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Ausgabe: | Februar/2011 |
Spalte: | 187-189 |
Kategorie: | Philosophie, Religionsphilosophie |
Autor/Hrsg.: | Kallhoff, Angela |
Titel/Untertitel: | Ethischer Naturalismus nach Aristoteles. |
Verlag: | Paderborn: Mentis 2010. 236 S. gr.8°. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-89785-712-4. |
Rezensent: | Wolfgang Erich Müller |
Der Naturalismus in der Ethik ist umstritten, weil er darauf abzielt, »Bewertungen durch den Bezug auf natürliche Eigenschaften« (20) zu rechtfertigen. Deshalb verdient die hier vorzustellende Studie, eine philosophische Habilitationsschrift in Münster, besondere Beachtung, da sie dem Aristotelischen Naturalismus in der Ethik gewidmet ist. Dieser berücksichtigt in der »Bestimmung guten Lebens natürliche Eigenschaften des Menschen« (11), ohne durch die Natur in der Handlungsfreiheit determiniert zu sein.
Gemäß der Horizontverschiebung von der antiken zur modernen Ethik erörtert Angela Kallhoff im ersten Teil ihrer Studie, wie Menschen heute ein »subjektiv als gut empfundenes Leben verwirklichen … und welche moralischen Anforderungen« (11) für ihr Miteinander begründet werden können. Dabei differenziert K. zwischen Ethik und Moral derart, dass erste – in Relation zu Aristoteles – das gute Leben als gekonnten Vollzug eigentümlicher Leistungen des Menschen reflektiert, während zweite auf einem Konzept der Verpflichtung gründet. Entsprechend gliedert sich die Arbeit so, dass in ihrem ersten Teil der ethische Naturalismus in der aristotelischen Glückskonzeption (37–115) und im zweiten Teil die Bedeutung des naturalistischen Arguments für gegenwärtige Moraltheorien (116–207) herausgearbeitet wird. In der vorgeordneten Propädeutik (19–36) grenzt K. den aristotelischen ethischen Naturalismus vom metaethischen und traditionellen Naturalismus ab. »Das besondere Charakteristikum der Aristotelischen Ethik ist erst erfasst, wenn auch die Verwirklichungsmöglichkeiten und -bedingungen des Strebens [nach dem Guten] einbezogen werden« (36), denn die Voraussetzung für ein gutes Leben liegt in dessen vernunftgemäßer Gestaltbarkeit.
Im Rahmen der Darstellung der Aristotelischen Ethik als einer Ethik des guten Lebens gewichtet K. das sog. Ergon-Argument sehr stark, da »es für die Interpretation der Eudaimonia als menschliches Gedeihen das zentrale Argument ist« (64). Denn hier wird im Sinn des aristotelischen Naturalismus dargelegt, dass die menschliche Natur das Lebewesen Mensch konstituiert, was sich in dessen bestimmten Tätigkeiten (dem ergon idion) auf angemessene Weise vollziehen kann – und damit ein gutes Leben realisiert. Die Bedeutung von gut versteht sich damit aus dem Verhältnis der Leistungen und des Lebens der Menschen. »Es wird erklärt, dass ein ›guter Mensch‹ zu sein bedeutet, gut darin zu sein, die charakteristischen Tätigkeiten des menschlichen Lebens gekonnt zu vollziehen« (114). Die Wertung von gut leitet sich damit nicht aus einer Naturphilosophie her. Sie beschreibt vielmehr »die gelungene Verwirklichung von Lebensmöglichkeiten«, womit »Naturverwirklichung und Selbstverwirklichung« (115) als Prozess des Lebens mit seinen Vervollkommnungsmöglichkeiten verstanden sind.
Im zweiten Teil ihrer Arbeit untersucht K. die Bedeutung des naturalistischen Arguments für eine Moraltheorie. Dabei weist sie die Positionen des biologischen Funktionalismus als Sollensbestimmung der Organismen und der subjektiven Wunschtheorien ebenso zurück, wie die des Perfektionismus als naturgemäßer Selbstentfaltung und des moralischen Realismus. In der Position des moralischen Egalitarismus, den K. unter besonderer Berücksichtigung des Ansatzes von Martha Nussbaum entfaltet, sieht sie »die Vorstellung von natürlichen Leistungsmöglichkeiten des Menschen mit einer normativen Vorstellung von Reziprozität« vermittelt, »indem Gerechtigkeitsforderungen mit Rücksicht auf Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen begründet werden« (119). Damit kann diese »Ethik menschlichen Gedeihens« (207) die antike Frage nach dem guten Leben in diejenige umformulieren, »was als universale Bedingungen eines freiheitlichen Lebens Gegenstand moralischer Regeln sein sollte« (211). Die Glücksmöglichkeiten des Menschen können so – mit Aristoteles – dahingehend ergründet werden, »was ihm seine Natur ermöglicht und was ihm das Leben mit anderen abverlangt« (214).
Damit hat K. ihr Ziel auf überzeugende Weise erreicht, die Relevanz eines aristotelisch geprägten ethischen Naturalismus für die Gegenwart aufzuzeigen, indem zwar die Bedeutung der Natur für die Ethik bedacht wird, ohne aber über eine Naturphilosophie den Radius menschlichen Handelns zu bestimmen oder einzuengen. Diese Arbeit besticht durch ihre klare Argumentation, in der gleichzeitig die umfangreiche gegenwärtige Diskussion präzis einbezogen worden ist. Einzig der Begriff des menschlichen Gedeihen s– als Ersatz für die unzureichende Übersetzung von eudaimonia als Glück – sollte m. E. so formuliert werden, dass die von K. sehr deutlich herausgearbeitete Dimension der aktiven menschlichen Selbstvervollkommnung stärker zum Ausdruck kommen kann.