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Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

113-115

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Kuld, Lothar, Schweitzer, Friedrich, Tzscheetzsch, Werner, u. Joachim Weinhardt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Im Religionsunterricht zusam­menarbeiten. Evaluation des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg. M. Beiträgen v. C. Angele, B. Hoppe, R. Isak, L. Kuld, A. Roeder, M. Schnitzler, F. Schweitzer, W. Tzscheetzsch, J. Weinhardt.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2009. 244 S. m. Abb. u. Tab. gr.8°. Kart. EUR 16,00. ISBN 978-3-17-020825-4.

Rezensent:

Rainer Lachmann

Ist der konfessionell-kooperative Religionsunterricht (KRU) – »ein zukunftsweisendes Modell … für die Religionspädagogik ebenso wie für die Schule im Ganzen«, wie Friedrich Schweitzer in der Schlusseinschätzung (206) ganz im Sinne der EKD-Denkschrift »Identität und Verständigung« (Gütersloh 1994, 88) meint bilanzierend feststellen zu können? Wer das Buch mit seinem unpräten­tiösen Titel »Im Religionsunterricht zusammenarbeiten« liest, könnte dieser Meinung durchaus zustimmen, sollte allerdings Gattung, Anlass und Abzweckung der Studie beachten.
Es handelt sich bei ihr um die verlangte »wissenschaftliche Untersuchung« zur »Evaluation des KRU«, die in der am 1. März 2005 unterzeichneten Vereinbarung zwischen den evangelischen und katholischen Kirchenleitungen Baden-Württembergs zur »Konfessionellen Kooperation im Religionsunterricht an allgemein bildenden Schulen« gründet. Danach werden für die Schuljahre 2005/6–2007/8 »gemischt-konfessionelle Lerngruppen gebildet, die im Wechsel von einer Lehrkraft des Unterrichtsfaches Evangelische Religionslehre und Katholische Religionslehre unterrichtet werden«. »Um die Qualität des KRU zu sichern, müssen« bestimmte »Qualitätserfordernisse« oder – vielleicht genauer – Konfessionalitätskriterien »erfüllt werden«. Nicht auf die Gemeinsamkeiten der Konfessionen wird dabei in der Vereinbarung abgehoben, sondern ausdrücklich darauf, »ein vertieftes Bewusstsein der eigenen Konfession zu schaffen« (16). Unabhängig davon, dass allein schon das Erreichen dieser Vereinbarung unter den gegebenen Umständen höchste Anerkennung verdient – ich weiß, wovon ich spreche! –, haben diese »Qualitätskriterien«, wie auch von einigen Lehrern vermerkt, einen Hauch gängelnder Reglementierung an sich. Umso wichtiger sind die »Ergebnisse der Untersuchung: KRU in Baden-Württemberg«, die uns dankenswerterweise in vorliegender »Evaluation« präsentiert werden.
Das I. Kapitel (9–22) informiert über Verständnis und Genese des KRU in Baden-Württemberg und gibt kurz Auskunft über die »Untersuchungsmethoden« der Studie. Im Hauptkapitel II (23–200) werden in vier Abschnitten die empirischen Untersuchungsergebnisse vorgestellt. Nach »Unterrichtsbeobachtungen und schulischer Realisierung von KRU« (II.1) beschäftigt sich II.2 ausführlich mit der »Schülerperspektive« und stellt den KRU im Spiegel der »Äußerungen von Schülerinnen und Schülern dar«; darüber hinaus werden »Lernniveaus in Modell- und Vergleichsschulen« vergli­chen. In II.3 geht es um den »KRU im Spiegel der Äußerungen von Lehrerinnen und Lehrern« und – besonders aufschlussreich – da­rum, wie »Lehrerinnen und Lehrer die konfessionelle Kooperation wahrnehmen«. In äußerst aussagekräftigen Voten befasst sich II.4 dann zum einen mit dem KRU in der Perspektive der Schulleitungen, zum anderen mit der konfessionellen Kooperation in der Sicht der Eltern. Es lohnt sich, diesen II. Teil des Buches aufmerksam zu studieren, denn er enthält nicht nur dürres Datenmaterial, sondern durch die vielen beigefügten Zitate und die dezent begleitenden Kommentierungen und hilfreichen Zusammenfassungen ein reiches Panoptikum unterschiedlichster Erfahrungen und Mei­nungsäußerungen, die aufs Ganze gesehen den an­fangs geäußerten ›Erfolgsverdacht‹ durchaus bestätigen. Beeindruckend ist das innovatorische Potential, das sich in diesem Schulversuch immer wieder gehörigen Ausdruck verschafft, was die auch vorhandenen kritischen Anfragen und Einwände gegenüber dem KRU deutlich in den Hintergrund treten lässt.
Angesichts solchen Befundes sind Gesamteinschätzung und Ein­ordnung des KRU in den weiteren religionspädagogischen Ho­rizont besonders relevant, die im III. Kapitel (201–217) von Fried­rich Schweitzer und Lothar Kuld geboten werden. Sie gipfeln in dem eingangs zitierten Votum Schweitzers und sind in Bezug auf »Konfessionalität – Ökumene – Pluralitätsverarbeitung« sachkundig und eifrig darum bemüht, aufzuzeigen, dass der KRU in so gut wie allen Belangen den Zielen und Qualitätserfordernissen entspricht, die von den Kirchenleitungen für den Schulversuch gesetzt worden sind (208 f.). Das ist nachvollziehbar und verständlich, schließlich soll es ja mit den Kirchen weitergehen und das mühsam Erreichte nicht gleich wieder verspielt werden! Schade allerdings, dass nicht einmal im Vorwort gesagt wird, wie es denn nun mit dem sich als zukunftsfähig erwiesenen Projekt des KRU weitergeht. Schade aber auch, dass sich das Modell des KRU meint »konsequent von allen Fusionsversuchen« unterscheiden zu müssen (208). Auch wenn taktisch bedingt, ist solch Urteil undifferenziert oder gar ignorant, denn was unterscheidet einen christlich-ökumenischen RU, der im Klassenverband von katholischen oder evangelischen Lehrkräften oder im Team erteilt wird, im Wesentlichen von dem in vorliegender Studie evaluierten KRU? Die Ergebnisse der Untersuchung lassen die Vertreter eines christlich-ökumenischen Religionsunterrichts, zu denen der Rezensent ge­hört (vgl. Religionspädagogische Spuren, Jena 2002), deshalb mindestens ebenso laut »jubeln«, wie das die Initiatoren des Schulversuchs mit Recht tun. Dabei muss indes für beide Konzepte als dringliche Aufgabe ihre »Weiterentwicklung« in Richtung zu­künftiger Zusammenarbeit mit jüdischem oder islamischem RU (209) im Blick bleiben.
Die Evaluation endet zukunftsheischend und -weisend mit dem IV. Kapitel »Empfehlungen« (218–231), die sich zunächst mit Optimierungsvorschlägen der KRU-Vereinbarung befassen, um dann in sieben Punkten noch einmal zusammenfassend aufzulis­ten, was für KRU spricht – überzeugende Argumente »für zu­kunftsorien­tierte Weiterentwicklungen« schulischen RUs, auf dessen Linie nicht nur der KRU, sondern ebenso auch ein entsprechend geregelter christlich-ökumenischer RU liegen würde. Der baden-württembergische Schulversuch könnte und sollte hier Schule machen.
Mit einem »Anhang«, der »Aufgaben Religion Grundschule, Hauptschule, Realschule und Gymnasium« abdruckt, einem knappen Literaturverzeichnis und einem »Verzeichnis der Autorinnen und Autoren« findet das 244-seitige Buch seinen Abschluss. Eine anregende Studie, die auf jeden Fall religionspädagogisches Problembewusstsein schenkt und, was ihre Ergebnisse betrifft, vielleicht auch ein »Schrittchen« Hoffnung weckt! ›Er bewegt sich doch!‹ – selbst in Süddeutschland: wenn die Kirchen nur wollen und engagierte Religionspädagogik ihn und sie voranbringt. Dank deshalb für die Initiatoren und bewegenden Kräfte des Projekts KRU, die Herausgeber und Beiträger der Evaluation und nicht zuletzt für die Lehrkräfte, die diesen Schulversuch in Baden-Württemberg durch ihren – jetzt nachlesbaren – Einsatz erst möglich gemacht haben.