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Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

75-77

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hrsg. v. E.-D. Hehl unter Mitarbeit v. C. Servatius

Titel/Untertitel:

Die Konzilien Deutschlands und Reichsitaliens 916–1001. Teil 2: 962–1001.

Verlag:

Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2007. XL, S. 214–795 S. 4° = Monumenta Germaniae Historica. Concilia, VI. Lw. EUR 120,00. ISBN 978-3-7752-5501-1.

Rezensent:

Johannes Helmrath

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Die Konzilien Deutschlands und Reichsitaliens 916–1001. Teil 1: 916–960. Hrsg. v. E.-D. Hehl unter Mitarbeit v. H. Fuhrmann. Hannover: Hahnsche Buchhandlung 1987. XXV, 212 S. 4° = Monumenta Germaniae Historica. Concilia, VI,1. Kart. EUR 45,00. ISBN 978-3-7752-5147-1.


Es gehört zu den vielen großen Leistungen der Monumenta Germaniae Historica (MGH) nach dem Krieg, auch die Reihe der Concilia als Unterabteilung der Leges wiederaufgenommen und fortgesetzt zu haben. Die Reihe war mit Albert Werminghoffs grundlegendem Band 2 (in zwei Teilbänden erschienen 1906 und 1908) in der Karolingerzeit (843) steckengeblieben. Nach 75-jähriger Unterbrechung setzte Wilfried Hartmann 1984 und 1998 mit den Bänden 3 und 4 (843–875) neu an. Die Einleitung zum 3. Band enthält auch die immer noch gültigen Editionsrichtlinien der ganzen Abteilung. Band 5, der die Jahre 875–909 umfassen wird, ist bei Hartmann und Gerhard Schmitz noch in Vorbereitung. Die folgenden Bände werden durch den Mainzer Mediävisten Ernst Dieter Hehl bearbeitet: Der hier zu besprechende Band 6 umfasst zwei Teilbände, deren erster – unter Mitarbeit von Horst Fuhrmann – bereits 1987 erschien und bis 961 reicht. Der zweite, mit 580 S. weit umfangreichere Teilband, der hier im Vordergrund stehen soll, umspannt die Jahre 962 bis 1001. Ihn beschließen die Apparate und Register für beide Teilbände. Ein siebter und vorläufig offenbar letzter Band für die Jahre 1002 bis 1059, also bis zum »Beginn« des Investiturstreits, wird durch Hehl und Detlev Jasper vorbereitet.
Die Vorzüge der MGH-Editionen beweisen sich auch hier: sorgfältige Darlegung der Handschriften, der Drucke und der Literatur, umfassende Kommentierung, mustergültige textkritische Edition, maximale Erschließung durch Register. Und wie immer stimmt einen die gereifte Ästhetik der Editionen der nun bald 200-jährigen MGH gleichsam edel. Ästhetik – etwa durch Drucktypen, Layout etc.– ist freilich mit optimaler Benutzbarkeit strukturell und funktional untrennbar verbunden.
Zum Inhalt: Für das 10. Jh. darf man von einem engen Synergismus ›geistlicher‹ und ›weltlicher‹ Materien und Akteure, allen voran Kaiser und Papst sprechen. So lässt einen das Studium dieser Concilia-Bände mit ihren 69 Synoden, darunter auch allen römischen, mitten in die zentraleuropäisch-italienische Geschichte eintauchen, in die Regierungszeit Konrads I. und der drei Ottonen. Dabei umfasst Teilband 2 die letzten zehn Jahre Ottos d. Großen († 973) sowie die Regierungen Ottos II. († 983) und Ottos III. († 1002). Er beginnt mit der römischen Synode im Februar 962 (nr. 22) und schließt mit der von Todi im Dezember 1001 (nr. 69).
Konzilien repräsentieren das kollegiale Element der Kirchenverfassung, von den Generalkonzilien über die fränkisch-ottonischen Reichssynoden bis zu den regionalen Provinzialsynoden. Mit ihren Canones bzw. Statuten bilden sie neben den päpstlichen Dekretalen die wichtigsten Produktionsforen kirchlichen Rechts. Das 10. Jh. ist aber gegenüber der Karolingerzeit durch ein »Versickern« (XII) dieser synodalen Gesetzgebung gekennzeichnet. War die hier als Erstes präsentierte Synode von Hohenaltheim 916 (Teilbd. 1, nr. 1, ediert von H. Fuhrmann) mit ihren 38 Canones eine der wichtigen Synoden des Mittelalters, auch was den Grad ihrer Rezeption betrifft, so finden sich Statuten in deutschen Synoden dann nur noch sporadisch bis 952 (Augsburg, Teilbd. 1, nr. 18). Sie tauchen dann erst wieder in italienischen Synoden Ende des Jahrhunderts auf: in Pavia 997 (nr. 55) und Rom 998/99 (nr. 59). Stattdessen finden sich die Ergebnisse von Synoden des Öfteren in päpstlichen oder kaiserlichen Briefen publiziert. In der Mehrzahl der Fälle werden sie aber nur durch extrasynodale erzählende Quellen (Liutprand von Cremona, Thietmar von Merseburg etc.) überliefert. Diese Texte werden allerdings in der Edition komplett dargeboten. Ob Hehl jenes »Versickern« auf Produktionsverzicht oder auf Überlieferungsverluste zurückführt, wird nicht ganz klar; näher zu liegen scheint Ersteres. Wie stark die Überlieferungsverluste waren, zeigt sich daran, dass manche Synodentexte nur durch die frühen Dru­cke erhalten sind, so etwa die einer Synode der Provinz Köln von 920 (Teilbd. 1, nr. 2) oder die der römischen Synode von 998/99 (nr. 59). Das Fehlen oder nur spärliche Vorhandensein von Statuten war ein Grund dafür, dass viele Synoden des 10. Jh.s in zeitgenössischen oder späteren Kirchenrechtssammlungen, den eigentlichen Transmissionen und zugleich Indikatoren für die Verankerung kirchlichen Rechts im praktischen Gebrauch, kaum vorkommen. Nur die (statutenproduzierenden) Synoden von Hohenaltheim 916, Koblenz 922 und Erfurt 932 wurden bei Burchardt von Worms, der Collectio XII partium, Ivo von Chartres, Gratian etc. noch rezipiert. Nachher waren es lediglich – und nach von Hehl eher »zufällig« – ein Kanon der römischen Synode von 964 (nr. 26) und zwei Kanones der Synode von St. Basle/Reims 991 (nr. 44), die in die Sammlung des Kardinals Deusdedit und die Sammlung der Handschrift Paris lat. 4281 eingingen. Die Liste »Kanonistische Rezeption« (653–655) führt diese allerdings nicht auf, sondern nur die Texte aus Teilbd. 1. Doch gilt: Jede Synode hat ihre je eigene Überlieferung und Rezeption. Auch die klassischen Synodalprotokolle finden sich selten: wieder für Rom 964 und für St. Basle, ferner für Mailand 969 (nr. 33). (Zur Textsorte der Synodalprotokolle und ihrem »Zerfall« im 10.–11. Jh. siehe übrigens H. J. Sieben, Die Partikularsynode, Frankfurt a. M. 1990, 229–264, bes. 239 f.)
Zu den Themen: Es dominieren kirchenpolitische Inhalte, insbesondere die vom Papst legitimierte Gründung und Aufhebung von Bistümern, Ab- und Einsetzung von Bischöfen etc. So wird nach Ottos I. Kaiserkrönung 962 der Konflikt mit Papst Johannes XII. auf der Synode von Rom Nov./Dez. 963 (nr. 25), die Errichtung des Erzbistums Magdeburg 967 bis 969 auf zwei ravennatischen und einer römischen Synode ausagiert (nr. 29–31). Die umfangreichsten Texte entstanden im Umfeld des Reimser Bistumsstreits 991 bis 996. Die Reichsspitze und Teile des deutschen Episkopats waren hier involviert. Als Hauptakteur bei Absetzung und Nachfolge Erzbischof Arnulfs und zugleich als kreativster Textproduzent erweist sich Gerbert von Aurillac, 991 Erzbischof von Reims, 999–1003 Papst Silvester II. Die umfangreichen Akten der Synoden von St. Basle vom 17.–18. Juni 991 (nr. 44; 380–469!), Mouzon vom 2. Juni 995 (nr. 49) und das sog. Concilium Causeium/Reims (nr. 51) sind wesentlich von Gerbert verfasst. Und er komponierte mustergültig, indem er einen Wesenszug des Synodalgeschehens im Wortlaut inszenierte, der in den anderen, spärlich überlieferten Synoden fast nicht mehr spürbar wird: die Mündlichkeit. Auf Konzilien wird geredet, finden Wechseldispute pro und contra statt, wird gestritten, werden auch Texte (Briefe, Urkunden, Traktate) laut verlesen. Seit Nikaia 325 sind Synoden oratorisch-performative Handlungssequenzen! Von Mouzon und dem Causeium sind als zentrale Texte ebendie Syno­dalreden Gerberts überliefert (499–502.512–516). Gerbert gliedert diese Texte mit Überschriften nach dem Aufbau der klassischen Rede: Exordium, Narratio, Partitio usw. Der Editor trägt dem Rechnung, indem er immerhin Heinrich Lausbergs Handbuch der literarischen Rhetorik zitiert.
In der jüngsten, von Zeremonialstudien bestimmten Forschung wird der Synodaloratorik ein noch weit höherer Stellenwert eingeräumt (siehe bereits J. Laudage, Ritual und Recht auf päpstlichen Reformkonzilien [1040–1123], in: AHC 29 [1997], 287–334). Eine wichtige Grundlage für derartige Studien stellte übrigens die MGH-Edition der Konzilsordines des Früh- und Hochmittelalters durch Herbert Schneider (1996) bereit.
Für die in den antiken Synoden und im Westen in den römischen Synoden übliche Symbolpraxis, das Evangelienbuch inmitten der Synode als Repräsentation Christi, als Wort Gottes, zu inthronisieren, finden sich im vorliegenden Band zwei Beispiele, die kaum bloße Formelrelikte darstellen: Rom Februar 964 (nr. 26): prepositis in medio sacrosanctis Christi quattuor evangeliis (244, Z. 16 f.) und fast gleichlautend Rom Mai 969 (nr. 32; 309, Z. 19). Der Brauch bzw. die Formel ist zuletzt 1059 nachweisbar, um dann erst auf dem Unionskonzil von Ferrara-Florenz 1438/39 wiederbelebt zu werden (vgl. J. Helmrath, Die Inthronisierung des Evangelienbuchs auf Konzilien. Von Ephesos [431] bis zum II. Vatikanum, in: Wort und Buch in der Liturgie, hrsg. von H. P. Neuheuser, St. Ottilien 1995, 233–279, hier 260–265).
Andere wichtige Materien: Auf der römischen Synode 993 (nr. 47) wird mit der Kanonisation Bischof Ulrichs von Augsburg die erste offizielle Heiligsprechung vollzogen (publiziert in einer Dekretale Papst Johannes XV.). Die Synode von Gnesen im Jahre 1000 (nr. 61) markiert ein wichtiges Ereignis der Kirchenpolitik Ottos III. und zugleich eine der intensivsten jüngeren Forschungskontroversen, an der Hehl selbst beteiligt war. Vielleicht hätte er den Text des Gallus Anonymus etwas ausführlicher bringen sollen (592, nr. 6).
Ein eklatantes Beispiel für Rangstreit und Tumult bieten die Synoden von Pöhlde und Frankfurt/M. 1001 (nr. 62–63) mit dem Konflikt zwischen den Bischöfen Bernward von Hildesheim und Willigis von Mainz. Die relativ wenigen Bestimmungen, die auf Synoden dieser Zeit zur kirchlichen Disziplin, zur ›Reform‹ erlassen wurden, betrafen vor allem die Sittlichkeit des Klerus (Zusammenleben mit Frauen, Amtserwerb durch Geld), so in Pavia 997 (nr. 535; 541) und Ravenna 998 (nr. 56; 546). Die Generalthemen der kämpferischen Reform in der zweiten Hälfte des 11. Jh.s waren (auch ohne den Begriff ›Simonie‹ zu gebrauchen) also vorgegeben.
Die exzellenten Register bringen eine Liste der Handschriften, der Initien, der Zitate (aus Bibel, Papstbriefen, Kirchenvätern etc.), der kirchenrechtlichen Rezeption (siehe oben), der Personen und Orte, der Wörter und Sachen, eine Konkordanz der Drucke. »Wörter und Sachen« (680–781) – das bedeutet wie üblich nicht weniger als die Lemmatisierung des gesamten Wortbestands der edierten Texte. Hier werden künftig semantische Untersuchungen unter den verschiedensten Fragen und ›Paradigmen‹ möglich sein. Ich nenne Beispiele: zu den Begriffen für ›Versammlung‹ ( colloquium, concilium, conventus, synodus); zu rechtsrelevanten Begriffen wie auctoritas, honor, iudicium, lex; zu den Kirchenstrafen (anathema, excommunicatio), zur Redekultur (oratio, sermo etc.).
Die beiden noch ausstehenden Bände der Reihe ›Concilia‹ erwartet man mit Spannung.