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Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

106-108

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kelly, Ewan

Titel/Untertitel:

Meaningful Funerals. Meeting the Theological and Pastoral Challenge in a Postmodern Era.

Verlag:

London-New York: Mowbray (Continuum) 2008. 212 S. 8°. Kart. £ 14,99. ISBN 978-1-9062-8614-9.

Rezensent:

Ulrike Wagner-Rau

In der Krankenhausseelsorge sind die Veränderungen der religiösen Lage und ihre Herausforderungen für die pastorale Praxis be­sonders spürbar. Das ist nicht nur in Deutschland so. Ewan Kelly, Mediziner und Theologe, hat als Arzt und als Seelsorger im Krankenhaus gearbeitet, ehe er Lehrer der Pastoraltheologie an die Universität Edinburgh wurde. In seinem Buch reflektiert er die Aufgabe eines ge­meinsamen Konstruktionsprozesses für das Be­stattungsritual: Weil die Trauernden auf je eigene Art und Weise – mehr oder weniger christlich – religiös sind, muss das Ritualangebot der kirchlichen Vertreter offen sein dafür, auf die Bedürfnisse der Menschen zu hören, die vom Tod eines Angehörigen betroffen sind, und mit ihnen zusammen an der Gestaltung des Bestattungsrituals zu arbeiten. Nicht immer ist den Hinterbliebenen an einer Beteiligung gelegen. Wenn dies aber gewünscht werde, so K., sei es die pastorale Aufgabe, einen gemeinsamen Prozess zu ermöglichen und zu unterstützen.
Das Buch K.s bietet ähnliche Überlegungen, wie sie auch in der deutschen Literatur zum gesellschaftlichen Kontext der Kasualpraxis, zur Trauerbegleitung und zur Bedeutung rituellen Handelns in Krisen und Übergangssituationen des Lebens zu lesen sind. Individualisierung und Pluralisierung haben das Monopol der Deutung des Todes und der Gestaltung der Bestattung, das die christlichen Kirchen in Mitteleuropa über Jahrhunderte innehatten, aufgelöst. Darum begegnen den Seelsorgern und Seelsorgerinnen bei Bestattungen individualisierte Frömmigkeitsmuster, die spezifische Herausforderungen für das kirchliche Handeln darstellen. Wie soll man sich orientieren in solcher Gemengelage? Und welches Gewicht sollen die Bedürfnisse der Betroffenen bekommen?
K. versteht die Situation nicht primär als problematischen Konflikt, sondern als eine produktive Herausforderung, die sowohl den Trauernden als auch den kirchlichen Professionellen Chancen eröffnet. Für die Trauernden sei die kreative Arbeit am rituellen Gestalten ein Moment des »empowerment« in einer Lebenssituation von Hilflosigkeit und Ohnmacht: Obwohl nichts zu ändern sei am Einbruch des Todes ins Leben, könne man doch etwas tun. »The essence of giving the bereaved the opportunity to co-create a funeral for their loved one is about empowering them at a time of great vulnerability and distress and not about controlling or containing their grief and ritual marking.« (75) Eine kleine qualitative Umfrage unter Eltern, die ihr Baby verloren haben und mit Krankenhausseelsorgern ein Bestattungsritual entwickelt haben, bestätigt diese Aussage durch die Erzählungen der Mütter und Väter. Aber auch die Professionellen, so K., können nur gewinnen, wenn sie sich auf co-kreative Prozesse einlassen. Denn in der prozessualen Dynamik bleiben Theologie und Spiritualität nicht unberührt, sondern werden befragt und erweitert durch die Auseinandersetzung der Trauernden mit dem Verlust, durch die Metaphern und Deutungen, die sie dem Geschehen geben. »Therefore, what the ritual leader embodies is the church as learner not just teacher, the church as listener and not just teller, the church as receiver and not just giver and the church as vulnerable and not omnipotent.« (167) Die professionelle Verantwortung bleibt dabei nicht auf der Strecke. Die Seelsorger und Ritualleiter sind ein Gegenüber, das die Expression der Gefühle in einem haltenden Rahmen ermöglicht, sie geben die im Umfeld von Tod, Trauer und Bestattung nötigen Informationen, sie helfen bei der Entscheidung über konkrete Gestaltungsfragen, sie bringen die Ressourcen der eigenen Tradition ins Spiel. Vor allem aber: Sie sind Personen mit einer erkennbaren spirituellen und theologischen Prägung, die von den Trauernden auch dann wahrgenommen und angefragt wird, wenn sie unausgesprochen bleibt. Aus dieser Haltung heraus fällt es K. leicht, die Frage »Do you find it hard not to mention the Lord?« zu verneinen, die ihm ein Bestatter stellt im Anschluss an ein nicht explizit christliches Bestattungsritual für eine Frau, die in der Klinik verstorben war. Die Gegenwart Christ sei auch verkörpert im Prozess der »collaborative authorship oft he funeral and the manner of ist shared performance« (119).
K. fürchtet sich nicht vor der Kirchenfremdheit der Religiosität vieler Menschen im postmodernen Europa, sondern sieht das theologische Gespräch mit ihnen als eine Aufgabe an, durch die alle Beteiligten wachsen können. Weder müssen die Kirchenvertreter ihre theologische Identität verstecken noch die Trauernden sich einer ihnen fremden religiösen Welt unterwerfen. Co-construction heißt ge­meinsames Aushandeln – mit jeweils offenem Ausgang. Gewonnen hätte das Buch, wenn Beispiele für co-konstruktive Prozesse deren mögliche Gestalt noch deutlicher vor Augen geführt hätten. Die allgegenwärtigen Interessenkonflikte in der Kasualpraxis nicht nur als Problem zu markieren, sondern sie zum Ausgangspunkt eines konstruktiven Prozesses zu nehmen, ist aber ein produktiver Ansatz.