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Ausgabe:

Februar/2011

Spalte:

135-138

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Baker, David L.

Titel/Untertitel:

Tight Fists or Open Hands? Wealth and Poverty in Old Testament Law.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2009. XXIV, 411 S. gr.8°. Kart. US$ 36,00. ISBN 978-0-8028-6283-9.

Rezensent:

Rainer Kessler

Der im australischen Perth lehrende britische Autor legt, basierend auf seinen bisherigen Arbeiten zu Fragen der alttestamentlichen Sozialgesetze, nun eine umfassende und höchst informative Studie vor. Sie deckt alle Themen, die mit der Frage von Wohlstand und Armut zu tun haben, ab.
Gleich der erste Satz des Buches gibt zu erkennen, dass es sich für B. um ein durchaus aktuelles Thema handelt: »The magnitude of the problem of wealth and poverty at the beginning of the third millennium can hardly be overstated« (XIII). Dennoch schreibt B. kein sozialethisches, sondern im strengen Sinn ein exegetisches Buch. Dass er dabei ebenfalls gleich zu Beginn seinen theologischen Standort benennt, dient nur der Klarheit. Zwischen den Polen von »a simplistic prosperity theology« und »liberation the­-ology’s ›prefrential option for the poor‹« (XIII) geht es ihm um »a balanced, holistic theology« (XIV).
Nach einer Einleitung, die einen kurzen Überblick über die altorientalischen und biblischen Gesetzeskorpora gibt, untergliedert B. den Hauptteil des Buches nach Rechtsfeldern. Er bildet drei Hauptblöcke: »Property and Land«, »Marginal People« und »Justice and Generosity«. Diesen ordnet er zehn Kapitel zu, die engere Rechtsbereiche abdecken. Bei »Eigentum und Land« sind das »Eigentumsrechte«, »Aus Eigentum erwachsende Verantwortlichkeiten« und die Frage des »Väterlichen Landbesitzes«. Unter »Marginalisierte Personen« fallen »Sklaven und Sklavinnen«, »Halbsklaven« und »Andere verwundbare Gruppen«. Den Block »Gerechtigkeit und Wohltätigkeit« bilden schließlich die Kapitel »Gerechte Gerichtsverfahren«, »Teilen der Ernte«, »Großzügige Darlehen« und »Fairer Handel«. Auch diese Kapitel sind noch einmal unterteilt, doch würde es zu weit führen, dies alles hier aufzuzählen. Als Beispiel seien nur aus dem ersten Hauptblock und dessen erstem Kapitel »Property Rights« die Abschnitte »Diebstahl«, »Begehren« und »Verlorenes Eigentum« genannt. Insgesamt kommt man so auf 30 Themenfelder. Schon diese Unterteilung lässt erwarten, dass B. sein Thema wirklich umfassend abhandelt – eine Erwartung, die nicht enttäuscht wird.
Der Aufbau der 30 Abschnitte ist völlig gleichmäßig. An erster Stelle werden die biblischen Belegstellen genannt. Das geschieht allerdings nur im Inhaltsverzeichnis, das auf diese Weise einen schnellen Überblick bietet. Den erhält man aber auch durch das Bibelstellenregister, das die ausführlich behandelten Texte durch Fettdruck hervorhebt. Im Haupttext steht an erster Stelle immer der Abschnitt Ancient Near East. Naturgemäß fällt er unterschiedlich ausführlich aus. Es folgen je nach Beleglage die Abschnitte Dekalog – Bundesbuch – Heiligkeitsgesetz – deuteronomische Ge­setze, wobei nie alle vier zu einem Thema vertreten sind. Manchmal ist es auch nur ein einziges Korpus. So kommt das Begehrensverbot nur im Dekalog vor (Ex 20,17; Dtn 5,21), verschiedene Haftungsfragen nur im Bundesbuch (Ex 22,5 f.7–15), das Jobeljahr nur im Heiligkeitsgesetz (Lev 25) und die Frage der Grenzverrückung nur in Dtn 19,14, um nur einige Beispiele zu nennen. Den Abschluss bildet jeweils der Punkt »Conclusion«.
Im vorgegebenen Rahmen dieser Rezension ist es nicht möglich, alle 30 Themenfelder durchzugehen. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass das Material umfassend behandelt und auch die neueste Literatur benutzt wird, so dass das Buch ein unverzichtbares Arbeitsmittel für alle ist, die zu den alttestamentlichen Sozialgesetzen arbeiten.
Gleichwohl sind zwei Probleme wenigstens zu benennen. Das eine ist unvermeidbar, wenn man das Feld der Sozialgesetze, wie B. es tut, nach Themenfeldern behandelt: Man muss dann um der thematischen Einteilung willen einzelne Texte auseinanderreißen und an ihrer jeweiligen thematischen Stelle behandeln. Als Beispiel kann Lev 25 dienen. Das Kapitel kommt mit einzelnen Untereinheiten vor unter den Abschnitten Jobeljahr, Dauersklaven (»Chattel Slaves«), Schuldsklaven (»Bonded Labourers«), Sabbatjahr und Zinsen. Das entspricht zum einen nicht der Abfolge des Kapitels, die sich bei der Besprechung im Buch B.s so darstellt: Lev 25,8–17.23–34 (80–94) – 44–46 (118 f.) – 39–43.47–55 (161–166) – 1–7.18–22 (228–231) – 35–38 (258–261). Zum andern ist klar, dass unter diesen Bedingungen die Eigenlogik von Lev 25 oder seine komplexe Entstehungsgeschichte nicht in den Blick kommen können. Dies festzustellen, ist kein Vorwurf gegen B. Es gibt eine Fülle von Arbeiten, die die alt­-testamentlichen Gesetze als Ganze, einzelne Kodizes oder auch nur einzelne Kapitel oder Perikopen behandeln. Man darf nur von B.s Buch gerade dies nicht erwarten. Seine Stärke liegt in der thematischen Zusammenstellung. Im Übrigen ist B. das Problem durchaus bewusst. Durch eine Fülle von Fußnoten setzt er Querverweise, und auch das schon erwähnte Bibelstellenregister kann zusam­menführen, was in der Darstellung an getrennten Stellen vorkommt.
Bei einem zweiten Problem kann es sich um eine Frage des sprachlichen Ausdrucks handeln. Ich nehme wieder als Beispiel Lev 25. B. schreibt zum Jobeljahrgesetz: »According to Old Testament law, … after seven cycles of seven years there was to be a jubilee year« (76 f.). Die Formulierung stellt klar, dass es sich bei der Vorstellung vom Jobeljahr um eine Forderung des Gesetzes von Lev 25 handelt, ohne eine Aussage über deren allgemeine Akzeptanz oder gar Umsetzung zu machen oder sie in Beziehung zu anderen Tora-Vorstellungen zu setzen. Wenige Seiten später aber heißt es: »It effec­-tively means that land in ancient Israel was not really sold at all, but simply leased until the jubilee year« (84). Das klingt nun doch sehr danach, als handle es sich bei der Vorstellung von Lev 25 um eine allgemein geteilte und in der Realität praktizierte Einrichtung. Das Umsetzungsproblem ist B. bewusst. »It is probable, that the jubilee year was not observed regularly, at least from the eighth century on­wards …« (97). Aber gerade mit dieser Formulierung unterstellt B., dass die Vorstellung vom Jobeljahr nicht nur sehr alt ist, sondern auch im Prinzip allgemein anerkannt war – was beides bezweifelt werden kann.
Stärker als B. dies tut, wird man sich klar machen müssen, dass die von ihm behandelten Sozialgesetze nicht Realität widerspiegeln, sondern Realität in eine bestimmte Richtung beeinflussen wollen – es ist dies im Übrigen das Wesen von Gesetzen. Akzeptiert man das, dann kann man sich auch seinen Schlussfolgerungen anschließen, die er am Ende jedes Abschnitts und dann noch in einem eigenen Schlusskapitel aus dem Vergleich der alttestamentlichen Gesetze mit ihren altorientalischen Pendants zieht. Sie laufen darauf hinaus, dass eine gewisse »Humanisierung« im alttes­tamentlichen Gesetz festzustellen ist. Als Belege bringt B. unter anderem: Strafen für Diebe sind »much more humane« (27); Hilfe sogar für den Feind in Schwierigkeiten (Ex 23,4 f.) kommt im Alten Orient nicht vor (39); beim Schuldrecht werden die Schuldner und nicht die Gläubiger geschützt (74); die Nichtauslieferung fliehender Sklaven (Dtn 23,16 f.) ist einmalig (133); Zahlungen an Richter in Gerichtsverfahren werden strikt untersagt (221); das Zinsverbot hat keine altorientalische Parallele (264). Die Liste ist ergänzungsfähig, aber auch so schon aussagekräftig. Sie ist aussagekräftig für die Intention der alttestamentlichen Gesetze, aber nicht unbedingt für die sozialen Realitäten im alten Israel.
Wenn man sich diesen Unterschied vor Augen hält, wird man B.s Studie mit größtem Gewinn benutzen können.