Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2011

Spalte:

159-160

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Bouman-Komen, Truus

Titel/Untertitel:

Bruderliebe und Feindeshaß. Eine Un­tersuchung von frühen Zinzendorftexten (1713–1727) in ih­rem kirchenhistorischen Kontext.

Verlag:

Hildesheim-Zürich-New York: Olms 2009. 446 S. gr.8° = Nikolaus Ludwig von Zinzendorf Materialien und Dokumente. Reihe 2, 33. Lw. EUR 98,00. ISBN 978-3-487-14256-2.

Rezensent:

Stefan Michel

An Untersuchungen zu Nikolaus Ludwig von Zinzendorfs Leben oder Werk mangelt es nicht. Gleichwohl gelingt es Truus Bouman-Komen in ihrer Untersuchung, die zugleich als Dissertation an der Vrije Universiteit Amsterdam angenommen wurde, dem Leser neue Aspekte zur Entwicklung des jungen Zinzendorf zu bieten, in­dem sie sich den bisher von der Forschung kaum beachteten Quellen der Gedichte Zinzendorfs zuwendet.
In einem weiten Bogen stellt die Vfn. »die Problematik« (17–64) ihrer Arbeit vor. Dabei geht sie umfassend auf Fragen der Pietismus- wie der Zinzendorfforschung ein, stellt den bisherigen Forschungsstand dar und begründet ihre Methodik, die in einer werkimmanenten Interpretation besteht. Alle zu interpretierenden Texte werden außerdem historisch kontextualisiert. Ziel ist es, die Entwicklung des Bruder- bzw. Feindesgedankens bei Zinzendorf bis 1727 nachzuzeichnen, denen die Vfn. unterstellt, sie seien »wichtige Themen in Zinzendorfs Leben« (56).
Diesen Überlegungen folgt eine »Einführung in die analysierten Texte« (65–93), die aus Zinzendorfs »Teutschen Gedichten«, aber z. B. auch aus seinen Tagebüchern oder den »Letzten Reden« stammen. Bei diesen Gedichten Zinzendorfs handelt es sich um für seine Zeit durchaus übliche Gelegenheitsdichtungen, die er zu verschiedenen Anlässen wie Geburtstagen oder Todesfällen verfasste. Interessanterweise vergleicht die Vfn. die beiden Ausgaben von 1735 und 1766 miteinander und versucht darüber hinaus, handschriftliche Überlieferungen im Unitätsarchiv Herrnhut heranzuziehen. So kann sie Änderungen gezielt verfolgen. Die für die Arbeit herangezogenen nichtpoetischen Texte dienen der Vfn. zur Kontextualisierung der poetischen Arbeiten. Äußerst kleinteilig untersucht nun die Vfn. die »Texte aus der früheren Periode (bis um 1720)« unter den Aspekten »Feindbild und Feindeshaß« (95–168) sowie »Bruderbild und Bruderliebe« (169–212). Die Texte von 1720 bis Ende 1727 untersucht sie unter den Gesichtspunkten »Ehe und Brüderlichkeit« (213–259), »Gottes Gnade und menschliche Liebe und Leistung« (261–314) so­wie »Überkonfessionelle Liebe als Überwinder und Erreger von Feindseligkeit« (315–415). Schon diese neuen Kategorien deuten die Entwicklung Zinzendorfs in diesem kurzen Zeitraum an. Eine deutsche (417–425) und eine niederländische (429–441) Zusammenfassung beschließen den Band. Reich wird aus den Quellen zitiert, so dass dem Leser vieles Nachschlagen erspart bleibt.
Durch diese sehr quellenbezogenen Untersuchungen, die im­mer wieder mit der Forschungsliteratur unterfüttert werden, kann die Vfn. zahlreiche Details herausarbeiten, die der Zinzendorfforschung bislang wenig oder nicht bekannt waren – so Hintergründe aus Zinzendorfs Studienzeit in Wittenberg oder die Mitglieder der »Gesellschaft der Bekenner Christi« (Heinrich XXIX. Graf Reuss-Ebersdorf). Ihre Themenstellung behält sie dabei immer im Auge und kann gerade durch diese biographischen Studien z. B. den Gebrauch des »Brudernamens« erhellen, der vom sonst üblichen Gebrauch in dieser Zeit etwas abweicht und sich an Menantes anlehnt. Immer wieder gelingt es der Vfn., Zinzendorfs Denken – z .B. im Bezug auf die Ehe – in seinen Dichtungen aufzuspüren und zu kontextualisieren. Zugleich sieht man den jugendlichen Zinzendorf in seiner Entwicklung, auf die die Orthodoxie, der Hal­-lische Pietismus und andere pietistische Strömungen (philadelphische Be­wegung) Einfluss nahmen. Die späten Gedichte des Untersuchungszeitraums illustrieren entsprechend ein Herauswachsen Zinzendorfs aus dem Kreis der »frommen Höfe«, da er nun seinen eigenen Weg geht. Er wird die Bedeutung des Adels ebenso anders beurteilen, wie das, was falsche Lehren sind.
Die Arbeit kann eine Anregung sein, sich auch verstärkt mit Zinzendorfs Liedern auseinanderzusetzen. Das häufige Vorkommen des Namens Heinrich XXIX. Graf Reuss-Ebersdorf unterstreicht die Notwendigkeit, den Ebersdorfer Hof und seinen Einfluss auf Zinzendorf stärker in den Blick der kirchen- und frömmigkeitsgeschichtlichen Forschung zu nehmen, wie auch sonst die kleinen Höfe stärker in das Blickfeld der Pietismusforschung rücken könnten. Leider fehlt dem Buch ein Register, was seine punktuelle Benutzung erschwert. Gelegentlich hemmt die starke Gliederung die Lesefreude.