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Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

111-113

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Domsgen, Michael [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religionspädagogik in systemischer Perspektive. Chancen und Grenzen.

Verlag:

Leipzig: Evange­lische Verlagsanstalt 2009. 155 S. m. Abb. 8°. Kart. EUR 24,80. ISBN 978-3-374-02738-5.

Rezensent:

Dietrich Benner

Der Band präsentiert Referate zu einem Symposion, das am 23. und 24. Oktober 2008 an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg stattgefunden hat. Im Vorwort ordnet der Herausgeber Michael Domsgen das Thema des Bandes in den religiösen Kontext Ostdeutschlands und seine eigene wissenschaftliche Vita ein und nennt als theoretisches Anliegen, eine »lebensweltlich adäquate Form der Religionspädagogik zu finden«, die sich nicht auf einen Lernort konzentriert, sondern die Lernorte Familie, Gemeinde und Schule »systemisch« erfasst. Die einleitenden Thesen des Herausgebers (7–26) entwickeln hierzu eine sich an N. Luhmanns Systemtheorie sowie an konstruktivistische Theorien von Maturana und Varela anlehnende Position. Deren Bedeutung für eine systemisch argumentierende Religionspädagogik wird darin gesehen, dass sie eine auf unterschiedliche Kontexte Bezug nehmende religionspädagogische Forschung und Theorie­entwicklung erlaube, die religiöse Wirklichkeitskonstruktionen als Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen erfassen, die un­endlich offen und fremden Zugriffen entzogen sind und die Missverstehen nicht als Ausnahme, sondern als Regel kommunikativer Verständigungsprozesse ausgeben. Dem Herausgeber Domsgen zufolge ist diese Sichtweise anschlussfähig an die von » den Vertretern der systematischen Pädagogik« entwickelten Theorien sowie an die in der Religionspädagogik von K. E. Nipkow und F. Schweitzer entwickelten Positionen. Überzeugende Belege hierfür werden nicht angeführt. Auch die Anknüpfungen an grundlagentheoretische Argumentationen von F.-X. Kaufmann, R. Englert und N. Mette sind weniger in der Sache, als vielmehr in Optionen von Domsgen begründet, der am Ende seines Beitrags zwar auf die in der Erziehungswissenschaft am Konstruktivismus geübte Kritik hinweist, diese aber nicht in die eine eigene Position integrieren kann.
In zweiten Beitrag des Bandes entwickelt Martin Rothgangel einen informativen Überblick zur Rezeption und Diskussion »sys­-temischer Ansätze in Pädagogik und Theologie« (27–45), der mit einer Gegenüberstellung der Ansätze von R. Huschke-Rhein und N. Luhmann einsetzt, dann der Bedeutung nachgeht, die Ersterem im Bereich der praktischen Theologie und Letzterem in grundlagentheoretischer Hinsicht zuerkannt worden ist und zum Schluss auch Einwände zur Sprache bringt, die aus der Perspektive einer systematischen Theologie gegen Luhmann vorgebracht werden können. Unberücksichtigt bleiben allerdings H. Peukerts frühe Kritik an der Systemtheorie sowie jene Differenzierungen, die Luhmann selbst mit seiner Verabschiedung des Codes »besser-schlechter« als eines Primärcodes der Erziehung vornahm und die sich in seinen Beschreibungen der Religion als einer Kontingenzbewältigungspraxis bzw. eines dem Dual von Immanenz und Transzendenz verpflichtetem Teilsystems der Gesellschaft finden.
Der Beitrag von Bernd Schröder weitet unter der Überschrift »Eruditio – Unterricht – Erziehung – Emanzipation« (47–71) den Blick auf die durch die Epochen der Reformation, der Aufklärung, das Zeitalter Schleiermachers und die Wende vom 19. zum 20. Jh. ausgelösten »Schübe« im Bereich der theoretischen und praktischen »Katechetik und Religionspädagogik«. Er rekonstruiert die »Geschichte religionspädagogischer Leitbegriffe« und zeigt, dass in dieser religionspädagogische Begriffe wie Erziehung, Unterricht und Bildung stets auf verschiedene Lernorte appliziert und nie schulspezifisch eingegrenzt wurden. Der Beitrag schließt mit Hinweisen auf die unverzichtbare Bedeutung einer immer wieder von neuem vorzunehmenden »Re-Lektüre der eigenen Theorietradition« sowie mit der Warnung, »die Rede von der ›systemischen Religionspädagogik‹« zur »Programmformel« für die Zukunft der Religionspädagogik als Disziplin zu erheben.
In seinem Beitrag »Lernort-Theorie« (73–92) unterscheidet Christian Grethlein zwischen den Lernorten »Familie, Medien, Schule und Gemeinde« und ihrer Lokalisation in Wohnungen, Fernsehsesseln, Klassenzimmern und Kirchengebäuden, um dann herauszustellen, dass das Nebeneinander dieser Orte nur in Grenzen in der Lage ist, »lebensweltliche Zusammenhänge« religiösen Lernens zu erfassen. Die Aufgabe einer systemischen Religionspädagogik erblickt er darin, religiöse Lernprozesse lernortspezifisch zu erforschen und die lernortspezifischen »Chancen und Grenzen für religiöses Lernen« herauszuarbeiten. Grethleins Beitrag zeigt unter den Beiträgen des Bandes die vielleicht am weitesten ausgearbeitete systemische Position. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf radikal-konstruktivistische Prämissen ebenso verzichtet wie auf eine systemtheoretische Gesamtideologie und der Forschung Räume für einen Zugang zur lernortübergreifenden öffentlichen Funktion von Religion eröffnet.
Der in systematischer Hinsicht zentrale Beitrag stammt von Friedrich Schweitzer. Er fragt nach »Sinn und Grenzen systemischer Ansätze in der Religionspädagogik« und verortet das »lernende Subjekt« zwischen »Konstruktion und Biographie« (93–112). Ausgehend von der These, dass »Religionspädagogik integrative Perspektiven« benötigt, die über die Spezifika unterschiedlicher Lernorte und Handlungsfelder hinausweisen, wird auf die Bedeutung des »biographischen Ansatzes« in der religionspädagogischen Theorie­entwicklung und Forschung hingewiesen, der es erlaubt, den »Schritt von den Anbietern zu den Rezipienten« zu vollziehen und zu fragen, »wie sich die Kinder und Jugendlichen selbst zu den religionspädagogischen Angeboten in Schule und Gemeinde verhalten«. Der Beitrag schließt mit Einwänden gegen eine »Systemische Religionspädagogik«. Systemtheoretische und konstruktivistische Perspektiven tragen nach Schweitzer zwar zu einer Erweiterung des Horizontes biographischer Studien bei, entwickeln aber weder eine adäquate Aufgabenbeschreibung religiöser Bildung noch ein angemessenes Verständnis des lernenden Subjekts.
Die Beiträge von Helmut Hanisch und Frank M. Lütze vertreten entgegengesetzte Perspektiven. Sie beschließen mit ihren Exkursen zu Begriffskonstruktionen als Voraussetzungen für religiöse Kommunikation (113–126) bzw. zu religiösen Lernprozessen in semio­-tischer Rekonstruktion (127–140) die vorgestellten Studien. Der Band schließt mit einer »Zwischenbilanz« des Herausgebers, die sich auf eine Abschlussdiskussion des eingangs genannten Symposions bezieht, an der leider – wie bei solchen Veranstaltungen üb­lich – nicht mehr alle Referenten teilnehmen konnten.