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Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

115-116

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Nipkow, Karl Ernst

Titel/Untertitel:

Pädagogik und Religionspädagogik zum neuen Jahrhundert. Bd. 3: Gott in Bedrängnis? Zur Zukunftsfähigkeit von Religionsunterricht, Schule und Kirche.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2010. 390 S. m. Abb. 8°. Kart. EUR 39,95. ISBN 978-3-579-08113-7.

Rezensent:

Bernd Schröder

Den ersten beiden, 2005 bzw. 2007 in zweiter Auflage erschienenen Bänden seiner gesammelten Vorträge und Aufsätze aus dem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts (s. die Besprechung in ThLZ 131 [2006], 1339–1341) lässt der inzwischen im 83. Lebensjahr stehende frühere Tübinger Religionspädagoge Karl Ernst Nipkow nun einen dritten Band folgen, der sich systematisch der »Zukunftsfrage« (7), genauer: der Frage nach der »Zukunftsfähigkeit« (13) von Religionspädagogik zuwendet.
Näherhin werden vier wahrhaft »große Fragen« (R. Oberthür) aufgeworfen und bearbeitet: »Hat der Religionsunterricht Zu­kunft? (Teil I) Ist der christliche Glaube zukunftsfähig? (Teil II) Werden die Schulen der Zukunft gerecht? (Teil III) Wo liegt die Zukunft der Kirche? (Teil IV)«. Getreu seiner Einsicht, dass die Religionspädagogik vor allem »begriffliche, empirische und theoretische Analysen [benötigt], die die Komplexität der Sachverhalte aufklären, ehe man etwas normativ fordert«, trägt der Band stärker »analytische[n]« als »konstruktive[n] Charakter« (8).
Die Analysen sind oft erhellend: N. greift bei nahezu jedem Thema weit aus, bezieht Literatur verschiedener Fachgebiete ein, identifiziert und bespricht vor allem aber oft die theologischen Probleme, die in religionspädagogischen Fragen mitschwingen bzw. ihnen zugrunde liegen. Denn: Es »nützt wenig, wenn in Schule und Kirche strategische Überlegungen … dominieren, solange man sich nicht den substantiellen Verlegenheiten stellt.« (8)
Der erste, knappe, Teil »Religionspädagogik und Zukunft« (11–65) reflektiert zunächst den erreichten Stand der Religionspädagogik als Wissenschaft und empfiehlt u. a. eine weiterhin »initiativfreundliche Religionspädagogik« (15) – das böse »Vorwort«, das zu­nehmende »Wissens- und Kompetenzrückstände in der Re­ligions­pädagogik und Religionsdidaktik« konstatierte (7), wird hier weder wiederholt noch erläutert. Ansonsten identifiziert N. die »Qualitätsfrage« (32) als Schlüsselfrage: »Der Religionsunterricht von morgen hat Chancen als theologisch klarer und plausibler sowie gleichzeitig als pädagogisch guter und lerntheoretisch kompetent angelegter Unterricht.« (65)
Im zweiten Teil, »Gottesglaube und Zukunft« (67–185), thematisiert N. u. a. den christlichen Glauben im Gespräch mit naturwissenschaftlichen Weltentstehungstheorien, angesichts der »Theismuskrise« und in Anbetracht des Bilderverbotes – dabei gerät die Problemanalyse durchaus scharf, die Beschreibung des Weges zur konstruktiven Lösung der Problematik hingegen eher zurückhaltend: »Die kategoriale Ausdifferenzierung des Terminus ›Wahrheit‹ ist die anspruchsvollste, aber auch fruchtbarste Voraussetzung, um die Mehrdimensionalität der Wirklichkeit zu erkennen.« (96) Angesichts der Theismuskrise hilft kein »Supertheismus« und kein Nicht-Theismus, sondern die Adressierung der »persönlichen Gottesbeziehung« (118). Gewiss kann man »an … Medienerfahrungen … heute nicht mehr vorbeigehen«, allerdings bleibt Jesus Christus der Prüfstein jeglichen Gottes-Bildes (135).
Der dritte Teil, »Schule und Zukunft« (187–262), wartet vor allem mit Überlegungen zum interreligiösen Lernen auf; einer der Beiträge entwirft »Leitideen für eine zukunftsfähige Schule« (201–204).
Der letzte Teil, »Kirche und Zukunft« (263–376), fokussiert die kirchliche Bildungsverantwortung und akzentuiert Forderungen wie diejenige nach »Glaubenskommunikation« als »Kommunikation in Freiheit« (333). Das letzte Wort hat hier allerdings die Reflexion auf religiöse Bildung im Alter: Gutes Altern will vorbereitet sein; »die wichtigste generationenverbindende Aufgabe ist die Weiterleitung des Wärmestroms der Menschlichkeit« (373).
Wie schon in den beiden ersten Bänden bestechen die Weite des Horizontes und die klare Identifikation drängender Problemstellungen; kaum jemand wird hier ohne Anregung bleiben. Allerdings macht es die synthetische Anlage dieser Aufsätze und der Stil N.s, der vor allem mannigfaltige Bezüge herzustellen sucht, nicht immer leicht, unter allem Bedenkenswerten die seines Erachtens Zukunft sichernden Desiderate und Entwicklungsaufgaben deutlich zu erkennen. Zu dieser Schwierigkeit trägt bei, dass N. vielfach auf eigene Arbeiten aus den 1960er Jahren zurückgreift und die prinzipielle Berechtigung seiner damaligen Reflexionen konstatiert (etwa 17 1f.) – so dass man eher einer großen Problemkonstanz, weniger einer dramatischen Zuspitzung der Verhältnisse oder einer Neuorientierung N.s gewahr wird. So liegt der Ertrag der Lektüre vor allem darin, dass deutlich wird: Bei aller Spezialisierung bleibt gute Religionspädagogik auf Assimilation und Akkomodation im Umgang mit (systematischer) Theologie und anderen Wissenschaften angewiesen; ansonsten muss die Religionspädagogik wie jede andere Wissenschaft versuchen, sich zukunftsfähig aufzustellen, ohne die Zukunft – in diesem Fall von Gottesglaube, Schule und Kirche – zu kennen.