Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

108-109

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Stock, Alex

Titel/Untertitel:

Liturgie und Poesie. Zur Sprache des Gottesdienstes.

Verlag:

Kevelaer: Butzon & Bercker 2010. 237 S. 8°. Geb. EUR 17,90. ISBN 978-3-7666-1357-8.

Rezensent:

Alexander Deeg

»Liturgie und Poesie« – der Titel Bandes verbindet zwei Begriffe, deren Affinität auf der Hand liegt: Sowohl liturgische als auch poe­-tische Sprache sucht mit großer Sorgfalt nach Worten und weiß zugleich um die Grenzen des Sagbaren. Dennoch fehlt bislang eine grundlegende Darstellung des Verhältnisses beider, obgleich einige monographische Einzeluntersuchungen (etwa von Maria Pfirrmann [2001], von Daniel Hoffmann [2002] oder von Vera-Sabine Winkler [2009]) und kleinere Beiträge vorliegen.
Es sei vorneweg gesagt: Wer diese Gesamtdarstellung im Band des katholischen Theologie- und Didaktikprofessors Alex Stock sucht, wird enttäuscht. Auch dieses Buch geht episodisch einzelnen Themen und Texten nach. Konkret handelt es sich um 16, teilweise bearbeitete Beiträge aus den Jahren 1985 bis 2006, die unter den Kate-gorien »Dichten und Denken« (11–103) und »Römische Tradition« (105–218) rubriziert und mit einem Vorwort (7–9) und einem Nachwort (219–221) versehen wurden.
Trotz dieses offenen Charakters lässt sich das Buch unter einer Gesamtperspektive lesen: Es handelt sich um einen Beitrag zur liturgischen Qualitätskontrolle (vgl. 32), bei der poetische und theologische Kriterien Hand in Hand gehen. Die Wahrnehmung von Poesie dient als »Sensorium und Kriterium« für theologische und liturgische Sprachgestalten (56). So wird Sprache nicht auf ihre Bedeutung reduziert und als Medium der Verständigung instrumentalisiert. Vielmehr nimmt S. Liturgiesprache auch phonetisch (vgl. etwa die Erkundungen zu einem einzigen Laut, dem »O« in den sog. »O-Antiphonen«, 67–92) und syntaktisch wahr (vgl. die Überlegungen zur Interpunktion in der Liturgie, 61–66). Qualitätsprüfung ergibt sich aus einem close reading der Texte mit mikrologischer Aufmerksamkeit und poetischer Sensibilität – und schon allein diese Methodik macht diese gesammelten Aufsätze zu einem notwendigen Buch weit über den katholischen Kontext hinaus.
Wie auch in den Bänden seiner »Poetischen Dogmatik« gelingt es S., durch den Seitenblick auf die Poesie Verengungen im klassischen theologischen und liturgischen Diskurs aufzudecken – etwa dort, wo Perikopenkommissionen ausgerechnet jene Verse verwerfen, die für Lyriker zum »Eckstein« von Gedichten werden (vgl. 57), wo mit einem Gedicht die Sprache am Grab neu erschlossen wird (vgl. 91–103) oder wo die »Emmanuel«-Anrufung im Advent als »soteriolo­gischer Optativ« und nicht als »politische[r] Indikativ« (88) gelesen wird. Vermeintliche sprachliche Kleinigkeiten führen auf Schritt und Tritt zu wichtigen theologischen Entdeckungen.
S. schreibt als Liebhaber der Liturgie wie der Poesie, der unter zahlreichen Entwicklungen der katholischen Liturgiesprache seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil leidet (vgl. 7 f.). Bei der Aufgabe, die liturgischen Stücke in die Landessprachen zu übertragen, sei zwar Großes geleistet worden, man habe aber zu wenig Rücksicht auf die Frömmigkeitsgeschichte (S. spricht treffend vom »diachronen Konsens der Glaubensgemeinschaft«, 34) und vor allem auf die poetische Qualität genommen. Situative Geschmacksurteile seien zu oft an die Stelle des Vertrauens gegenüber der Tradition getreten (vgl. 27 u. ö.), wodurch biblische Texte und bislang tragende Bilder vorschnell »pensioniert« worden seien (vgl. 124–130; bes. 127). So sehr S. den Reichtum der Tradition und die Bedeutung der Liturgie für das kulturelle Gedächtnis (vgl. 22.197–218) würdigt, so wenig ist ihm Nostalgismus oder Romantizismus vorzuwerfen, wie etwa die knappe Auseinandersetzung mit Martin Mosebach zeigt (105–109). Es geht nicht um einen Weg zurück, sondern um einen ästhetisch geschärften Blick nach vorn: »Neues Reden von Gott ist … nur realisierbar im Anschluss an Früheres« (158; vgl. auch 72).
S.s Sprache quer durch die Beiträge ist geschliffen, süffisant, bleibt aber nie die Argumente schuldig, die zu teilweise harschen Urteilen führen. So lesen sich seine Qualitätskontrollen erfrischend und regen – weit über die dargestellten und analysierten Beispiele – zu eigenen Wahrnehmungen an.
Freilich bleiben Wünsche offen, und manchmal brechen die aphoristischen Überlegungen vielleicht doch zu schnell ab. Etwa dort, wo Liturgie über die Textgestalt hinaus auf die Ebene der Performanz hin weitergedacht werden könnte (wie es in den Beiträgen leider nur selten geschieht; vgl. aber 62–65), oder dort, wo der christlich-jüdische Horizont der Parallelisierung von Exodus und Christusgeschehen aufblitzt, aber nicht mehr weitergeführt wird (vgl. 78; vgl. auch 168 f.). Auch zur Bedeutung von zirkularer und messianischer Zeitauffassung (vgl. 91), zum kultischen Charakter (vgl. 186) und zur »Objektivität« der Sprache des Gottesdienstes (vgl. 120) bzw. zur liturgischen Haltung (vgl. 112) erführe man gerne noch mehr. Gewichtige liturgische Diskussionen leuchten gleichsam nur in homöopathischen Spuren auf.
Man kann das bedauern – oder gerade darin die Chance dieses Buchs sehen, das Diskurse aufbricht und zum Weiterdenken herausfordert. In der gegenwärtigen liturgischen Qualitätsdiskussion zeigt die beeindruckende und unterhaltsame »Collage« (wie S. die Zusammenstellung selbst nennt, 220) auf jeder Seite, dass diese defizitär verlaufen muss, wenn der Konnex von liturgischer und poetischer Sprache aus dem Blick gerät.