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Ausgabe:

Februar/2011

Spalte:

149-150

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Choi, Young Sook

Titel/Untertitel:

»Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark«. Die paulinischen Peristasenkataloge und ihre Apostolatstheologie.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 2010. X, 329 S. 8° = Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, 16. Kart. EUR 58,00. ISBN 978-3-7720-8338-9.

Rezensent:

Robert Vorholt

Die koreanische Theologin Young Sook Choi publiziert unter dem genannten Titel ihre im Jahr 2008 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz angenommene Dissertationsarbeit. Die Monographie widmet sich den fünf in der korinthischen Korrespondenz begegnenden Peristasenkatalogen und der darin zum Ausdruck kommenden Apostolatstheologie. Ziel ist es, nicht nur die traditionsgeschichtlichen Hintergründe der sog. »Leidenstafeln« zu beleuchten, sondern auch der Frage nachzugehen, welchen Stellenwert sie im Horizont einer sich entwickelnden Theologie des Apostels Paulus haben.
Der Aufbau des Buches ist klar und stringent. Eine Reihe von Ergebnissicherungen macht es zudem leicht, dem Argumentationsduktus zu folgen. Am Beginn der Untersuchung steht ein Forschungsüberblick zum hellenistisch-populärphilosophischen, aber auch zum alttestamentlichen und jüdisch-apokalyptischen Traditionshintergrund der Peristasenkataloge. Paulus bewegt sich der Vfn. zufolge auf vorgeprägten Bahnen und setzt doch auch ganz eigene Akzente.
Das zweite Kapitel widmet sich dem einzigen Peristasenkatalog des Ersten Korintherbriefes (1Kor 4,6–13) und gewährt einen soliden exegetischen Einblick in dessen Inhalt und Funktion. Als sein zentrales Motiv wird der Gekreuzigte und sein Leiden vorgestellt. Insofern der Peristase daran gelegen sei, den Kreuzestod Christi zu vergegenwärtigen und so zur Einheit der Gemeinde beizutragen, werde 1Kor 4,9 nahezu sakramental zum Ort der Realpräsenz des Leidens und Sterbens Jesu.
Im dritten Kapitel werden die vier Peristasenkataloge des Zweiten Korintherbriefes sorgsam analysiert. Die Vfn. bewegt sich hier auf den sicheren Bahnen des exegetischen Forschungskonsenses und stellt die Peristasen 2Kor 4,7–15 und 6,3–10 in ihrem inneren Zusammenhang mit der paulinischen Darlegung und Begründung seiner apostolischen Diakonia, die Peristasen 2Kor 11,21b–30 und 12,9–10 im Kontext der polemischen Auseinandersetzung des Apos­tels mit seinen Gegnern dar. Die Häufung der Wortfamilien »Schwachheit« und »Kraft« sei ein Indiz für das Ringen zwischen dem Apostel und seiner enthusiastischen Gemeinde um ein angemessenes theologisches Verständnis im Licht paulinischer Kreuzes- und Auferweckungstheologie. Ob und inwiefern die Peristasenkataloge als ein Ort der Entstehung dieser Theologie beschrieben werden dürfen, stellt die Vfn. zur Diskussion. Jedenfalls rekurriere Paulus im Paradoxon von Schwachsein und Starksein nicht nur auf seine eigene menschliche Verfasstheit, sondern bringe gerade so die Wirksamkeit Christi in seiner apostolischen Exis­tenz zum Ausdruck. Dadurch würden die Peristasen verstehbar als Ausdruck und Zeugnis einer Theologie der Existenz in Gestalt einer Theologie der Existenz des Paulus.
Am Ende münden die Beobachtungen der Vfn. in die Frage nach der Bedeutung der Peristasenkataloge für Paulus und die von ihm gegründeten Gemeinden und zeichnen das Bild biographisch herleitbarer Leidenstafeln als Ausdruck einer christologisch fundierten Theologie und einer darin zu verortenden Leidensexistenz des Apostels. So erweisen sich gerade die leidvollen Erfahrungen des Apostels als ein Ort, an dem Paulus die Zuwendung und Kraft Gottes erfährt, die er braucht, um seinen Dienst vollziehen und das Evangelium glaubwürdig verkünden zu können.
Die Ergebnisse, zu denen das Buch gelangt, sind markant. Der Vfn. gelingt es, den inneren Zusammenhang von Kreuzestheologie und Apostolatstheologie aufzuzeigen und dabei den Blick für die biographischen Implikationen paulinischer Theologie zu schärfen. Die paulinischen Peristasenkataloge werden vor diesem Hintergrund als sprachliche, rhetorische und literarische Kunstwerke interpretiert, die eine Vorform theologischer Reflexion des Apostels in gebundener und verdichteter Sprache darstellen. Als solche könnten sie Ausdruck der spirituellen, seelsorglichen und missionarischen Dimension paulinischer Theologie sein, die sich aus den Konflikten und Auseinandersetzungen um den richtigen Weg der korinthischen Gemeinde herauskristallisiere. Ob das Votum für die Einheitlichkeit des Zweiten Korintherbriefes aufgrund der theologischen und motivgeschichtlichen Einheitlichkeit der paulinischen Peristasen tragfähig ist, kann getrost der weiteren exegetischen Diskussion anheim gegeben werden.
Das Buch schließt mit dem »Nachwort einer koreanischen Theo­login«. Die Leidenstafeln des Apostels mit ihrer impliziten bzw. expliziten antithetischen Struktur erinnern die Vfn. an die Koexistenz von Gegensätzen, wie sie für die Tradition ihrer Heimat prägend sei. Gerade dieses, durch Paulus als iterative Gleichzeitigkeit gedeutete Ineinander von Schatten und Licht, Trauer und Freude, Leid und Zuversicht, Tod und Leben werde im Sein in Christus verwirklicht. So stellt ihr Buch ein exegetisch präzises, theologisch fundiertes und zuletzt spirituell einladendes Nachdenken über den Apostel, seine Existenz und seinen Dienst dar.