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Ausgabe:

Februar/2011

Spalte:

156-158

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Metzner, Rainer

Titel/Untertitel:

Die Prominenten im Neuen Testament. Ein prosopographischer Kommentar.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. 695 S. gr.8° = Novum Testamentum et Orbis Antiquus. Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, 66. Geb. EUR 84,00. ISBN 978-3-525-53967-5.

Rezensent:

Martin Stowasser

Diese in alter Rechtschreibung verfasste Monographie von Rainer Metzner widmet sich den Prominenten des Neuen Testaments, da Geschichte nur verstehbar ist, wenn man die darin handelnden Personen und ihre Verwobenheit mit den beschriebenen Ereignissen kennt, also ihre konkreten Lebensprofile erhebt. Als prominent gelten unabhängig vom sozialen Status Personen, »die sich durch Herkunft und Ansehen (durch ›zweite‹ Personen), aber auch durch Leistung, Einfluss und Wirkung, die wiederum Einfluss auf das Ansehen durch andere haben konnten, einen ›Namen‹ gemacht haben, der sie über die Masse der Namenlosen und Unbekannten heraushob« (18). M. strebt allerdings keine Prosopographie der christlichen Gemeinden an, sondern wählt jenen Personenkreis aus, der aus dem Umfeld des Neuen Testaments stammt. Er zielt auf die Prominenten der Welt- und Lokalgeschichte. »Ihren Einfluss auf das frühe Christentum und ihre Rolle im Neuen Testament zu beschreiben, ist das Ziel dieser Arbeit.« (21) So findet man also die »christlichen« Zentralgestalten des Neuen Testaments nicht, also weder Johannes den Täufer, Jesus, seine Jünger, Paulus oder Barnabas, wohl aber Augustus, Pilatus oder Kaiphas, ebenso einen Manaën (Apg 13,1), den namenlos überlieferten Stadtsekretär von Ephesus (Apg 19,35–40) oder Nero redivivus (Offb 13; 15; 17).
Als prosopographischer Kommentar sucht M., zwei Aspekte zu verbinden. Unter der Rubrik »Profilskizze« sind historisch-biographische Informationen zusammengetragen, die aus biblischen wie nichtbiblischen Quellen aller Art stammen, in Einzelfällen auch aus der Wirkungsgeschichte. Letzteres lässt den grundsätzlichen Lexikoncharakter spürbar werden. Eine spezielle Literaturliste rundet die Profilskizzen jeweils ab. Daran schließt ein »Kommentar« des biblischen Textes an, in dem die behandelte Person vorkommt. Im Zentrum stehen die Prominenten, in welchem Licht sie gedeutet werden; eine detaillierte Exegese ist hingegen nicht beabsichtigt. Im Grunde erfolgt also eine synchrone themenzentrierte Auslegung einzelner Textabschnitte mit vorgeschalteter historischer Rückfrage zur erwähnten Person. Untersucht werden (in dieser Abfolge): MkEv, MtEv, LkEv, JohEv, Apg, Röm, 2Kor, Phil, 1Tim und Offb. Insgesamt kommen ca. 60 Profilskizzen zustande, deren Ausführlichkeit von den zur Verfügung stehenden Quellen ab­hängt. Sie sind bei der Ersterwähnung einer Person angesiedelt, in der Folge wird bei weiteren perikopenartigen Auslegungen nur noch auf sie rückverwiesen.
Die Arbeit versteht sich als Pilotprojekt, das einerseits am gegenwärtig lebendigen prosopographischen Interesse in der Bibelwissenschaft anknüpft, aber durch stärkere Anbindung an die Texte selbst über lexikonartige Zusammenfassungen hinaus »gesättigte Prosopographien« bieten möchte. Zugleich sucht sie sich in der forschungsgeschichtlichen Großlandschaft zu positionieren und die Kritik an einer (inzwischen korrigierten) Sicht des frühen Christentums als bloßes Unterschichtenphänomen aus prosopographischer Sicht zu verstärken. Überlegungen zum Begriff der Prominenz (11–21) stehen dem Analyseteil (23–624) voran, eine stratigraphische Einordnung der Prominenten (625–637) schließt ihn ab, gefolgt von einem umfangreichen Literaturverzeichnis (638–677), einem Stellen- (678–692) sowie Namen- und Sachregister (693–695).
Die großflächige Anlage des Werkes bedingt das Bewältigen einer beeindruckenden Fülle an Sekundärliteratur und neutestamentlichen Texten. Es bietet dabei einen ausgezeichneten Überblick des prosopographischen Diskussionsstandes, wobei sich M. im historischen Urteil eher nüchtern und gegenüber allzu großer Hypothesenfreude zurückhaltend positioniert. Für eine detaillierte Argumentation fehlt freilich öfter der Platz, was auch für den exegetischen Teil gilt. Eigenständige neue Forschungsergebnisse werden also nicht geboten, sind aufgrund der umfangreichen Konzeption des Werks aber auch nicht zu erwarten.
Die Einschätzung des Gesamtkonzeptes fällt schwer, weil es gerade in seiner Durchführung manche Erwartungen unbefriedigt lässt, vielleicht aber auch lassen muss. In der gewählten Vorgehensweise wird eine Zusammenschau des exegetischen Befundes nicht versucht, der so – trotz seiner durchaus exzellenten Qualität– Stückwerk bleibt. Es hätte sich zumindest nahegelegt, je Buch et­waige (schichtspezifische?) Unterschiede im Vorkommen oder im Verhältnis zu den Prominenten herauszuarbeiten. Ebenso hätte es nahe gelegen, zumindest exemplarisch ein lukanisches Pilatusbild neben ein markinisches oder matthäisches zu stellen und so die angepeilte je spezifische Sicht auf einzelne Prominente im Neuen Testament zu schärfen.
Da die exegetischen Abschnitte eher dienende Funktion besitzen, um die zentralen Profilskizzen als »gesättigte Prosopographie« zu qualifizieren, und ihre Verzahnung eher schwach ausfällt, wäre ein gegenteiliges Konzept, nämlich eine Zusammenstellung aller relevanten Bibeltexte im Anschluss an sie eventuell zielführender gewesen. Der Durchgang entlang biblischer Bücher mit einem Rückverweissystem zu den Profilskizzen führt z. B. zu 11 verstreuten Kommentaren zu Pilatuspassagen und zwangsweise zu etlichen Redundanzen (gerade bei synoptischem Material). So oder so fehlt dem Werk ein synthetisches Element. Dafür sind die zusammenfassenden Ausführungen zur Stratigraphie am Ende des Buches kein Ersatz und an Neuigkeitswert zu bescheiden.
Auch in der Realisierung erweist sich die Aufteilung zwischen Profilskizze und Auslegungsteil öfter als schwierig. Wenn Jairus (Mk 5,21–24.35–43 [23 ff.]) »die Rolle des Stellvertreters des Hilfsbedürftigen ausübt« (24), beschreibt ihn das zwar aktantenanalytisch für eine Totenerweckungserzählung korrekt, gehört aber nicht in eine historische Profilskizze. In diese ragen dafür diachrone Fragen zum Text, also aus dem Kommentarteil, hinein (Jairus als erfundener symbolischer Name; Entwicklung einer Heilungs- zu einer Erweckungserzählung etc.), werden aber da wie dort nicht behandelt, obwohl dadurch der historische Kern der Erzählung und damit des behandelten Prominenten zur Diskussion steht. – Die historische Bewertung der Differenzen zwischen dem Bericht des Josephus und dem der Evangelien über den Tod des Täufers (40 ff.) erfolgt im Auslegungsteil zu Herodes Antipas (Mk 6,14–29), hat aber sachlich ihren Ort eher in der Profilskizze, ist sie doch in ihrem Ergebnis wichtig für die historische Profilierung des Tetrarchen.
Diese Beispiele wollen nicht beckmesserisch verstanden werden, signalisieren sie doch Probleme, die mit der Anlage des Werkes zu tun haben, bei der das Bessere sich vielleicht als Feind des (durchaus!) Guten und ein Pilotprojekt sich als noch entwicklungsfähig erweist. Es ist wohl gelungen, über ein lexikonartiges Konzept hinauszugehen und den prosopographischen Zugang durch die Verbindung mit den Texten zu bereichern, das umfassendere Ziel, den Einfluss der Prominenten auf das frühe Christentum darzustellen (21), erweist sich als zu hoch gesteckt. Dieser Horizont lässt sich durch eine Zusammenstellung von Profilskizzen nicht erreichen, sondern bedarf einmal mehr synthetischer Elemente.
Die sporadische Aufnahme moderner Autoren mit spezifischen Seitenangaben ins Namen- und Sachregister, das sonst antik orientiert ist, bleibt unerklärt und auch an den konkreten Fällen nicht nachvollziehbar.