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Ausgabe:

Februar/2011

Spalte:

210-211

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Denecke, Axel

Titel/Untertitel:

Vollmächtig und liberal! Predigen in der Tradition des Juden Jesus. Mit einem Lernprogramm für die Praxis.

Verlag:

Berlin-Münster: LIT 2009. 176 S. gr.8° = Homiletische Perspektiven, 8. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-643-10062-7.

Rezensent:

Volker A. Lehnert

Mit dieser Homiletik legt Axel Denecke den »Ertrag« seiner »lebenslangen Arbeit in homiletischer Theoriebildung und konkreter Predigtpraxis« vor (5). Das Buch gliedert sich in drei Teile: einen Bericht über Predigterfahrungen, eine Betrachtung der Predigt Jesu und ein Lernprogramm für die Praxis.
Im ersten Teil erzählt D. von seiner homiletischen Jahresreise durch unterschiedliche Gottesdienste in der norddeutschen Tiefebene. Sein Fazit ernüchtert: »Ich habe leider eher resignierende als zuversichtliche, eher belanglose als belangvolle, insgesamt eher ohnmächtige als vollmächtige Predigten gehört. Begeisterte und begeisternde Predigten habe ich kaum gehört. Das ist ein schmerzliches Ergebnis« (27). Dass viele Predigen nicht ›zünden‹, führt D. auf fehlende innere Vollmacht zurück. Zündendes sei ihm fast ausschließlich bei evangelikal geprägten Predigern begegnet, die »einfach erfüllt von der Sache« waren (30). D. sucht nun einen Weg, diese Erfüllung auch innerhalb einer volkskirchlich-liberalen Theologie zu ermöglichen. Daher nennt er sein Programm »fundamental-liberal«: nicht in »liberalistischer Beliebigkeit«, aber auch nicht fundamentalistisch – ganz von der Person gedeckt, aber im­mer auch lernfähig und selbstkritisch, niemandem die Gottes­kindschaft absprechend, im Bekenntnis zugleich immer auch auf der Suche seiend, ganz im Sinne von Phil 3,12.
Solche »vollmächtige und darin grundliberale Predigt« (32) findet D. in der Predigtpraxis des Juden Jesus. Sehr wohl um die uferlose Diskussion um den historischen Jesus wissend, verortet D. sich faktisch in deren 4. Phase. James D. Dunn (›Jesus Remembered‹) wird allerdings nicht erwähnt. Da die ersten Gemeinden reale Er­innerungen an die Verkündigungspraxis Jesu hatten, finden sich deren Resonanzen in den Evangelien. Jesus predigte in »Vollmacht« (41). Er war vom Geist inspiriert und konnte daher andere inspirieren. Er setzte in Wort und Tat etwas in Bewegung. Er predigte frei und unerschrocken. Seiner »Klartext-Predigt« wohnte »therapeu­tische Kraft inne« (51). Jesu Predigt war von jüdischer Tora-Interpretation geprägt. Von N. Bialik und A. Heschel übernimmt D. die Kategorien der Halacha und der Aggada: »›Halacha‹ ist verbindlich, normativ und lässt der freien Interpretation keinen Raum. ›Aggada‹ ist bewusst mehrdeutig, ohne letzte Verbindlichkeit … und lässt … der freien Phantasie … und Weiter-Dichtung großen Raum« (61). Heute brauchen wir beides: Texttreue und kreative homiletische Phantasie. Zentrale Inhalte der Predigt Jesu waren das Reich Gottes, das Doppelgebot der Liebe, die Sündenvergebung und das Endgericht. In der Tradition des Juden Jesus haben wir auch heute damit zu rechnen, »dass sich Gottes Geist real in meine Predigt einmischen kann« (83). Die Verkündigung hat eine gleichsam »sakramentale Dimension« (92), die Menschen ins Herz trifft und therapeutische Wirkungen zeitigt. Sie ist daher mehr als nur ein Angebot, sie ist realer Zuspruch von Gott her, darin ist sie fundamental. Sie ist aber keine Bedrängung, bleibt selber Stückwerk, darin ist sie liberal. An vielen Textbeispielen führt D. sein Programm anschaulich durch.
Im dritten Teil bietet D. ein »Lernprogramm für die Praxis« (117 ff.), dessen spirituelle Seite auf den Exerzitien des Ignatius basiert. Danach beschreibt D. seinen eigenen Predigtweg von 1965 bis 2006. Dieser Teil erfüllt die Erwartungen an ein Lernprogramm nicht wirklich. Einige handwerkliche Hinweise zur Predigtvorbereitung schließen den Band ab.
Alles in allem ist dieses Buch ein sehr anregender Entwurf, den Spuren des Juden Jesus folgend zu predigen. Es will eine neue Be­geisterung für das Predigen wecken und inspiriert zu neuen exegetischen Entdeckungen und kreativen Predigtversuchen. Dass kein Gespräch mit wichtigen aktuellen homiletischen Entwürfen (Bu­-kowski, Engemann, Grözinger, Lütze, Nicol u. a.) erfolgt, ist allerdings schade. Auch sollten etliche Tipp- und Layoutfehler bei einer Neuauflage korrigiert werden.