Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

95-96

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Allen, R. Michael

Titel/Untertitel:

The Christ’s Faith. A Dogmatic Account.

Verlag:

London-New York: T & T Clark (Continuum) 2009. XII, 243 S. gr.8° = T & T Clark Studies in Systematic Theology, 2. Geb. £ 65,00. ISBN 978-0-567-03399-4.

Rezensent:

Martin Hailer

Das anzuzeigende Buch ist die Dissertation von R. Michael Allen, die am Wheaton College, Illinois (USA), entstand, an dem er Ad­junct Professor ist. Er legt sich die Frage vor, ob es sinnvoll und möglich ist, vom Glauben des irdischen Jesus an seinen himm­-lischen Vater zu sprechen. Diese Frage wird bejaht und so beantwortet: Der Glaube Christi gehört zur Rede vom Handeln Christi an unserer Statt und zur Grundlegung der Ethik. Ein Thema, das traditionell seinen Sitz im Leben in der historischen Jesusforschung hat, wird also bewusst in die Dogmatik gezogen, wobei aber exegetische Beobachtungen vielfach eine wichtige Rolle spielen und im Sinne einer theologischen Lektüre der Schrift eingebracht werden (34 f.).
Kapitel 1: Nach der Kurzvorstellung des Projekts referiert der Vf. diverse exegetische Thematisierungen des Glaubens Jesu, die vor allem von den paulinischen pistis-Christou-Formeln ausgehen, die dem Buch auch den Titel gegeben haben dürften. Das geht rasch über zu Karl Barths Beitrag zur Sache und zu jüngeren Systematikern verschiedener Konfessionen. In einer Bemerkung zu Thomas F. und James B. Torrance findet sich eine erste Thesenformulierung des ganzen Buches: They »have both affirmed the true humanity of Christ as entailing his faith, which I applaud, and they have both insisted on the vicarious work of Christ, a reformed understanding of the atonement, which I agree. Yet they have so emphasized the work of Christ for us, vicariously, that the place of Christ’s faith as any sort of ethical norm seems displaced.« (19) In den folgenden Kapiteln wird in der Tat der Glaube Christi als notwendige Implikation seiner Menschlichkeit behauptet und dies als soteriologisch und für die Grundlegung der Ethik belangvoll dargestellt.
Dass es sinnvoll sei, vom Glauben Christi zu sprechen, entwickelt der Vf. in Kapitel 2 vor allem gegen Thomas von Aquin. Er referiert dessen Gedanken, der irdische Jesus sei der visio beatifica teilhaftig gewesen, was die Rede von einem Glauben Christi überflüssig machen würde (39 f.50 u. ö.). Dem hält er Beobachtungen entgegen, in denen die Sorge mitschwingt, dass die Sicht des Aquinaten die volle Menschlichkeit Christi nicht zum Ausdruck kommen lässt (54–68).
Der Glaube Christi steht in einem noch weiter aufzuklärenden Verhältnis zum Glauben der Christen und Christinnen. Um das deutlich zu machen, referiert der Vf. wichtige Stationen der Begriffsgeschichte von pistis/fides/Glaube. Die eigene Lösung läuft darauf hinaus, den Glauben Christi als »faith exercised in the pre-lapsarian situation« (103) zu verstehen: Christus glaubte im ungebrochenen paradiesischen Verhältnis zu Gott.
Die bislang gewonnenen Ergebnisse werden im folgenden Kapitel 4 an Hand der trinitarischen und christologischen Begrifflichkeit durchgeprüft. Der Vf. argumentiert hier für eine Interpretation des Chalcedonense, die die volle Menschlichkeit Christi betont und sich zugleich gegen die lutherische Betonung der Kenosis Gottes in Christus absetzt. Denn dieser Zug, so der Vf., koppelt die Christologie von der eigentlichen Gotteslehre ab und beruht auf einem Missverständnis der hypostatischen Union (122).
Damit ist die Frage nach dem ›Warum‹ einer Lehre vom Glauben Christi bearbeitet. Der Vf. geht zum ›Wozu‹ dieser Lehre über. In einem ersten Gang (Kapitel 5) wird herausgearbeitet, dass die stellvertretende Funktion des Glaubens Christi mit seiner vorbildhaften zusammen geht: Weil der Glaube Christi Teil seines stellvertretenden Werks für uns ist, fordert er uns auf, unsern Glauben dem seinen anzuähneln: participatio an seinem Werk ist ohne imitatio nicht vollständig (182).
Der Vf. schließt sich der – nicht nur – reformierten Tradition von der Interzession Christi beim Vater an unserer Statt an und deutet den Glauben Christi als das, was den Gehorsam Christi möglich macht, woran der Vater Gefallen findet: »The Christ’s faith, therefore, stands in the place of the faltering loyalty of God’s people, serv­ing as the material ground of their justification.« (194; vgl. 189) Aus dieser stellvertretenden Tat folgt ein Sollen: Weil Christus mit seinem Glauben für uns eintritt, sollen wir den unseren ihm angleichen. Die stellvertretende Tat impliziert, dass der Glaube derer, für die Christus stellvertretend agiert, so werden soll, wie der seine ist. Der Glaube Christi ist »a pattern for christian ethics« (200), die imitatio Christi, zu der die Christen/innen gerufen sind, ist die imitatio fidei Christi.
Dem Buch kommt das Verdienst zu, ein wenig beachtetes Stück der Christologie in systematisch-theologischen Zusammenhängen entfaltet und dabei Gesprächspartner aus verschiedenen Zeiten und Konfessionen gewürdigt zu haben. In diesem Sinne ist eine konstruktive und gelehrte Leistung zu würdigen. Rückfragen ergeben sich an mehreren Stellen: So hätte der Vorwurf, die lutherisch geprägte Kenosis-Christologie sei ein trinitätstheologisches Missverständnis, mindestens ausführlicher begründet werden sollen. Auch bleibt unerwähnt, dass des Vf.s Imitatio-Konzeption ihn durchaus recht nahe an die in persona Thomas von Aquin kritisierte katholische und orthodoxe Soteriologie heranführt, was auch für die nicht diskutierte Nähe seines Konzepts des Glaubens Christi zum Visio-Konzept des Thomas gilt. Schließlich, und das führt in die Barth-Forschung: Die u. a. an Barth gewonnene Imitatio-Lehre in diesem Buch ist präskriptiv angelegt und arbeitet mit Sollensformulierungen. Gerade beim späten Barth aber bleiben diese durchgängig ausgeklammert und geht es um dasjenige Leben im Glauben, zu dem Gott Menschen verlockt und hinreißt. Dieser antigesetzliche Zug verdient konzentrierte Aufmerksamkeit.