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Ausgabe:

Februar/2011

Spalte:

141-142

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fischer, Irmtraud, Navarro Puerto, Mercedes, u. Andrea Taschl-Erber [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Hebräische Bibel – Altes Testament: Tora.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2010. 443 S. m. Abb. gr.8° = Die Bibel und die Frauen, 1/1. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-17-020975-6.

Rezensent:

Michaela Geiger

Der zu besprechende Band stellt den ersten Teil eines ambitionierten Projektes dar: Die auf 22 Bände konzipierte Enzyklopädie »Die Bibel und die Frauen«, die von Irmtraud Fischer, Mercedes Navarro Puerto, Jorunn Økland und Adriana Valerio herausgegeben wird, will »die gesamte Geschichte der Bibel und ihrer Auslegung in Bezug auf Frauen und genderrelevante Fragen für die bearbeiteten Kulturräume exemplarisch aufzeigen« (15). Die ersten drei Bände sind der Hebräischen Bibel gewidmet, die folgenden dem Neuen Testament (2.1; 2.2) und den pseudepigraphischen und apokryphen Schrifen (3.1; 3.2). Neben unterschiedlichen christlichen Denominationen ist auch die jüdische Bibelauslegung und Rezeption im Horizont des Projektes (20–24; 4.1–4.3) vertreten – wenngleich der Tora-Band keinen jüdischen Beitrag enthält –, während die islamische Rezeption in der Anlage bisher nicht berücksichtigt wird. Weitere zwölf Bände sollen die Rezeptionsgeschichte der biblischen Texte von der patristischen Zeit (5.1) bis in die Gegenwart (9.2) behandeln. Darüber hinaus verfolgt die Enzyklopädie das Ziel, die Vernetzung der theologischen Genderforschung in Europa zu befördern (10), indem Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Sprachräumen versammelt werden und die geplanten Beiträge auf je einer Tagung zur Diskussion stellen. Über den Prozess der Buchentstehung hinaus ist zu erwarten, dass das gleichzeitige Erscheinen aller Bände auf Englisch, Italienisch, Deutsch und Spanisch die innereuropäische Vernetzung befördert, so dass die späteren Bände bereits von der etablierten Zusammenarbeit und den übersetzten Beiträgen profitieren können.
Die Aufgabe des ersten Bandes ist eine dreifache: Es geht darum, in die Konzeption der Enzyklopädie einzuführen (vgl. die Einleitung der Reihenherausgeberinnen), methodische Grundlagen für die drei Bände über die Hebräische Bibel zu entfalten (Teil I: »Die Bibel als gewachsene Schrift einer Epoche«) und »Frauentexte und genderrelevante Fragestellungen in der Tora« (Teil II.) exemplarisch zu erschließen.
Teil I beginnt mit einem Beitrag von Silvia Schroer, der anhand einer Reihe von Einzelbeispielen aus der Tora skizziert, wie ikonographische Funde aus der altorientalischen Umwelt das Verständnis einzelner Texte vertiefen können. Der Beitrag von Carol Meyers ist eher grundsätzlicher Natur, indem er zu­nächst die Schwierigkeiten entfaltet, vor denen eine archäologische Rekonstruktion von Frauengeschichte steht, um dann eine detailreiche Darstellung des weiblichen Alltags in »Alt-Israel« auf der Basis der archäologischen Funde zu unternehmen. Sophie Démare-Lafont stellt die »rechtliche Stellung von Frauen in den juristischen Texten des Alten Orients« gut nachvollziehbar dar, indem sie auf den sozialen Status von Frauen, auf Familiengesetze, Frauen in Kult, Wirtschaft und Strafrecht eingeht. Die Darstellung setzt ein Wissen um die Geschichte Mesopotamiens voraus, da die unterschiedlichen Zeiten, Regionen und Kulturen nicht eigens vorgestellt, sondern gemeinsam behandelt werden. Der letzte Beitrag im ersten Teil entfernt sich vom altorientalischen Umfeld der biblischen Texte: Donatella Scaiola präsentiert die Geschichte des Kanonbegriffs und der neueren Diskussion um einen »canonical approach«, die in diesem Band jedoch von keinem der folgenden Beiträge aufgegriffen wird.
Der zweite, der Tora gewidmete Teil enthält eine gelungene Zu­sam­menstellung überblicksartiger und vertiefender Beiträge, die – meist auf der Basis eigener Publikationen – wesentliche Aspekte der Genderforschung zur Tora abdecken und einige ungewöhnlichere Aspekte aufnehmen. Fokussiert werden insbesondere die Frauengestalten der Bücher Genesis und Exodus.
Den Auftakt bildet der Beitrag von Thomas Hieke zur Rolle der Frauen in den Genealogien der Genesis, der insbesondere durch seine knappe, sehr informative Einordnung der Genealogien in ihr altägyptisches, altorientalisches und griechisches Umfeld überzeugt (151–164). Der Beitrag von Irmtraud Fischer stellt eine gut lesbare, umfassende Präsentation ihrer umfangreichen Forschung über die Frauen der Erzeltern-Erzählungen dar. Jopie Siebert-Hommes befasst sich in allgemeinverständlicher Weise mit den zwölf »Töchtern« in Ex 1–2. Nach ihrer Arbeit zu Mirjam analysiert Ursula Rapp in diesem Band die Gestalt der Zippora, während die Interpretation der Prophetin Mirjam Mercedes García Bachmann überlassen bleibt. Die Gesetzestexte der Tora werden von Dorothea Erbele-Küster im Blick auf Reinheitsvorstellungen, von Karin Finsterbusch im Blick auf »Fremdbestimmung und Eigenständigkeit« von Frauen untersucht.
In hermeneutischer Hinsicht folgen die genannten Beiträge den an deutschsprachigen Universitäten geläufigen historisch-kritischen oder literaturwissenschaftlichen Methoden – ohne das freilich als kontextuellen Zugang zu thematisieren. Dagegen bietet der Beitrag von Mercedes Navarro Puerto eine eigenwillige, zum Teil schwer zugängliche Lesart von Gen 1–3, die sie als »psychoanthropologische Interpretation« (186 f.) versteht. Leider werden die hermeneutischen Prämissen und die Verortung dieses Interpre­ta­tionsansatzes in der (spanischsprachigen?) Forschung nicht deutlich genug benannt, so dass dieser Dialogimpuls sein Potential nicht entfalten kann. Der Aufsatz von Mercedes García Bachmann entwickelt eine lateinamerikanisch-befreiungstheologische Lesart der Prophetin Mirjam, die jedoch über das close reading der relevanten Texte hinaus noch stärker profiliert werden müsste, um als eigenständiger Beitrag zur inzwischen relativ umfangreichen Forschungsgeschichte zu Mirjam sichtbar zu werden.
Die Beiträge des Bandes eignen sich durch ihre gute Lesbarkeit für einen ersten Einstieg in das jeweilige Thema ebenso wie als Ausgangspunkt vertiefter Forschungen, für die das Literaturverzeichnis am Ende des Bandes eine wichtige Ergänzung darstellt. Im Blick auf die Konzeption des Bandes wäre eine stärkere Vernetzung der einzelnen Artikel wünschenswert gewesen. So stehen die Beiträge von Siebert-Hommes zu Ex 1–2, Rapp zu Zippora und García Bachmann zu Mirjam unverbunden nebeneinander; auf die ikonographische Deutung Schroers zu Ex 1 (49 f.) wird von Siebert-Hommes nicht verwiesen, die Deutung Finsterbuschs zu Mirjams Aussatz in Dtn 24,8 f. von García Bachmann nicht einbezogen. Auch die Chance eines Dialogs zwischen den Beiträgen zum altorientalischen Rechtswesen (Démare-Lafont) und den alttestamentlichen Rechts­texten (Erbele-Küster, Finsterbusch) wird nicht genutzt. Schließlich ist es im Blick auf die starke Betonung der unterschiedlichen Kontexte der Forschenden in der Konzeption des Projekts verwunderlich, dass (jenseits der jeweiligen Universität) über die Autorinnen und den Autor keine biographischen Informationen enthalten sind.
Der erste Band der Enzyklopädie »Die Bibel und die Frauen« stellt einen gelungenen Überblick über die europäische Genderforschung zur Tora dar. Er macht die Konturen eines spannenden Projekts deutlich, die in den folgenden Bänden weiter ausgefüllt werden sollen.