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Ausgabe:

Februar/2011

Spalte:

208-210

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Strub, Jean-Daniel

Titel/Untertitel:

Der gerechte Friede. Spannungsfelder eines friedensethischen Leitbegriffs.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2010. 271 S. gr.8° = Forum Systematik, 36. Kart. EUR 34,80. ISBN 978-3-17-020973-2.

Rezensent:

Andreas Pawlas

Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts haben sich auch im ethischen Diskurs um Krieg und Frieden die Gewichte verschoben. In der jahrhundertealten Frage nach einem »gerechten Krieg« war hier die Dimension der Gerechtigkeit in Erinnerung behalten worden. Aber angesichts des nuklearen Dilemmas schien alles verändert und der Begriff »gerecht« im Hinblick auf Krieg und Frieden keinen Ort mehr zu haben. So akzeptierten auch viele Pazifisten in und außerhalb der Kirche unabhängig von allem »Gerechten« als einzige Option einen bedingungslosen einseitigen Verzicht auf nukleare Waffen, um aus dieser tödlichen Bedrohungslage herauszukommen. Allerdings sind gegenwärtig die auch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts trotzdem noch vorhandenen Nuklearwaffen weniger Debattengegenstand.
Aus der hier vorzustellenden, von Johannes Fischer betreuten und 2008 an der Theologischen Fakultät Zürich angenommenen Doktorarbeit von Jean-Daniel Strub wird deutlich, dass sich mittlerweile der Fokus der Arbeit der Friedensforscher und Friedensengagierten viel grundsätzlicheren Fragen zugewandt hat – nicht etwa, weil es seit dem Ende des Ostblocks keine kriegerischen Verwicklungen mehr gegeben hätte, sondern weil man gerade eher mehr und andersartige zu beklagen hatte. Möglicherweise mag es auch ein Ausbleiben der erwarteten »Friedensdividende« gewesen sein, dass man sich intensiver für eine Friedensvorstellung zu interessieren begann, wie sie bereits in den 60er Jahren von Galtung u. a. entwickelt wurde. Dort meinte man im Gegensatz zu einem sog. »negativen Frieden«, der lediglich ein Schweigen der Waffen bedeutete, für die Menschheit einen »positiven Frieden« fordern zu können und zu müssen, was sich dann gegenwärtig weitgehend wiederfindet in der Forderung nach einem »gerechten Frieden« oder, wie S. zum Teil auch sagen kann, einem »wahren Frieden« (11). Insofern würde der Begriff »gerecht« im Hinblick auf Krieg und Frieden wieder einen Ort gewinnen – eben als »gerechter Frieden«.
Dabei nimmt S. zu Recht wahr, dass sich hinsichtlich der Debatte »um den ›gerechten Frieden‹ bis heute grundlegende offene Fragen sowohl mit Blick auf die inhaltliche als auch mit Blick auf die funktionale Ebene« stellen (12) und dass sich hier eine Untersuchung »in Auseinandersetzung mit den etablierten Paradigmen des Pazifismus« auf der einen Seite und der »Theorie des gerechten Krieges auf der anderen Seite zu bewähren hat« (26). So untersucht er im 2. Kapitel seiner Arbeit im Blick auf die evangelische Friedensethik und ihre Relevanz für den »gerechten Frieden« das Pos­tulat »von der ›konstitutiven Interdependenz‹ von Frieden und Gerechtigkeit« (33) sowie die Überzeugung, »dass der Rede vom gerechten Frieden ein weiter, im biblischen shalom-Begriff verwurzelter Friedensbegriff zugrunde zu legen sei« (33).
S. lässt dabei aber zu Recht unbefriedigt, dass Gerechtigkeit in theologischer Perspektive »nicht als Grund allen Friedens verstanden werden [könne], sondern … vielmehr als eine Bedingung der nachhaltigen Sicherung und Festigung des Friedens aufzufassen« sei (54). Genauso unbefriedigend ist für ihn, dass das im 3. Kapitel untersuchte friedensethische Leitbild der deutschen katholischen Bischöfe zu »utopisch« (71) und der gerechte Friede als friedensethisches Leitbild bei Hans-Richard Reuter, Wolfgang Huber und in der Friedensdenkschrift der EKD zu »unterbestimmt« (94) sei. Dagegen wertet er Haspels Ansatz vom »›gerechte[n] Friede[n]‹ als ›normative[r] Theorie internationaler Beziehungen‹« höher, weil er letztlich auf das Konzept der human security weise (109).
In seinem 4. Kapitel »Friedenstheoretische Anfragen an die Rede vom gerechten Frieden« stellt S. zunächst einmal den Kontext der jüngeren friedenstheoretischen Diskussion vor (115 ff.). Allerdings tut er sicherlich den diversen prominenten deutschen Friedensforschungsinstituten Unrecht, die auf den Impuls von Gustav Heinemann hin gegründet wurden, wenn er von einer Institutionalisierung der Friedensforschung seit den 90er Jahren (119) spricht. Zudem bekräftigt er in diesem Überblick aber zutreffend, dass ein weiter Begriff (vom »positiven« oder »gerechten«) Frieden zu einer Leerformel verkommen muss, weshalb er es für erforderlich hält, den Friedensbegriff enger zu fassen und zu präzisieren (128 ff.). Dabei findet er in Senghaas’ Zivilisatorischem Hexagon durchaus Anregungen (154 ff.) und plädiert u. a. für eine Trennung von Friedensbegriff und Friedensbedingungen (159).
In seinem 5. Kapitel untersucht er sodann als ein konkretes historisches Beispiel für die Suche nach einem »gerechten Frieden« das sog. »Genfer Modell« für den Frieden in Israel und Palästina, in dem sich »gerechter Frieden« nur an korrekt einzuhaltenden Verfahrensregeln orientiere und sich auf das peacemaking beschränke (174 f.). Er muss dabei jedoch das Argument von Beteiligten gelten lassen, dass das Konzept des »gerechten Friedens« als »gefährlich« zurückzuweisen sei, da in einem Verhandlungsfrieden immer einer etwas als »ungerecht« empfinden könne (177). Er kommt letztlich so zur Unmöglichkeit eines formalen Begriffs des gerechten Friedens (202 ff.), obwohl der in diesem Abschnitt entwickelte Gedanken eines jus post bellum nicht uninteressant erscheint.
Wie S. in seinem 6. Kapitel darstellt, findet sich nun für ihn eine ausreichende Einengung und Konkretion des Verständnisses von einem »gerechten Frieden« in dem 1994 erschienenen Bericht des United Nations Development Programm, wo zuerst ein Konzept der human security (207 ff.) entworfen und in der internationalen Öffentlichkeit proklamiert, aber dann von Netzwerken und interessierten Gruppen immer weiter entwickelt worden ist. Immerhin darf sich S. dabei auch weitgehend im Konsens mit der jüngsten Friedensdenkschrift der EKD (Aus Gottes Frieden leben) von 2007 wissen.
Nun ist hinsichtlich des Human Security-Konzeptes sicherlich der Aspekt unbestritten ein Gewinn, dass höhere Friedensqualität nur durch Zusammenschau und Zusammenwirken von Friedens-, Militär- und Entwicklungspolitik (223) erreicht werden kann. Und ebenso ist es neu, fruchtbar und nicht ohne Verbindung zum elementaren christlichen Gebot der Nächstenliebe, dass damit nicht Staaten, sondern die Individuen als Adressaten von Frieden und Sicherheit (235) beachtet werden mit fundamentalem Bezug auf die Menschenrechte (245).
Allerdings muss dabei in schwieriger Weise offen bleiben, was es für demokratisch konstituierte und legitimierte Staaten und die in ihnen kultivierten politischen Prozesse bedeutet, wenn ihre Rechte und Pflichten durch Human Security-Aktivisten übergangen werden. Und wenn das Ziel von human security nach UNDP 1994 tatsächlich freedom from fear und freedom from want ist, so bleibt doch die von S. referierte Kritik Krauses unüberhörbar, nach der »Human Security bzw. der Gegenbegriff menschlicher Unsicherheit eine Art Synonym für alles Schlechte, das einem im Leben widerfahren könne«, sei (218). Und wäre dann die Idee eines »ge­rechten Friedens« wirklich befriedigender bestimmt und näher an ihrer Verwirklichung?
Ferner wird in christlichen Stellungnahmen nicht ohne Grund auf die Überweltlichkeit des Friedens verwiesen. S. erwähnt zwar auch die Eschatologie, rät aber doch, um »Entwertungen« oder Entmutigungen zu vermeiden, das ›utopische‹ Element nicht überzubetonen (244). Zweifellos würde sich jedoch der christliche Frieden, der »höher ist als alle Vernunft« niemals im »Utopischen« erschöpfen. Da es dennoch christlicher Auftrag bleibt, den Frieden zu su­chen und ihm »nachzujagen« (Ps 34,15), ist diese Studie ein verdienstvolles Werk zur Klärung eines Leitbegriffes gegenwärtiger Sozialethik.