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Ausgabe:

Februar/2011

Spalte:

181-182

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Klitzsch, Ingo

Titel/Untertitel:

Die »Theologien« des Petrus Abaelardus. Ge­netisch-kontextuelle Analyse und theologiegeschichtliche Re­lektüre.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2010. 623 S. gr.8° = Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 29. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-374-02761-3.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Der Autor dieser umfangreichen Monographie – eine Dissertation an der Theologischen Fakultät Jena 2007/08 und mit dem Promotionspreis 2009 ausgezeichnet – hat sich zur Aufgabe gestellt, die drei »Theologien« Abaelards »als unterschiedliche ›programmatische‹ … Aktualisierungen« seiner »›Trinitätstheologie‹ zu interpretieren« und in diesem Zusammenhang auch, was er »mit dem Be­griff ›theologia‹ verbindet« (27). Wie für Augustin sei »das Nachdenken über die Trinität … eine Konstante seines intellektuellen Lebens« (15). Die Forschung habe schon lange das Verhältnis der drei Fassungen zueinander beschäftigt, K. will jedoch der Frage nachgehen, inwiefern sie verschiedene Schwerpunkte setzte, und will darlegen, dass Abaelard weniger Rationalist als Theologe ist.
Nach einer kurzen Einleitung untersucht K. in drei Kapiteln die Theologien je für sich und zieht einen Ertrag (587–595). Ein um­fangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis ist beigegeben, aber leider kein Register.
Ausgangspunkt im I. Kapitel ist die »von Abaelard auf Christus zurückgeführte Unterscheidung der summi boni perfectio bzw. göttlichen Substanz mittels des Ternars potentia, sapientia, benignitas«. Abaelard entkräftet die Einwände, die »gegen die Trinität und Einheit« erhoben werden, damit, dass »Gott weder den Regeln der Logik noch der Grammatik unterworfen« sei (29–32). Zentral ist für ihn die These von einem natürlichen Wissen von der Trinität nach Röm 1. Er bindet die Gotteserkenntnis an ein Sich-Offenbaren Gottes (34.36) durch das Zeugnis der Bibel (49–51). Während seine Aussagen zur 1. und 2. Person der Trinität ziemlich blass bleiben (vor allem hinsichtlich der soteriologischen Aspekte Kreuz, Auferstehung und Gericht), steht bei ihm Pfingsten und damit die universale Geistausgießung im Zentrum heilsgeschichtlichen Denkens (106.115). Logische Argumentationskonzepte werden »›theologisch‹ akzentuiert«; die christlichen »Wahrheiten« sieht er schon bei Platon »in verhüllter Weise dargestellt« (164.161 f.). Nach einer sehr ausführlichen Untersuchung der Frage, ob das auf der Synode von Soissons verurteilte Werk die Theologia ›Summi Boni‹ oder ein Tractatus de unitate et trinitate divina sei, den er gegen die Häresie des Roscelin verfasst habe (165–239), urteilt K., dass hier alternative Deutungsmöglichkeiten naheliegen.
Kapitel II wendet sich der Theologia christiana zu und damit den Weiterentwicklungen bzw. Veränderungen in inhaltlich-methodischer Perspektive. Abaelard bittet seine Leser darum, die Theologia der Intention nach zu verstehen (299). Er hat sie im Anschluss an die Verurteilung in Soissons bei seinem Aufenthalt im »Parakleten« verfasst. Auch in dieser Summa hält er an seiner im Anschluss an Röm 1 gefassten »These von der Universalität des Glaubens an die Trinität« fest, wenn er auch stärker apologetisch formuliert (mit Rückgriff auf Augustin). Er meint, die fides trinitatis sei auch paganen Philosophen offenbart worden (260.263). Da er mit seinem in der Theologia ›Summi Boni‹ benutzten Ternar An­stoß erregt hatte, präzisiert er diesen jetzt und vertritt auch keine apokatastasis panton mehr, hält aber am Ternar als solchem fest (281.305). Einige Aussagen bezüglich Gott können nur von einer Person ausgesagt werden. Die Aussagen zu den jeweiligen trinitarischen Personen ändert er nicht unerheblich und konturiert sie deutlicher (306–342). Dazu kommt ein verstärkter Rekurs auf die Autoritäten. Insgesamt sieht K. in der Theologia christiana das »Pro­gramm seiner … ›Re-­form-Gemeinschaft‹ des Parakleten«, er meint also, dass sie aus dem Kontext seiner Lebens- und Lehrgemeinschaft zu verstehen sei und darum monastisch geprägt er­scheint (374.378).
In Kapitel III verdeutlicht K., dass Abaelard sowohl formal als auch inhaltlich in seiner Theologici ›Scholarium‹ »den Rahmen der Theologia christiana verlassen« und einen ihr eigenen Charakter gewonnen hat. Das neue Werk steht nicht mehr in monastischer Tradition, sondern ist von Abaelards erneuten Pariser Lehrtätigkeit her zu begreifen. Er versteht es als eine »sacrae eruditionis summa quasi divinae scripturae introductio« und relativiert wiederum seine Auslegung der Trinitätslehre als »bloße Meinung«, doch ist er davon überzeugt, weder die Autoritäten noch die Vernunft widersprächen der Deutung der trinitarischen Personennamen mittels des Ternars (379–389): Die später wieder gegen ihn erhobenen Vorwürfe stehen kaum in Verbindung zu dieser Theologia. K. konstatiert in ihr eine geringere Betonung der pneumatischen und ethischen Dimension zugunsten eines rationalen Momentes; ihm geht es darum, dass das Geglaubte auch verstanden wird (418–422). Das erregt den Widerspruch seiner Zeitgenossen.
Weiterhin gebraucht er den Ternar, den er aber klarer strukturiert. Wieder fällt sein geringes Interesse an der Soteriologie auf. Hinsichtlich der Pneumatologie betont er deren ökonomische Dimension. Insgesamt bleibt es dabei, dass Abaelard mit dieser Theologia ein Lehrbuch, eine »Summe der ›Heiligen Bildung‹ als Einführung in die Heilige Schrift« verfasst hat (556).
Gezielt greift er Themen aus der Theologia christiana auf und konzentriert sich »auf hermeneutische Fragen nach der Bedeutung der artes für die Darlegung der christlichen Lehre«. Als Strukturprinzip dient ihm die Trias fides (mit spes), caritas und sacramentum (579 ff.).
In Abaelards Denken ist also eine deutliche Entwicklung festzustellen, die seine eigenen aktuellen Lebens- und Lehrkontexte einbezieht. Seine Theologien sind kontextgebunden (588). K. ist da­von überzeugt: »Eine Konzentration auf den ›Logiker‹, ›Ethiker‹ bzw. ›Religionsdialogiker‹ oder ›Philosophen‹ verstellt unabdingbare As­pekte seiner Lehre« (590). Sein Denken kreist um zwei Pole, um den »asketisch-monastischen« und den »philosophisch-logischen«, beide aber sind christlich verwurzelt.
K. legt mit seinem umfangreichen Werk, das den Rahmen einer Dissertation sprengt, eine gründliche, ja minutiöse Analyse der drei Theologien Abaelards vor. Der Band zeigt eine bewunderungswürdige Gelehrsamkeit, ist aber nicht gerade leicht lesbar. Zweifellos wird er aber der Abaelard-Forschung wichtige Impulse geben.