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Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

102-104

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Stock, Alex

Titel/Untertitel:

Poetische Dogmatik: Gotteslehre. Bd. 3: Bilder.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2007. 449 S. m. Abb. gr.8°. Geb. EUR 78,00. ISBN 978-3-506-76449-2.

Rezensent:

Walter Sparn

Nachdem der Didaktiker der Theologie und Begründer der bildtheologischen Arbeitsstelle an der Universität zu Köln eine vierbändige Christologie (Namen; Schrift und Gesicht; Leib und Leben; Figuren, 1995–2001) vorgelegt hatte, konnte der Emeritus nun auch eine dreibändige Gotteslehre abschließen: Orte (2004), Namen (2005), Bilder (2007). Kann der christliche Glaube, der Figur der loci theologici folgend, das Weltvorkommen Gottes an heiligen Orten, an Metropolen (Jerusalem, Athen, Rom), aber auch am Bahnhof aufsuchen und kann er Gott vokativ ansprechen, namentlich (oder auch namenlos) wahrnehmen und, riskant, begrifflich bedenken, so riskiert er zweifellos noch mehr, wenn er Bilder Gottes ausbildet, verändert und überliefert. Nach der »Topik« der »Semantik« des Redens von Gott stellt die »Ikonik« dieses Redens die größte Herausforderung des Unternehmens »Poetische Dogmatik« dar, zumal in protestantischer Perspektive.
Der Vf. begegnet ihr, wie schon bisher, indem er Zeugnisse der gestaltenden, poietischen Kraft des christlichen Glaubens, zumal seiner gottesdienstlichen Liturgie und seiner individuellen Frömmigkeit, »aufliest« und kommentiert: Gebete, Gedichte, Lieder, Ge­schichten und eben Bilder – der Band enthält acht Farbtafeln und 119 schwarzweiße Abbildungen aus der Zeit von den Katakomben bis ins späte 20. Jh. Verbunden werden diese Fundstücke – teils bekannte, aber auch viele ganz unbekannte (auf das Medium Film verzichtet er) – zunächst nur durch den »Takt« (8) des trinitarischen Glaubensbekenntnisses. Doch appropriiert der Vf. diesem nicht die drei göttlichen Personen, sondern den Sitz im Leben des Redens von Gott (»Orte«), die sich an den »Namen« heftenden Sprachbewegungen und die dem Christusglauben eröffnete An­schaulichkeit Gottes. Dogmatisch im eigentlichen Sinne entsprechen diesem Band der Traktat über die Offenbarung Gottes, die Pneumatologie und die Trinitätslehre.
Über die Anschaulichkeit hinaus, die ohnedies ein Merkmal der Quellen und des Stils der Poetischen Dogmatik ist, fragt Teil A (»Gottheit«, 13–139) nach der Sichtbarkeit oder eben Unsichtbarkeit des Unsichtbaren und gibt zu bedenken, wie »Sehen« Gottes in der poetischen und ikonographischen Tradition aufgefasst wurde. Der Vf. beginnt mit dem Bilderverbot (13 ff.), seiner konträren Auslegung in der Reformation, seiner exegetischen Begründung und seiner Formulierung unter den Bedingungen der Moderne (Adorno, Freud, Lévinas, Belting, Ch. Link), neigt aber zur »aaronitischen« Lösung, der medialen Bildeuphorie und ihren paganen Idolen nicht ikonoklastisch, sondern eben auf dem Feld der Visualität zu widerstehen (39 f.). Die alttestamentlichen Theophanien werden behandelt im Blick auf die Beziehung von Sehen und Hören (die evangelische Auffassung wird diskutiert) und von Bild und Feuer-Ereignis (41 ff.) sowie im Blick auf ihre Anthropomorphie (Engel Jahwes Gen 18, Ri 13, Dan 7; Berufungsvisionen Jes 6, Ez 1), exegetisch und ikonologisch (von Rembrandt bis Anzinger, 52 ff.). Das Kapitel über »Licht« (75 ff.) greift W. Schöne und E. Benz auf und reicht vom biblischen Lichtdenken, der neuplatonisch-christli­chen Lichtmetaphysik und dem Beleuchtungslicht auf den Bildern seit dem 15. Jh. bis zum Stimmungslicht in den Bildern von C. D. Friedrich, Ph. O. Runge und F. Overbeck. Herausgestellt werden der hieroglyphische und emblematische, das Bilderverbot direkter be­folgende Bezug auf Gottes »Auge« (Comenius, Ch. Wolff, A. Kirchner; »Auge des Gesetzes«, M. Foucault, 102 ff.). Für Protestanten besonders interessant ist der Umgang mit Hegels These, die abendländische »Bildgeschichte Gottes« sei abgelaufen – der Vf. rekurriert auf die den Bildern vor- und mitlaufende Welt der Sprache (128 ff.)!
Teil B (141–261) stellt den »Geist«, der ja eher mit Unsichtbarem wie dem Denken assoziiert wird, in die Perspektive der Bilder. Der Vf. beschränkt sich nicht auf die Ikonographie des Heiligen Geistes (141 ff.), sondern bezieht die charismatisch-ekstatische Inspiration, die neuzeitliche Genie-Ästhetik (150 ff.) und das vom Heiligen Geist herrührende geistliche Lied ein, vor allem die Pfingsthymnen (auch ihre Übersetzung durch Luther, 158 ff.). Es folgt die Darstellung einer neutestamentlichen Szene, in der die religiöse »Einbildungskraft« dem Geist sinnliche Gestalt gegeben hat: Pfingsten (183 ff.; die Verkündigung war schon in der Christologie behandelt, zur Taufszene siehe unten); Quellen sind hier viele ältere Bilder, aber auch J. Beuys und A. Rainers Übermalungen (213 f.). Das Sinngebungsverfahren der »Typologie« wird auch als intertextuelle Ex­egese und postfigurative, adressatenorientierte Reformulierung des Pfingstereignisses z. B. durch die Biblia pauperum, das Speculum humanae salvationis oder durch S. Dali erläutert (214 ff.). Mit Luther wird die Besonderheit des Attributs »heilig« betont und aufgewiesen an den Bildern der communio sanctorum, die vom »Heiligmacher« konstituiert wird; auch im Zusammenhang von Pfingsten, Abendmahl (E. Nolde!), Taufe und dem in Ez 37 und Röm 8 verheißenen Leben (234 ff.). Eigens herausgestellt wird der kosmologische Aspekt an der Hetoimasia, barocken Kuppeln, aber auch bei A. Kiefer (»Geist und Welt«, 251 ff.).
Teil C (263–395) wendet sich der »Dreifaltigkeit« zu, im Bewusstsein der Problematik der trinitarischen Modifikation der klaren Unterscheidung von Mono- und Polytheismus durch den Glauben an die »Schwingungsenergie« (S. Weil) der trinitas creatrix; dem »Ideenfest« wird die Rhythmik der Hymnen und die augustinische Explikation relationaler Prozesseinheit entgegengestellt (263 ff.; Hinweis auf das Athanasianum in BSLK). Besonders gelungen ist die symbol- und bildgeschichtliche Darlegung der Taufe Jesu im Jordan als Gründungsgeschichte des Trinitatisfests, einschließlich der Rolle der (dubiosen) Taube (286 ff.). Exegetisch und ikonographisch ebenso lehrreich, ja erbaulich bringt der Vf. dem Betrachter den »Gnadenstuhl« nahe als Übergang von der sozusagen sicheren Christomorphie zu einem in sich selbst polymorphen Gottesbild (Dürer, Luther, El Greco, 306 ff.). Der Vf. meint, dass diese liturgie- und frömmigkeitsaffine compassio patris ein irritierendes Bild bleibe; er hätte seine Interpretation als »eine Art Karsamstagstrinität« vertiefen können durch einen Blick auf die lutherische Christologie und ihre Klage »Gott selbst ist tot« (immerhin: C. von Lohenstein, 323). Das bildtheologische Problem der »drei Personen« eines We­sens wird besprochen anhand der Dreifaltigkeitsikone Rubljows (die den Entschluss zur Erlösung zeigt, nicht das Ergebnis) bzw. der Interpretation P. Florenskijs als neuer Offenbarung einerseits, der Diskussion um den (das dramatische Zueinander der Drei stillstellenden, drei christomorphe Gesichter zeigenden) Trikephalus im 18. Jh. andererseits (der Papst bekräftigte gegen die Jünglingsvision einer Nonne hier auch das theriomorphe Symbol der Taube als einzig legitimes für den Heiligen Geist, 329 ff.). Auf die Geschichte des Himmelsbildes und seine Veränderungen durch die Erhöhung Christi zur Rechten des Vaters und durch die Erhöhung Mariens geht der Vf. erhellend ein (mit Dürer, Tizian, auch Runges »Landschaft«, 355 ff.): Die Himmelskönigin sei als »Integral des weiblichen Strangs der weltreligiösen Gottesgeschichte« zu begreifen, dies konnte aber nicht bedeuten, »die Trinität zu einer Quaternität zu erweitern. Die Trinität blieb der äußerste Exzess des Monotheismus« (361) – auf die Tendenz zur corredemptrix geht der Vf. nicht ein. Den Abschluss bilden Reflexionen auf »Bild und Spur«, imago Dei, vestigia trinitatis; mit Bonaventura favorisiert der Vf. eine phänomenologische Weiterentwicklung der trinitarischen Ontologie in eine »seraphische Trinitätstheologie« (380 ff.; zit. 395).
Ein überaus intelligentes Buch liegt vor, in dessen sprachliche Elaborierung hinein und aus ihr wieder heraus der Leser im Vorwort (7 ff.) und am Schluss (397 ff.) geführt wird. Der protestan­tische Leser wird mit einer grundkatholischen Haltung bekannt ge­macht, die auf konfessionelle Idiosynkrasien gleichwohl ver­-zichtet, die reformatorische Frömmigkeit vielmehr im Sinne eines »Austauschs der Gaben« nach Kräften integriert (und die trotz eigener Bricolage von »Fundsachen« alles andere als ›postmodern‹ beliebig ist). Der protestan­tische Leser kann aber auch sehen, wie ein katholischer Theologe keineswegs so auf das römische Lehramt fixiert ist, wie er im Gegenüber dazu vielleicht selbst. Der Anspruch des Vf.s ist es ja, dass die Gegenstände der Poetischen Dogmatik nicht illustrieren, was in einer begrifflich-diskursiven Dogmatik gedacht und gesagt werden kann, sondern Quellen eigenartiger, erweiternder theolo­gischer Erkenntnis darstellen: Poetische Dogmatik verhalte sich komplementär zur scholastischen. Man könnte mit Schleiermacher sogar sagen, dass sie (auch) den heterodoxen Rand der Dogmatik pflegt und ihre Potentiale aus den ikonischen Quellen stärkt (»Freiraum des Denkens«, 10).
Die protestantische Dogmatik sollte zur Kenntnis nehmen, dass diese Poetische Theologie auf einen einheitlichen, allenfalls System­sicherheit erzielenden »Ansatz« verzichten kann; sie ersetzt die Punktualität des Ansatzes (und seiner kontingenten Setzung) durch ein heterogenes »Feld von Stützpunkten« (10) und erwartet das Aufscheinen eines verständlichen Ganzen experimentell – mit Phil 3,12 und im Vertrauen auf die Prägnanz des in Liturgie und Spiritualität Überlieferten und der (fortgehenden?) religiösen Poiesis. Auch wer befürchtet, dass der Vf. zur theologischen Ästhetik à la H. U. von Balthasar verführen will (erklärtermaßen nicht, eher ist an J. Werbick oder K. Huizing zu denken), kann hier der ästhe­-tischen Armut landläufigen protes­tantisch-dogmatischen Wahrheitsbewusstseins aufhelfen lassen. Und wenn er schon der Magie des Bildes misstraut, könnte er die beim Vf. fehlende poietische Kraft geistlicher Musik aus dem Inspirationsraum evangelischen Christentums daraufhin in sein Wissen aufnehmen, dass die Wahrheit des Glaubens auch schön ist.