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Ausgabe:

Februar/1997

Spalte:

195–198

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Evangelische Predigtmeditationen. 1990/91: Hrsg. von H. Blauert, K.-H. Bernhardt u. J. Hempel. Revidierte Ordnung der Predigttexte.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt = Lizenzausgabe der Evangelischen Predigtmeditationen, 46-50. 311 S.; VIII, VIII, 440 S.; VI, VIII, 437 S.; VI, VI, 438 S.; 442 S., 465 S. gr.8°. ISBN 3-374-00979-4; 3-374-01210-8 u. 3-374-01211-6; 3-374-01442-9 u. 3-374-01343-7; 3-374-1483-6 u. 3-374-01507-7; ISBN 3-374-01544-1 u. 3-374-01561-1; 3-374-01591-3 u. 3-374-01599-9.

Rezensent:

Martin Dutzmann

Reihe I. Bd. I: 1. Sonntag im Advent bis 5. Sonntag nach Ostern (Rogate) Bd. II.: Himmelfahrt bis Letzter Sonntag des Kirchenjahres. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt. 1991/92: Hrsg. von B. Berg, J. Hempel, u. W. Ratzmann. Revidierte Ordnung der Predigttexte. Reihe II. Bd. I: 1. Sonntag im Advent bis Kantate. Bd. II: 5. Sonntag nach Ostern (Rogate) bis Letzter Sonntag des Kirchenjahres. 1992/93, 1993/94, 1994/95, 1995/96: Hrsg. von F. Merkel, K.-P. Jörns, W. Ratzmann u. H. Stoevesandt u.a. Revidierte Ordnung der Predigttexte. Reihe III. Bd. I: 1. Sonntag im Advent bis Rogate. Bd. II. Himmelfahrt bis Letzter Sonntag des Kirchenjahres. Reihe IV. Bd. I: 1. Advent bis Himmelfahrt und Konfirmation. Bd. II: Exaudi bis Letzter Sonntag des Kirchenjahres. Reihe V. Bd. I: 1. Advent bis Exaudi u. Konfirmation. Bd. II: Pfingstsonntag bis letzter Sonntag des Kirchenjahres. Reihe VI. Bd. I: Advent bis Exaudi u. Konfirmation Bd. II: Pfingstsonntag bis Letzter Sonntag des Kirchenjahres.

1. F. Wintzer beendet seine Besprechung des dritten Sechsjahreszyklus der EPM mit folgenden Worten: "Abschließend ist mit Interesse zu fragen, wie sich das Verhältnis zwischen den Göttinger Predigtmeditationen und den Evangelischen Predigtmeditationen nach dem Wegfall der innerdeutschen Grenze gestalten wird." (in: ThLZ 119, 1994, 556). Die Frage ist seit EPM 1991/92 I beantwortet: Hatte es vor der Wende nur den Austausch einzelner Beiträge gegeben, so werden mit diesem Band EPM und GPM nach zwanzigjähriger erzwungener Trennung wieder ganz zusammengeführt. Ziel der Zusammenführung war und ist es, die Arbeiten "bewährter Autoren aus Ost und West" (F. Merkel im Vorwort) gemeinsam zu veröffentlichen. Aus "organisatorischen wie finanziellen Gründen" (ebd.) erschien der vierte Sechsjahreszyklus von EPM und GPM jedoch noch in zwei getrennten Ausgaben. Ab 1. Advent 1996 wird es nur noch eine Ausgabe unter dem Titel "Göttinger Predigtmeditationen" geben.

Das Ziel, die Autoren aus Ost und West zusammenzuführen, ist in EPM/GPM ab 1991/92 erreicht: Etwa ein Drittel der an jedem Band mitarbeitenden Autoren stammt aus den neuen, zwei Drittel aus den alten Bundesländern. Vereinzelt arbeiten auch Theologen aus Österreich, der Schweiz und den Niederlanden mit. Allerdings hat sich gegenüber den EPM vor 1991/92 eine deutliche Verschiebung ergeben: Kam dort noch der weit überwiegende Teil der Mitarbeitenden aus dem Pfarramt, so sind seit der Zusammenführung mit GPM die Professoren und Dozenten in der Mehrheit. Anzumerken ist schließlich, daß extrem wenige Beiträge von Frauen verfaßt sind. Andere vergleichbare Reihen, wie z. B. die "Predigtstudien", aber auch die "Neuen Calwer Predigthilfen" sind hier erheblich weiter.

Die Fusion mit GPM hat EPM noch in anderer Hinsicht verändert. So ist nach in den "Göttinger Predigtmeditationen" schon bewährter Weise jetzt der gottesdienstliche Kontext deutlich im Blick. Jeder Meditation sind die gottesdienstlichen Lesungen (Psalm, alttestamentliche Lesung, Epistel, Evangelium, ferner die römisch-katholischen Lesungen) vorangestellt, und oft finden sich am Ende eines Beitrags Liedvorschläge. Dies ist ohne Zweifel ein Gewinn. Für EPM ebenfalls neu sind die jetzt regelmäßig erscheinenden Meditationen zur Osternacht und zur Konfirmation.

2. Vielfalt gehört in EPM/GPM seit jeher zum Programm. So schreibt H. J. Iwand in seinem Vorwort zu den GPM 1954/55 (zit. bei F. Merkel in EPM 1991/92 I): "Die Vielfalt der Mitarbeiter entspricht der Vielfalt der Predigten. Uniformität ist niemals ein Zeichen geistlicher Einheit, der wahren Einheit im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung gewesen." Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen, soweit damit theologische Pluriformität gefordert wird. Methodisch jedoch ist den EPM/GPM mehr Einheitlichkeit zu wünschen. Der Prediger/ die Predigerin sollte, wenn er/sie zu einer Predigtmeditation greift, wissen, welche homiletischen Arbeitsschritte zu erwarten sind.

3. Trotz des wenig ausgeprägten methodischen Profils der EPM/GPM lassen sich gewisse Tendenzen ausmachen. Insgesamt ist zu beobachten, daß viele Beiträge besonders sorgfältige Exegesen enthalten, die die gängigen Kommentare, aber auch einschlägige Monographien verarbeiten. Damit werden Leserinnen und Leser daran erinnert, daß jede Predigt ihre Legitimation aus dem Zeugnis der Heiligen Schrift empfängt. Die ausführlichen Auslegungen sind ferner eine Hilfe für jene Predigerinnen und Prediger, denen nicht alle Exegetica unmittelbar zur Verfügung stehen.

Die gesellschaftliche, politische und kirchliche Situation, in der zu predigen ist, wird hingegen kaum mit derselben Intensität bearbeitet. Wo sie in den Blick kommt, bleiben die Angaben recht allgemein; konkrete und aktuelle Bezüge sind eher die Ausnahme. Als Beispiel für eine solche Ausnahme sei eine Meditation zum Altjahrsabend von W. Ratzmann genannt, in der wichtige predigtrelevante Ereignisse des Jahres 1995 erinnert werden. Ein Problem ist, daß die Autoren ihre Beiträge mehr als ein halbes Jahr vor dem Predigttermin einreichen müssen, so daß Aktualität nur sehr begrenzt überhaupt möglich ist. Fast jede Meditation bietet am Ende Überlegungen zur Predigt. Oft sind diese jedoch sehr knapp und wirken wie ein Appendix. Wünschenswert wäre es, wenn noch häufiger mögliche Predigt-intentionen und -aufrisse ­ auch aus der Predigtliteratur ­ vorgestellt würden, mit deren Hilfe Leserinnen und Leser das eigene homiletische Denken und Wollen klären können.

Außerdem wären mehr Hinweise auf Material aus Kunst und Literatur hilfreich. Beispielhaft ist in diesem Punkt eine Meditation für eine Predigt zu 1. Mose 11,1-9 am Pfingstmontag von H. Lahr (in: EPM 1992/93 II., 269ff). Lahr bietet alternativ drei exegetisch verantwortete Predigtmodelle an, dazu Bilder für eine Bildmeditation sowie literarische Texte als Gedankenanstoß. Hilfreich, weil konkret, sind auch die vielfältigen Materialien (Erzählungen, Dias, Lebensgeschichten), die R. Stuhlmann in seiner Bearbeitung von Lk 18,1-8 vorstellt (in EPM 1994/95 II, 415 ff).

Nur selten zu finden sind in EPM/GPM persönlich-biographische Zugänge zur Predigtaufgabe (Beispiel: A. Biskupski, in: EPM 1994/95 I, 235 ff.). Eine solche Betrachtungsweise könnte aber Predigerinnen und Prediger dazu ermutigen, die Rolle der eigenen Person im Prozeß der Predigtarbeit zu reflektieren.

4. Die Predigtmeditationen zu den Festen des Kirchenjahres bieten mitunter eine Besinnung auf die Eigenart des Kasus und bestimmen die Aufgabe der Festpredigt.

Advent: "Der erste Advent gehört zu den wenigen Sonntagen im Kirchenjahr, auf die viele Gemeindeglieder mit einer gewissen Erwartung zugehen. Eltern und Kinder, aber auch Jugendliche und ältere Gemeindeglieder wollen sich hinein begeben in die Botschaft und in das Brauchtum der vorweihnachtlichen Zeit." (W. Ratzmann in: EPM 1991/92 I, 5). Christnacht: "In der Nacht werden die Geheimnisse offenbart. In den Träumen der Nacht erschließen sich dem/der Einzelnen die verborgenen Wünsche und Ängste der Seele. In den Epiphanien der Nacht fällt in das Dunkel der Welt göttliches Licht. So wird auch in der Feier der Christnacht das zentrale Geheimnis des Festes enthüllt." (M. Josuttis in: EPM 1994/95 I, 31). Weihnachten: "Die gottesdienstliche Kerngemeinde versammelt sich... Nach dem Druck und der Unruhe des Heiligen Abends kann nun in größerer Ruhe und oft auch mit mehr geistlicher Tiefe gepredigt werden. Jetzt ist Zeit. Dieser Gottesdienst... ist der Ort der Vergewisserung der weihnachtlichen Botschaft in diesen unseren Tagen." (W. Ratzmann in: EPM 1992/93 I, 38). Eine besonders ausführliche und differenzierte Reflexion zum Karfreitag findet sich bei K. Moskon-Raschick (in: EPM 1994/95 I, 164-166): "Der Karfreitag, besonders im Protestantismus jahrhundertelang als höchster christlicher Feiertag angesehen, verliert zunehmend an Bedeutung.

Der rückläufige Gottesdienstbesuch am Karfreitag ist ein Indiz dafür, wie schwierig es ist, heute die theologische Signifikanz dieses Tages zu vermitteln. Konnte man noch vor Jahren davon ausgehen, daß ’ein allgemeines Gefühl von Nachdenklichkeit, Trauer über das Leiden in der Welt und Erinnerung an ungerechtes Sterben’ protestantische Christen am Karfreitag zum Gottesdienst motivierte, so fällt diese Sekundärmotivation weitgehend weg. Wer sich seinen Trauergefühlen stellen will, geht eher in den Film ’Schindlers Liste’, und wer seine Betroffenheit über das Leiden in der Welt zum Ausdruck bringen möchte, nimmt an einer Lichterkette teil. Für die Karfreitagspredigt... kann es sich als befreiend erweisen, auf die Kernfrage verwiesen zu werden, welches denn die spezifische Botschaft dieses Tages ist und was sie den Menschen heute bedeuten kann."

Vergleichbare homiletische Überlegungen zu Ostern und Pfingsten sucht man in den sechs Jahrgängen der EPM/GPM vergebens, zu Himmelfahrt finden sich Andeutungen bei K. H. Bieritz (in: EPM 1993/94 I, 223 f.). Die beschriebenen Ansätze einer Hermeneutik der christlichen Feste und einer daraus zu entwickelnden Beschreibung der Predigtaufgabe sollten verstärkt werden, denn zu den Festen des Kirchenjahres werden die Grundaussagen des christlichen Glaubens erinnert.

Eine Besonderheit von EPM/GPM gegenüber anderen Predigthilfen sind homiletische Bearbeitungen der jeweiligen Jahreslosung sowie Predigtmeditationen für die Osternacht und die Konfirmation. Diese Beiträge zeichnen sich vielfach durch grundsätzliche Erwägungen aus.

Die Jahreslosung der Herrnhuter Brüdergemeine prägt die Frömmigkeit vieler Gemeindeglieder und ist in den ersten Wochen eines Jahres Text vieler Predigten und Andachten. Diesem Umstand tragen die EPM/GPM Rechnung. Die Meditationen helfen durch sorgfältige exegetische Reflexion zu verhindern, daß der Bibelspruch aus dem Kontext gelöst und als Orakel mißbraucht wird. Auf Chancen und Gefahren beim Gebrauch der Jahreslosung machen W. Krusche in seiner Meditation zu Apg 5,29 (in: EPM 1992/93 I, 63 f.) und K. Engelhardt in seiner Bearbeitung von Klgl 3,22 (in: EPM 1995/96 I,66) aufmerksam. Beide Beiträge beziehen den biblischen Text sehr konkret auf die gesellschaftliche und politische Situation, wie sie sich zur Zeit der Abfassung des Manuskriptes darstellte.

Seit einigen Jahren sind auch in evangelischen Gemeinden Feiern der Osternacht verbreitet. Darauf haben die EPM/GPM reagiert, und auch hier finden sich in den Meditationen programmatische Äußerungen. K. H. Bieritz beschreibt die Aufgabe der Predigt in der Osternacht so:

"Der Gottesdienst in der Osternacht ist keine Auferstehungsfeier, sondern die Weise, in der die Christen das Passafest begehen: Leiden und Tod, Erweckung und Erhöhung Jesu werden hier als unteilbare Einheit erfahren, bezeugt und gefeiert. Die Verkündigung in der Osternacht hat nicht schlicht die Auferstehung Jesu, sondern das Geheimnis der Erlösung insgesamt zum Thema. Wer in der Osternacht predigt, wird daher nicht einfach eine Auferstehungspredigt halten. Er wird ­ in dem, was er sagt ­ jenen ’Übergang’ durch Leiden und Tod in das Leben nachzugestalten versuchen, den die Liturgie der Osternacht auf ihre Weise darstellt und vollzieht." (in: EPM 1991/92 I, 191). Und K. Raschzok formuliert: "Was ist nun die besondere Aufgabe der Predigt in der Osternacht? Ich sehe sie in einem deutenden Nachzeichnen des gemeinsam Erlebten als Hinführung zur sich an die Predigt anschließenden eucharistischen Feier. Predigt gestaltet so wie die gesamte Osternachtfeier einen Raum der Begegnung mit Gott. Der grundsätzliche Fragmentcharakter der Predigt wird gerade in der Osternacht deutlich." (in: EPM 1995/96 I, 190).

Eine eigene Prägung haben auch die Gottesdienste zur Konfirmation, weil hier kirchlich gebundene und distanzierte Gemeindeglieder beisammen sind. Sonntags- und Kasualgottesdienst sind zu einer spannungsvollen Einheit verbunden. Für F. Duensing ist die homiletische Konsequenz diese: "Man kann sicher sein: wenn die Konfirmationspredigt die Konfirmanden einigermaßen erreicht (sie nicht zeitlich überfordert, sie nicht mit ’christlichem Blabla’ unterfordert), dann bleiben auch sehr kirchenferne Gottesdienstbesucher aufmerksame Hörer." (in: EPM 1991/92 I, 235). Für die konkrete Predigtmeditation zu 1Tim 6,12-16 bedeutet das, daß der sehr komplexe Text auf einen Halbvers reduziert wird. Eine noch weiter reichende Entscheidung trifft K.-P. Jörns, wenn er über Spr 3,1-8 zur Konfirmation nicht predigt, sondern lediglich einen Vers aus der Perikope als Wunsch und Leitmotiv im Gottesdienst verwendet.

Fazit: Die EPM/GPM sind im Reigen der Literatur zur Predigtvorbereitung schon deshalb unverzichtbar, weil in der Regel sorgfältige Textauslegung mit homiletischer Perspektive geboten wird. Hinzu kommen die zuletzt genannten Besonderheiten. In Details wären Veränderungen wünschenswert, damit die gottesdienstliche Predigt nicht nur textgemäß, sondern auch lebensnah ist.