins of Cultures. With contributions by S. L. Sanders, J. Kelly, G. Rubio, J. Dieleman, J. S. Cooper, Ch. Woods, A. Payne, W. M. Schniedewind, M. Silverstein, P. Michalowski, P.-A. Beaulieu, Th. van den Hout, P. Zimansky, Sh. Pollock, and P. Machinist. Chicago: The Oriental Institute of the University of Chicago 2006 (2., korr. Aufl. 2007). XI, 306 S. 4° = Oriental Institute Seminars, 2. Kart. US$ 24,95. ISBN 978-1-885923-39-4, 141–151.
35) I. Finkelstein/N. Silberman, The Bible Unearthed. Archaeology’s New Vision of Ancient Israel and the Origin of its Sacred Texts, New York 2001; dt.: Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel, München 2002. Die Konzentration auf das 7. Jh. findet sich bereits bei N. Na’aman, The ›Conquest of Canaan‹ in the Book of Joshua and in History, in: I. Finkelstein/Ders. (Hrsg.), From Nomadism to Monarchy. Archaeological and His­- torical Aspects of Early Israel, Jerusalem 1994, 218–281, 220, und wird dort mit der Fundbelegstatistik begründet.
36) P. Davies, In Search of Ancient Israel, Sheffield 1992. Eine etwas überzogen kritische Auseinandersetzung mit Davies bietet W. G. Dever, What Did the Bib­lical Writers Know and When Did They Know It? What Archaeology Can Tell Us about the Reality of Ancient Israel, Grand Rapids 2001.
37) Vgl. exemplarisch o. Anm. 26–29.
38) Vgl. W. Horowitz/T. Oshima/S. Sanders, A Bibliographical List of Cuneiform Inscriptions From Canaan, Palestine/Philistia, and the Land of Israel, JAOS 122 (2002), 753–766; dies., Cuneiform in Canaan. Cuneiform Sources from the Land of Israel in Ancient Times, Jerusalem 2006.
39) So schon vor 30 Jahren A. Lemaire, Les écoles et la formation de la Bible dans l’ancien Israël, OBO 39, Fribourg-Göttingen 1981; vor 20 Jahren zurechtgerückt durch D. W. Jamieson-Drake, Scribes and Schools in Monarchic Judah. A Socio-Archaeological Approach, JSOT.S 109/SWBA 9, Sheffield 1991.
40) Vgl. E. Puëch, L’ostracon de Khirbet Qeyafa et les débuts de la royauté en Israel, RB 117 (2010), 162–184.
41) Rollston, Christopher A.: Writing and Literacy in the World of Ancient Israel. Epigraphic Evidence from the Iron Age. Atlanta: Society of Biblical Literature 2010. XIX, 171 S. m. Abb. gr.8° = Society of Biblical Literature. Archaeology and Biblical Studies, 11. Kart. US$ 21,95. ISBN 978-1-58983-107-0.
42) N. Avigad, Bullae and Seals from Post-Exilic Judean Archives, Jerusalem 1976.
43) E. Ben Zvi, The Urban Center of Jerusalem and the Development of the Hebrew Bible, in: W. E. Aufrecht u. a. (Hrsg.), Urbanism in Antiquity. From Me­sopotamia to Crete, JSOT.S 244, Sheffield 1997, 194–209.
44) R. G. Kratz, Zwischen Elephantine und Qumran. Das Alte Testament im Rahmen des antiken Judentums, in: A. Lemaire (Hrsg.), Congress Volume Ljubljana 2007, Leiden 2010, 129–146, 132.
45) Sanders, Seth L.: The Invention of Hebrew. Urbana-Chicago: University of Illinois Press 2009. XVII, 259 S. m. Abb. gr.8° = Traditions. Geb. US$ 50,00. ISBN 978-0-252-03284-4.
46) Vgl. dazu R. G. Kratz, Israel als Staat und als Volk, ZThK 97 (2000), 1–17; N. Na’aman, The Israelite-Judahite Struggle for the Patrimony of Ancient Israel, Bib. 91 (2010), 1–23.
47) Das Buch des »Aufrechten« und des »Liedes« sind wahrscheinlich identisch: Der determinierte, aus sich kaum verständliche Titel »des Liedes« ist vermutlich aufgrund einer Verschreibung von yšr »aufrecht« zu šyr »Lied« zustande gekommen.
48) Vgl. R. G. Kratz, Die Redaktion der Prophetenbücher, in: Ders./T. Krüger (Hrsg.), Rezeption und Auslegung im Alten Testament und in seinem Umfeld, OBO 153, Fribourg-Göttingen 1997, 9–27; ders., Die Propheten Israels, München 2003.
49) Vgl. S. Parpola, Assyrian Prophecies, SAA IX, Helsinki 1997.
50) Vgl. mit unterschiedlichen Zugangsweisen und Fragestellungen J. M. G. Barclay, Jews in the Mediterranean Diaspora: From Alexander to Trajan (323 BCE–117 CE), Edinburgh 1996; O. Kaiser, Die alttestamentlichen Apokryphen. Eine Einleitung in Grundzügen, Gütersloh 2000; J. VanderKam, An Introduction to Early Judaism, Grand Rapids 2001; G. W. E. Nickelsburg, Jewish Literature between the Bible and the Mishna, Minneapolis 22005.
51) Vgl. o. Anm. 17.
52) Vgl. U. Becker, Die Wiederentdeckung des Prophetenbuches. Tendenzen und Aufgaben der gegenwärtigen Prophetenforschung, BThZ 21 (2004), 30–60.
53) Vgl. E. Zenger, Der Psalter als Buch, in: Ders. (Hrsg.), Der Psalter in Judentum und Christentum, HBS 18, Freiburg im Breisgau u. a. 1998, 1–57; ders., Die Psalmen im Psalter. Neue Perspektiven der Forschung, ThRev 95 (1999), 443–456; ders. (Hrsg.), The Composition of the Book of Psalms, BETL 238, Leuven 2010.
54) S. Niditch, Oral World and Written Word. Ancient Israelite Literature, Louisville 1996; D. M. Carr, The Formation of the Hebrew Bible. A New Reconstruction, New York 2011.
55) Vgl. z. B. E. Otto, Treueid und Gesetz. Die Ursprünge des Deuterono­miums im Horizont neuassyrischen Vertragsrechts, ZAR 2 (1996), 1–52.
56) Vgl. z. B. A. de Pury, Pg as the Absolute Beginning, in: T. Römer/K. Schmid (Hrsg.), Les dernières rédactions du Pentateuque, de l’Hexateuque et de l’Ennéateuque, BEThL 203, Leuven 2007, 99–128. S. zur Thematik insgesamt auch die Beiträge in W. Dever/S. Gitin (Hrsg.), Symbiosis, Symbolism, and the Power of the Past. Canaan, Ancient Israel, and Their Neighbors, from the Late Bronze Age Through Roman Palaestina. Proceedings of the Centennial Symposium W. F. Albright Institute of Archaeological Research and American Schools of Oriental Research, Jerusalem, May 29–31, 2000, Winona Lake 2003.
57) Vgl. R. G. Kratz, Die Redaktion der Prophetenbücher (s. Anm. 48), 9–27.
58) Vgl. besonders Na’aman, Struggle.
59) Vgl. etwa W. M. L. de Wette, Lehrbuch der christlichen Dogmatik in ihrer historischen Entwickelung dargestellt. Erster Theil. Biblische Dogmatik Alten und Neuen Testaments. Oder kritische Darstellung der Religionslehre des Hebraismus, des Judenthums und Urchristenthums, Berlin (Georg Reimer) 31831, 52 f. (§ 76); 93–95 (§ 119); 114 (§ 142); zum Antisemitismusvorwurf gegen diese Position vgl. für Wellhausen R. Smend, Wellhausen und das Judentum, ZThK 79 (1982), 249–282, wieder abgedruckt in: Ders., Epochen der Bibelkritik. Gesammelte Studien Bd. 3, BevTh 109, München 1991, 186–215.
60) Vgl. Lothar Perlitt, Hebraismus – Deuteronomismus – Judaismus, in: G. Braulik u. a. (Hrsg.), Biblische Theologie und gesellschaftlicher Wandel, FS Norbert Lohfink, Freiburg u. a. 1993, 279–295.
61) Der Ausdruck stammt von O. H. Steck, Die Prophetenbücher und ihr theologisches Zeugnis, Tübingen 1996, 84.
62) Vgl. im Überblick K. Schmid, Innerbiblische Schriftauslegung. Aspekte der Forschungsgeschichte, in: R. G. Kratz u. a. (Hrsg.), Schriftauslegung in der Schrift, FS O. H. Steck, BZAW 300, Berlin-New York 2000, 1–22, sowie den Literaturbericht von B. M. Levinson, Legal Revision and Religious Renewal in Ancient Israel, Cambridge 2008, 95–181.
63) Vgl. im Einzelnen T. Krüger, Dekonstruktion und Rekonstruktion prophetischer Eschatologie im Qohelet-Buch, in: A. A. Diesel u. a. (Hrsg.), »Jedes Ding hat seine Zeit …«. Studien zur israelitischen und altorientalischen Weisheit, FS D. Michel, BZAW 241, Berlin-New York 1996, 107–129 = T. Krüger, Kritische Weisheit, Zürich 1997, 151–172.
64) Vgl. wiederum T. Krüger, Die Rezeption der Tora im Buch Kohelet, in: L. Schwienhorst-Schönberger (Hrsg.), Das Buch Kohelet. Studien zur Struktur, Geschichte, Rezeption und Theologie, BZAW 254, Berlin-New York 1997, 173–193.
65) E. Ulrich, From Literature to Scripture. Reflections on the Growth of a Text’s Authoritativeness, DSD 10 (2003), 3–25.
66) Nun sehr gut zugänglich in E. Ulrich (Hrsg.), The Biblical Qumran Scrolls. Transcriptions and Textual Variants, VT.S 134, Leiden u. a. 2010.
67) Vgl. E. Tov, Der Text der hebräischen Bibel. Handbuch der Textkritik, Stuttgart 1997; J. C. VanderKam, Questions of Canon Viewed through the Dead Sea Scrolls, in: L. M. McDonald/J. A. Sanders, The Canon Debate, Peabody 2002, 91–109; E. Ulrich, Qumran and the Canon of the Old Testament, in: J.-M. Auwers/H. J. de Jonge (Hrsg.), The Biblical Canons, BEThL 163, Leuven 2003, 57–80; E. Tov, The Coincidental Textual Nature of the Collections of Ancient Scriptures, in: A. Lemaire (Hrsg.), Congress Volume Ljubljana 2007, VT.S 133, Leiden u. a. 2010, 153–169.
68) E. Blum, Gibt es die Endgestalt des Pentateuch?, in: J. A. Emerton (Hrsg.), Congress Volume Leuven 1989, VT.S 43, Leiden u. a. 1991, 46–57.
69) Vgl. o. Anm. 8 sowie C. Macholz, Die Entstehung des hebräischen Bibelkanons nach 4Esra 14, in: E. Blum (Hrsg.), Die hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte, FS Rolf Rendtorff, Neukirchen-Vluyn 1990, 379–391. Richtig bereits auch G. Hölscher, Kanonisch und Apokryph. Ein Kapitel aus der Ge­schichte des alttestamentlichen Kanons, Leipzig 1905, 25–35.
70) Vgl. zur Standardtheorie etwa noch die Skizze von O. H. Steck, Der Kanon des hebräischen Alten Testaments, in: W. Pannenberg/T. Schneider (Hrsg.), Verbindliches Zeugnis I, DiKi 7, Freiburg i. Br.-Göttingen 1992, 11–33. Dagegen vielmehr J. Barton, Oracles of God. Perceptions of Ancient Prophecy in Israel after the Exile, London 1986; J. J. Collins, Before the Canon: Scriptures in Second Temple Judaism, in: J. L. Mays u. a. (Hrsg.), Old Testament Interpretation: Past, Present and Future, Nashville 1995, 225–241; E. Ulrich, The Non-Attestation of a Tripar­tite Canon in 4QMMT, CBQ 65 (2003), 202–214; sowie bereits W. J. Beecher, The Alleged Triple Canon of the Old Testament, JBL 15 (1896), 118–128.
71) Vgl. S. B. Chapman, The Law and the Prophets. A Study in Old Testament Canon Formation, FAT 27, Tübingen 2000.
72) Vgl. S. G. Dempster, Torah, Torah, Torah. The Emergence of the Tripar­tite Canon, in: C. A. Evans/E. Tov (Hrsg.), Exploring the Origins of the Bible. Canon Formation in Historical, Literary, and Theological Perspective, Grand Rapids 2008, 87–127, besonders die Synopse 122–124.
73) Vgl. J. Steinberg, Die Ketuvim — ihr Aufbau und ihre Botschaft, BBB 152, Hamburg 2006.
74) Vgl. R. Albertz, Die Theologisierung des Rechts im Alten Israel, in: Ders., Geschichte und Theologie. Studien zur Exegese des Alten Testaments und zur Religionsgeschichte Israels, BZAW 326, Berlin-New York 2003, 187–207.
75) Otto, Treueid und Gesetz (s. Anm. 55); vgl. auch F. Crüsemann, Das »portative Vaterland«, in: A. u. J. Assmann (Hrsg.), Kanon und Zensur, München 1987, 63–79.
76) K. Schmid, Persische Reichsautorisation und Tora, ThR 71 (2006), 494–506.
77) Vgl. A. de Pury, Le canon de l’Ancien Testament, in: T. Römer u. a. (Hrsg.), Introduction à l’Ancien Testament, MoBi 49, Genève 2004, 17–39.
78) Vgl. K. Schmid, Ausgelegte Schrift als Schrift. Innerbiblische Schriftauslegung und die Frage nach der theologischen Qualität biblischer Texte, in: R. Anselm/S. Schleissing/K. Tanner (Hrsg.), Die Kunst des Auslegens. Zur Hermeneutik des Christentums in der Kultur der Gegenwart, Frankfurt a. M. u. a. 1999, 115–129.
79) Vgl. etwa J. Baden, J, E, and the Redaction of the Pentateuch, FAT 68, Tübingen 2009, 2: »The Documentary Hypothesis is a purely literary solution to a purely literary problem.«
80) Vgl. z. B. F. Hartenstein, Unheilsprophetie und Herrschaftsrepräsentation. Zur Rezeption assyrischer Propaganda im antiken Juda, in: M. Pietsch/ Ders. (Hrsg.), Israel zwischen den Mächten. FS S. Timm, AOAT 364, Münster 2009, 121–143.