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Ausgabe: | Januar/2011 |
Spalte: | 100-102 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Dogmatik |
Autor/Hrsg.: | Müller, Klaus |
Titel/Untertitel: | Dem Glauben nachdenken. Eine kritische Annäherung ans Christsein in zehn Kapiteln. |
Verlag: | Münster: Aschendorff 2010. 283 S. 8°. Geb. EUR 24,80. ISBN 978-3-402-12835-0. |
Rezensent: | Wolfgang Pauly |
»Den Glauben mit dem Gebot intellektueller Redlichkeit« zu verbinden, ist das Ziel des Münsteraner Professors für philosophische Grundfragen Klaus Müller. Zehn Schwerpunkte thematisieren dabei zentrale Fragestellungen der Theologie und der Kirche, wie beispielsweise der Umgang mit den biblischen Schriften und dem Glaubensbekenntnis, die Wertediskussion und das Verhältnis des Christentums zu den anderen Weltreligionen. Die teilweise aus Predigten hervorgegangenen Texte behalten auch bei ihrer Verschriftung eine anschauliche Sprache. Die trotz schwieriger Themen vorliegende Leichtigkeit der Darstellung zeigt besonders deutlich das Kapitel »Die Ironie, der Glaube und die Wahrheit«, wobei Ironie als »ein notwendiges Formprinzip modernetauglichen Glaubens« bestimmt wird.
Alle einzelnen Themen aber übergreift das Anliegen, die Rationalität des christlichen Glaubens aufzuzeigen. Die Argumentation wählt zur Durchführung die Methoden einer kausalen Erstphilosophie und verbindet diese mit den Gedanken einer Subjektphilosophie.
Die »Verpflichtung der Theologie auf einen Letztbegründungsgedanken« (247) wird deutlich in den Ausführungen über die Schöpfung. Hier sieht M. »eine Kurzformel für die Überzeugung, dass alles, was ist, aus einem es ermöglichenden und tragenden Grund hervorgeht, einem Grund, der seinerseits nicht nochmals eines weiteren Grundes bedarf und dem, was es gibt, unverfüglich ist« (48). Insofern ist seine Forderung verständlich: Ein »starker Glaube braucht als sein Gegenüber eine starke Vernunft« (100). Bezüglich einer »auf Endlosigkeit« angelegten Hermeneutik soll aufgezeigt werden, dass »Hermeneutik um ihrer selbst willen mit Erster Philosophie als dem Ort letztgültiger Gedanken in Beziehung gesetzt werden« muss (246).
Kognitive Weltdeutung verbindet sich mit existentieller Selbstvergewisserung: »Vernünftig ist so etwas nur, wenn ich für möglich halte, dass es so etwas wie einen letzten Sinn gibt« (103). Postmoderne Vorbehalte gegen Universalerklärungen empfindet M. als »bleierne Monotonie« und hat »Überdruss an der endlosen Dekonstruktion von Sinnansprüchen« (106). Deswegen möchte er den »Begriff unbedingten Sinnes für denkbar halten« (245). Dieser gehört dann zu jener »Andacht des Denkens«, die bestrebt ist, »den Fragen nicht auszuweichen, die sich an den Grenzen der Vernunft stellen« (9). Der Schöpfung und der menschlichen Existenz liegen demnach die gleichen als theonom gedeuteten Strukturen zugrunde, denn die existentielle Selbstverständigung erfolgt »im Horizont des Gedankens einer Ordnung dieser vielen Seienden, die sich in ihrem Bestand einem höchsten Seienden verdankt, welches selbst Person ist« (258).
Der hier vorgestellte fundamentaltheologische Ansatz möchte die Inhalte des Glaubensbekenntnisses »so durchbuchstabieren, dass man sich mit ihnen auf das Forum der Vernunft wagen kann« (81). M. sieht: »Forum heißt zu Deutsch: Markplatz. Man geht mit dem Bekenntnis in die Öffentlichkeit, setzt sich kritischen Fragen aus, stellt ebensolche seinerseits« (81). Der »Käufer« entscheidet schließlich mit guten Gründen, welches Angebot er annimmt und welches nicht.
Zur Abwägung von M.s Angebot gehört die Erkenntnis, dass er sich dezidiert auf Ansätze einer »Subjektphilosophie« etwa im Sinne von Dieter Henrich beruft. Ort der Welterkenntnis, der Selbstvergewisserung, aber auch der Gotteserfahrung ist das letztlich solipsistisch verstandene Subjekt. Diese »Letztgeltung des Subjektgedankens« ist gegen die postmodernen »Abgesänge auf das Subjekt« zu verteidigen (211). Hier liegt auch der Grund für die Distanz M.s zum kommunikationstheoretischen Ansatz von Jürgen Habermas. Er möchte verdeutlichen, dass Subjektphilosophie »nicht auf Kosten der kommunikativ – intersubjektiven Dimension« konzipiert sei, »sondern als Bedingung von deren Möglichkeit« (227). Aufgrund dieser zentralen Stellung des Subjekts kann er auch die Gotteserfahrung situieren »in allem, was uns berührt und zuallertiefst in uns selbst im Geheimnis unseres Ichseins sozusagen erstpersönlich entgegenkommt« (151).
Dass Subjektivität und Personalität einerseits und Kommunikation und Gemeinschaft andererseits nicht im Sinne einer Vor- und Nachordnung, sondern im Sinne einer dialektischen Beziehung gesehen werden sollten, ist spätestens seit den Arbeiten von Georg Herbert Mead offensichtlich. Viel grundsätzlicher ist aber die Frage, ob Religion und eine diese reflektierende Theologie »auf einen Letztbegründungsgedanken« (247) verpflichtet werden sollten. Dass Glauben seit biblischen Zeiten zu seiner Rechtfertigung aufgerufen ist, bleibt dabei unbestritten. Eine rationale Rechtfertigung im oben beschriebenen Sinne einer Metaphysik wird aber nach den Deutungs- und Plausibilitätsstrukturen einer ausdifferenzierten Moderne fragwürdig. Selbst die Schriften der Bibel bieten keine Welterklärungen, sondern erzählen von praktischen Handlungen und Lebensvollzügen. Insofern wäre die ganz eigene Rationalität dieser dort beschriebenen kommunikativen Handlungen eine Alternative gegenüber kognitiven Verobjektivierungen. Zudem stellt sich die Frage, ob sich nicht gerade die zentralen christlichen Lebensvollzüge wie Glauben, Hoffen und Lieben einer letzten Begründung entziehen und trotzdem deswegen nicht unvernünftig sind. Pascals Rede von den »Gründen des Herzens« könnte hier Wegweiser sein. Sollte es nicht nachdenklich machen, dass M. von Gott als dem »höchsten Seienden« spricht (258), dem sich alle anderen Seienden verdanken? Ist eine solche kausale Verbindung wirklich Transzendenz oder nicht vielmehr die Verlängerung innerweltlicher Begründungsstrukturen in die Dimension Gottes? Ebenso wäre die Konzeption eines »letzten Sinns« zu hinterfragen. Ist konkrete Sinnerfahrung in kommunikativen Handlungen weniger sinnvoll, wenn diese nicht in einen globalen Sinnhorizont mündet? Könnte nicht »letzter« Sinn im Modus einer präsentischen Eschatologie verstanden werden als Sinnerfahrung, die »letztlich«, zutiefst/zuhöchst trägt?
Wenn es zutrifft, dass »das Besondere der christlichen Religion« darin besteht, »dass das Einmalige, Einzigartige im Einzelnen als Einmaliges erscheint« (261), dann gilt es, gerade diese Erfahrungen der Unverwechselbarkeit geglückter Kommunikation auch mit den sonst gesellschaftlich und politisch Marginalisierten ohne Einordnung in globale Deutungssysteme ernst zu nehmen. Biblisch werden solche Erfahrungen mit dem Prädikat »Reich Gottes« versehen. So verstanden, wäre dem Christentum wirklich »eine nur schwer zu überbietende Evidenz im Sinne guter Gründe für einen Wahrheitsanspruch zuzuschreiben« (261).