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Ausgabe:

Februar/2011

Spalte:

150-152

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Erlemann, Kurt

Titel/Untertitel:

Unfassbar? Der Heilige Geist im Neuen Testament.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2010. X, 211 S. 8°. Kart. EUR 16,90. ISBN 978-3-7887-2426-9.

Rezensent:

Volker A. Lehnert

Nach seiner hervorragenden Monographie Wer ist Gott? Antworten des Neuen Testaments, 2008 (vgl. meine Rezension in ThBeitr 40 [2009], 362 f.) sind die Erwartungen an den zweiten Band von Kurt Erlemanns Trilogie hoch. Und sie werden erfüllt. Der Wuppertaler Neutestamentler präsentiert mit seinem Buch Unfassbar? eine be­eindruckende Zusammenschau und Interpretation der vielfältigen Geistvorstellungen des Neuen Testaments. Das als Einführung konzipierte Buch ist sehr verständlich geschrieben, didaktisch ge­schickt angelegt und verzichtet auf umfangreiche wissenschaft­liche Anmerkungsapparate.
In 14 Kapiteln erschließt E. das umfangreiche Textmaterial. Alle Dimensionen der Geistaussagen kommen zur Geltung: die anthropologische, die israeltheologische, die christologische, die schöpfungstheologische, die noetische, die existenzielle, die ethische, die ekklesiologische, die homiletische, die soteriologische und auch ihre Polyphonie. Im letzten Kapitel fragt E. nach den roten Fäden in den vielfältigen Geistvorstellungen. Die unerschöpfliche Fülle der Aspekte dieses Buches ist nicht referierbar. Die Rezension kann nur dazu anregen, dieses wichtige Buch durchzuarbeiten, denn es bringt ein lange vernachlässigtes Thema fundiert und griffig zur Sprache. Gleichwohl seien einige wesentliche Aspekte skizziert:
E. stellt gleich zu Beginn heraus, dass alle menschliche Rede vom Geist Gottes immer nur bildhaft sein kann. Absolute Aussagen werden Gott nicht gerecht: »Der jüdisch-christliche Gott ist dynamisch, wandelbar und voller Überraschungen. Dasselbe gilt für seinen Geist.« (3) Entsprechend fragt E. auch nicht nach dem Geist »an sich«, sondern nach seinen »Wirkungen« (3). Im ersten Kapitel stellt E. die wesentlichen Grundfunktionen des Geistes zusammen: Der Geist spendet Leben und nimmt in der frühjüdischen Theologie »eine zentrale Rolle bei der Weltschöpfung« ein (4), er befähigt zur Christus- und Gotteserkenntnis (1Kor 2,1–12), er widersteht dem Bösen (Mt 4,1–11), er ist Fürsprecher bei Gott (Röm 8,27), er inspiriert bestimmte Menschen, etwa Propheten. Er schenkt Geistesgaben (1Kor 12–14) und ermöglicht die urchristliche Mission (Apg 10,19.44). Er befähigt zum Leben nach dem Willen Gottes (Röm 5,5) und realisiert die Verheißung des neuen Bundes (Jer 31,31–34; Ez 36,26 f.), indem er die »Gegenwart Gottes im Menschen« »verkörpert« (23) und ihn dadurch real verändert. Alles in allem fungiert er proleptisch als »Vorschuss« auf das verheißene Heil Gottes (5).
Auch in diesem Buch gelingen E. einige besonders griffige, gut verständliche und elementarisierte moderne Sprachbilder, die es für Bildungs- und Verkündigungsarbeit sehr interessant machen. So beschreibt er die Heiligung durch den Geist als »Runderneuerung« des Menschen oder als »Startkapital für ein Leben in göttlichem Auftrag« (55). Der Geist ist das »probate Gegenmittel gegen die ›Werke des Fleisches‹« (101). Durch den Geist schenkt Gott den Glaubenden einen »Blick hinter die Kulissen der Weltgeschichte« (67). Hinsichtlich der homiletischen Aufgabe fungiert der Geist als »Bekenntnis-Soufleur« (72) und »managt … die Wahrheit über Gott und seinen Sohn« (79). Er gewährleistet ein »Rundum-sorglos-Paket« für Verkündiger (164). Er ermöglicht dem Menschen, die Tora »im Geiste ihres Erfinders« zu verstehen (103), und sorgt dafür, dass »der Draht zur Lehre Jesu nicht abreißt« (113). Was »Jesus zeichenhaft getan hat«, das wird »durch den Geist sukzessive fortgeführt … bis der ganze kósmos durch die Wahrheit erfüllt ist« (194). Fazit: Der Geist ist gerade nicht die unsichtbare, sondern die er­kennbare, erfahrbare Seite des Gottes Israels. Er ist sein »sanfter Weg zur Versöhnung«, auf dem Gottes Zuwendung »zur Welt und den Seinen eine neue, unübertreffliche Qualität und Transparenz erreicht« (196).
Dass E. sowohl griechisch-römischen Geistkonzeptionen als auch der platonisch bzw. idealistisch geprägten Auslegungs- und Wirkungsgeschichte der neutestamentlichen Rede vom Geist nicht ausführlich nachgeht, sei ob der gebotenen Stofffülle ausdrücklich nachgesehen. Niemand kann in einer Monographie alles sagen. Dieses höchst anregende Buch jedenfalls schließt eine wichtige Lücke innerhalb der neutestamentlichen Exegese. Es zeigt nicht weniger als die erfahrbare Seite Gottes und ist darin im genuinen Sinne des Wortes theologisch. Es sei daher zur eigenen Lektüre wärmstens empfohlen.