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Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

65-66

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Markschies, Christoph

Titel/Untertitel:

Gnosis und Christentum.

Verlag:

Berlin: Berlin University Press 2009. 186 S. m. Abb. 8°. Geb. EUR 29,90. ISBN 978-3-940432-61-2.

Rezensent:

Barbara Aland

Christoph Markschies, der sein Buch mit einem aufschlussreichen Bericht über seine eigenen »Lernwege« in seiner über 20-jährigen Beschäftigung mit der Gnosis einleitet, legt fünf neuere, allgemeinverständliche und auch für den Spezialisten anregende Beiträge zum Thema vor, die dessen wichtigste Aspekte, Wesen und Deutung der Gnosis, ihre Ausdrucksformen in Mythos und Bild sowie Richtungen der Forschungsgeschichte behandeln. M.s Markenzeichen, seine Bemühung um breite Heranziehung aller Teilgebiete der Antike, seine Lokalisierung ihrer Texte in deren bildungssoziologischen Kontext und die Fähigkeit, seine Ergebnisse anschaulich und elegant vorzutragen, bewährt sich auf das Beste.
Der erste Beitrag (»Christliche Religionsphilosophie oder vorchristliche antike Religion: Was ist Gnosis?«) charakterisiert die beiden im Titel genannten großen Forschungsrichtungen und votiert mit guten Gründen für die erste. Gnosis begreift M. »als den wohl energischsten Versuch, das Christentum durch konsequente Platonisierung und Mythologisierung einer (Halb-) Bildungselite nahezubringen« (37). Er ordnet sie damit in den Zusammenhang der im 2. Jh. allgemein – in städtischem Kontext – mit Platonismus »experimentierenden« christlichen Theologie ein. Wichtig ist dabei die Einsicht, dass die gnostischen Theologen, etwa mit ihrer mythischen Protologie und Eschatologie, Antworten auf die grundlegenden philosophischen Fragen der Zeit geben wollten, die nach dem Wesen Gottes und der Weltentstehung, um so »konkurrenzfähig« zu werden. Vielleicht kann man hinzufügen, dass sie auch selbst die mit diesen Fragen vorgegebenen Probleme verstehen wollten, von ihren Vorgaben her und dazu zeitgenössische Methoden nutzend.
Im zweiten Beitrag (»Der religiöse Pluralismus und das antike Christentum – eine neue Deutung der Gnosis«) ordnet M. die Gnosis unter dem Leitbegriff »Pluralismus« in die antike Religions- und Geistesgeschichte ein. Das überrascht zunächst. Nach einer gelungenen Gegenüberstellung eines modernen Pluralismusbegriffes im Sinne von unhintergehbarer Vielfalt zu dem faktischen religiösen Pluralismus der kaiserzeitlichen Antike und deren philosophischen Denkbemühungen, die Vielfalt auf eine Einheit zurückzuführen, wird der gnostische Mythos mit der Fülle seiner göttlichen Emanationen als Versuch verstanden, einerseits die christliche Philosophie durch entschlossene Pluralisierung zu modernisieren, andererseits das Problem der Einheit des christlichen Gottesbegriffes durch die Rückführung der Emanationen auf einen Ursprung einer Lösung näher zu bringen. Der Aussagewillen des gnostischen Mythos wird damit sicher nicht vollständig erfasst. Dass er einen Beitrag zum philosophischen Problem leisten will, wie aus der Einheit die Vielheit hervorgehen kann, ist evident.
Der gnostischen Aussageform des Mythos ist der dritte, für jeden an der Gnosis Interessierten höchst informative und grundlegende Beitrag gewidmet (»Welche Funktion hat der Mythos in gnostischen Systemen? Oder: ein gescheiterter Denkversuch zum Thema ›Heil und Geschichte‹«). Es wird verdeutlicht, dass in der Antike Mythen ein anerkanntes und in Mythenvariation, Mythenkorrektur und Mythenneubildung auch methodisch präzise zu nutzendes Instrumentarium waren, um Sachverhalte, besonders philosophischer Art, darzustellen. Der gnostische sich in Mythen äußernde »Denkversuch« (ein angemessenes Wort) ist freilich ge­scheitert. – Dass sich Gnostiker auch in Bildern äußerten, wurde bislang kaum beachtet. M. erklärt im vierten Beitrag (»Gnostische und andere Bilderbücher in der Antike«) eindrücklich die wichtigs­ten als »skizzenhafte Veranschaulichungen göttlicher Strukturen« zu didaktischen Zwecken und erläutert im letzten Beitrag (»Hans Leisegang und die moderne Gnosisforschung«) am Beispiel eines Außenseiters noch einmal die Entwicklung des Gnosisverständnisses der letzten 100 Jahre.
Eine rundum gelungene, zum Nachdenken und Lesen anregende Sache.