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Ausgabe:

Februar/2011

Spalte:

191-194

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Nawrath, Thomas

Titel/Untertitel:

Globale Aufklärung. Sprache und interkultureller Dialog bei Kant und Herder.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 2009. 325 S. gr.8° = Epistemata. Reihe Philosophie, 456. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-8260-3950-8.

Rezensent:

Christian Danz

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Sylla, Bernhard: Hermeneutik der langue: Weisgerber, Heidegger und die Sprachphilosophie nach Humboldt. Würzburg: Königshausen & Neumann 2009. 435 S. m. Abb. gr.8° = Epistemata. Reihe Philosophie, 459. Kart. EUR 64,80. ISBN 978-3-8260-4009-2.


Bedingt durch die zunehmende religiöse und kulturelle Pluralisierung der modernen Gesellschaft sind in den letzten Jahren zahlreiche Untersuchungen zu kulturtheoretischen Problemen entstanden. Seien es theologische oder religionswissenschaftliche Studien zum interreligiösen Dialog, zu Theologien der Religionen oder Konzeptionen einer interkulturellen Philosophie – Kulturen und ihre Unterschiede, die Probleme des Verstehens fremder Kulturen sowie Fragen der normativen Beurteilung von Kulturen und deren Wertsysteme sind zu einem wichtigen Thema der theologischen und philosophischen Debatten geworden. In diesen Kontext gehören auch die beiden hier anzuzeigenden Studien von Thomas Nawrath und Bernhard Sylla.
Bei beiden Studien handelt es sich um Dissertationen, deren gemeinsamer Bezugspunkt in dem Verhältnis von Kultur und Sprache liegt. Die Arbeit von Nawrath wurde im Jahre 2008 von der Hochschule für Philosophie – Philosophische Fakultät SJ (München) als Promotion angenommen und die Untersuchung von Sylla bietet einen Teil seiner Promotionsschrift, die im Jahre 2008 unter dem Titel Die Sprachinhaltsforschung Leo Weisgerbers, ihre sprachphilosophischen Implikationen und ihr Bezug zu Heidegger an der Universität Minho in Braga/Portugal vorgelegt wurde. Sowohl Nawrath als auch Sylla gehen das Kulturthema aus der Perspektive der Sprache bzw. der neueren Sprachphilosophie an, wie sie vor allem durch Johann Gottfried Herder und Wilhelm von Humboldt geprägt wurde. Während Nawrath mit Kant und Herder geradezu klassische Autoren der modernen Kulturphilosophie in systema­tischer Absicht thematisiert, wendet sich die Studie von Sylla mit Leo Weisgerber einem nahezu vergessenen Autor zu. In dem be­grenzten Raum einer Besprechung können im Folgenden lediglich die Grundzüge der beiden Arbeiten vorgestellt werden.
Leo Weisgerber, dessen Sprachinhaltsforschung im Kontext der modernen Sprachphilosophie seit Humboldt die Studie von Sylla gewidmet ist, gilt seit den 20er und 30er Jahren als einer der wichtigsten Sprachforscher in Deutschland. Die Grundzüge seiner Sprachinhaltsforschung, ihre philosophischen Implikationen sowie ihr problemgeschichtlicher Kontext, vor allem dessen Verhältnis zur Philosophie Martin Heideggers, werden von Sylla in den fünf Kapiteln seines Buches ausführlich erörtert. Dabei geht es ihm vor allem darum, »die philosophischen Implikationen von Weisgerbers Sprachinhaltsforschung aufzuzeigen« (47). Sylla setzt nach Vorbemerkungen (9–11) im zweiten Abschnitt ( Grundpositionen der Sprachinhaltsforschung Leo Weisgerbers, 12–45) mit einem kurzen Überblick über Lebensweg und Werk Weisgerbers ein (12–14) und erörtert dann dessen Theorie des Sprachinhalts in Auseinandersetzung mit konträren Bedeutungstheorien. Dabei verstehe Weisgerber, wie Sylla herausarbeitet, die Sprache als ein Zeichensystem, in dem Bedeutung als eine innersprachliche Dimension verstanden wird (16). Sprache ist kein Abbild der Wirklichkeit, sondern sie konstituiert allererst Wirklichkeit. Diese Aspekte seiner Sprachinhaltsforschung hat Weisgerber in seine Theorien des sprachlichen Feldes sowie des sprachlichen Weltbildes (27–38) aufgenommen. Im umfangreicheren dritten Abschnitt (Die philosophischen Implikationen von Weisgerbers Sprachinhaltsforschung, 46–242) geht Sylla zunächst den philosophischen Implikationen der Thesen Weisgerbers nach und ordnet sodann dessen Sprachphilosophie in die sprachphilosophischen Debatten seit Humboldt ein. In diesem Abschnitt thematisiert Sylla mit Wilhelm von Humboldt, Ernst Cassirer, Ludwig Wittgenstein, Rudolf Carnaps bis hin zu Karl-Otto Apel u. a. geradezu klassische Autoren der modernen Sprachphilosophie. Bei diesem Durchgang durch die Problemgeschichte, der hier nicht im Einzelnen dargestellt werden kann, geht es Sylla vor allem darum zu zeigen, dass die philosophischen Implikationen von Weisgerbers Sprachinhaltsforschung nicht nur äußerst differenziert, sondern durchaus anschlussfähig an diese Debattenlagen sind.
Der vierte Abschnitt ist der Sprachphilosophie Martin Heideggers und ihres Verhältnisses zu der Sprachinhaltsforschung von Weisgerber gewidmet (243–407). Damit nimmt sich die Untersuchung einem in der Heideggerforschung bisher nicht untersuchten Forschungsfeld an. Nach Ausführungen zur Sprachphilosophie des jungen Heidegger wendet sich Sylla dessen Spätphilosophie zu, in deren Zentrum die Sprache steht. Dabei geht es ihm vor allem darum, die Sprachphilosophie Heideggers aus der Perspektive einer sprachwissenschaftlichen Theorie in den Blick zu nehmen. In einer kurzen Zusammenfassung (Schlussbemerkungen, 408–410) werden die wichtigsten Resultate resümiert.
Dem Problemkontext von Sprache und Kultur geht auch die Studie von Nawrath nach. Im Unterschied zu Sylla wird jedoch von Nawrath der interkulturelle Dialog in den Fokus der Untersuchung gestellt. Die methodischen Probleme und Voraussetzungen eines interkulturellen Dialogs werden zum Thema der Philosophie, die Nawrath im Durchgang durch die Konzeptionen von Kant und Herder als Repräsentanten der Aufklärungsphilosophie expliziert. Dieser Durchgang geschieht in systematischer Absicht, nämlich der der Begründung einer Philosophie des interkulturellen Dialogs. Dieses Anliegen versucht Nawrath in den sechs Kapiteln seiner Untersuchung zu begründen, wobei der Schwerpunkt auf Kants Transzendentalphilosophie liegt. In Anknüpfung an Kants Transzendentalphilosophie will Nawrath die Grundzüge einer transzendentalphilosophischen Begründung der Sprache bzw. der Kommunikation ausarbeiten, welche auf eine Verschränkung von empirischer und normativer Reflexion zielt (vgl. bes. 276–290).
Nach einer Einleitung, welche die mit dem interkulturellen Dialog verbundenen methodischen und hermeneutischen Probleme auslotet und die Grundzüge einer virtuellen Metaphysik andeutet (12–37), wendet sich der zweite Abschnitt der Philosophie Herders in einer werkgeschichtlichen Perspektive zu (38–154). Der Herderteil setzt ein mit dessen Kritik an der vorkritischen Philosophie Kants, wie sie in Herders Schrift Versuch über das Sein vorliegt, und geht dann über zu Hamanns Einfluss auf Herder. Auf der Grundlage der Auseinandersetzung Herders mit Hamann werden Herders Sprachphilosophie und dessen Kritik an Kants Kritik der reinen Vernunft erörtert, die auf das Sprachproblem zielt. In systematischer Hinsicht, und d. h. für Nawrath im Hinblick auf das Projekt einer virtuellen Metaphysik, bleibt Herders Metakritik an Kant defizitär (vgl. 154). Kapitel drei (Übergang von Herder zu Kant, 155–184) reflektiert die systematischen Anforderungen an eine Grundlagentheorie in einem Durchgang durch die Systemtheorien von Parsons, Luhmann, Fichte und Lambert. Die Probleme der im dritten Kapitel diskutierten Systemtheorien nimmt das Kant gewidmete vierte Kapitel der Studie auf. »Es bleibt zu fragen, ob auch eine an Kant geschulte Systematologie entsprechende Probleme gegenüber der Virtuellen Metaphysik haben wird, die sie prinzipiell nicht lösen kann.« (184)
In seinem Kant-Teil rekonstruiert Nawrath zunächst das Programm von Kants Vernunftkritik im Ausgang von dessen Brief an Marcus Herz vom 21. Februar 1772. In diesem Schreiben verknüpfte Kant das ihm vorschwebende Projekt einer Transzendentalphilosophie mit dem von Lambert ausgearbeiteten Systembegriff (vgl. 186–195). Nawraths systematische Rekonstruktion der Transzen­dentalphilosophie Kants sowie der diese leitenden Unterscheidungen zielt auf eine transzendentalphilosophische Begründung der Kommunikation, welche die methodische Grundlage für eine Philosophie des interkulturellen Dialogs darstellt. »Die Methodologie konnte als eine wissenschaftsphilosophische Erläuterung ausgearbeitet werden. Unter den möglichen Ansätzen stellte sich die Systematologie [sc. wie sie Kant unter Aufnahme von Motiven Lamberts ausgearbeitet hatte] als einzig gangbare Variante heraus, und darunter wiederum diejenige, die kein Organon, sondern lediglich einen Kanon vortrug.« (275). Da aber Kant keine Sprachphilosophie ausgearbeitet hat, seine Transzendentalphilosophie sich jedoch für eine Begründung der Möglichkeit von Kommunikation als anschlussfähig erweist, unternimmt Nawrath im 5. Kapitel seiner Untersuchung eine transzendentalphilosophische Begründung der Kommunikation im Anschluss an Kant. Hierzu verschränkt Nawrath den Kantischen Darstellungs- mit dem Handlungsbegriff. »Das Wort, das a priori als Hypotypose und a priori als Maxime möglich ist, würde im Sprechen beides zugleich betreffen: Indem die reale Versinnlichung in der Darstellung selbst Ziel einer Handlung würde (i. e. Sprechen), würde so die Zweck­-mäßigkeit in der Analogie der Symbolisierung zugleich eine praktische Zweckmäßigkeit evozieren, dem Begriff auch tatsächlich diesen Ausdruck zu verleihen. Im Sprechen wäre somit praktisch und a fortiori wenigstens der Sender bereits als Person ausgewiesen.« (284) Mit dem transzendentalphilosophischen Begriff der Kommunikation sind die methodischen Grundlagen der Virtuellen Metaphysik und die Bedingung der Möglichkeit von Globaler Aufklärung erreicht. So wenig aus der Transzendentalphilosophie ein Faktum abgeleitet werden kann, sondern lediglich die kategorialen Bedingungen des Aufbaus von Wirklichkeit, so wegweisend wird diese Einsicht für eine Philosophie des interkulturellen Dialogs. Auf der Grundlage einer transzendentalen Begründung der Kommunikation muss in einem interkulturellen Dialog weder eine Inkommensurabiltät der Kulturen noch ein Relativismus unterstellt werden. In diesem geht es vielmehr um eine Globale Aufklärung, die einen normativen Gehalt hat. Dieser liegt in der differenzvermittelten Aufklärung der eigenen kulturellen Identität der an einem solchen Dialog Beteiligten. »Darin erscheint das Individuum als konstitutiv für die Menschheit, wie die Menschheit umgekehrt in gleichem Maße als konstitutiv für das Individuum angesehen wird.« (301)
Während es Sylla darum geht, die auch für die Gegenwart re­-levanten philosophischen Implikationen der Sprachinhaltsforschung Leo Weisgerbers herauszuarbeiten, zielt die Studie von Nawrath auf eine normativ ausgerichtete Theorie des interkulturellen Dialogs. Die beiden Untersuchungen bieten interessante Beiträge zu dem Verhältnis von Sprache und Kultur.