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Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

64-65

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hellebrand, Johannes [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Augustinus als Richter.

Verlag:

Würzburg: Augustinus-Verlag bei Echter 2009. 191 S. 8° = Cassiciacum, 39/5; Res et Signa, 5. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-429-04172-4.

Rezensent:

Susanne Gatzemeier

Augustinus wird gewöhnlich als Theologe betrachtet, dessen Leis­tungen vor allem auf theoretischem Gebiet zu finden sind. Seine Bemühungen auf dem Gebiet der praktischen Theologie und Seelsorge werden freilich immer noch viel zu selten beachtet. Umso erfreulicher ist es, dass der vorliegende Sammelband mit der Fokussierung auf das Richteramt, das Augustinus als Bischof auszuüben hatte, einen wichtigen, aber oft vernachlässigten Aspekt seiner seelsorglich-praktischen Tätigkeit in den Blick nimmt.
Nach dem Vorwort (9–20), in dem der Herausgeber Johannes Hellebrand vor allem den Begriff der audientia episcopalis, die Rechtsprechung durch den Bischofsrichter, allgemein skizziert und einen Überblick lediglich über die deutschsprachige Forschungsliteratur der letzten 80 Jahre gibt, folgen vier Aufsätze, die alle bereits zuvor publiziert worden sind.
Der erste und zugleich älteste Beitrag des Bandes stammt von Agostino Pug-liese. Bei seinem Aufsatz »Der heilige Augustinus als Richter. Ein Beitrag zur Geschichte der ›episcopalis audientia‹« (21–59) aus dem Jahr 1937 handelt es sich vor allem um eine Zusammenstellung der einschlägigen Aussagen Augustins zu Theorie und Praxis der Richtertätigkeit, die als Ausgangspunkt für eine Beschäftigung mit dem Thema nützlich ist.
Im zweiten Beitrag »Legitimation des Rechts bei Augustinus« (60–83) aus dem Jahr 1990 betrachtet Cornelius Mayer nach einem kurzem Überblick über die Verknüpfung von Seelsorge und Bischofsamt bei Augustinus dessen Briefe 1*,8*–10* und 24* hinsichtlich der pastoral-richterlichen Tätigkeit. Dieser erste Teil bietet eine gute Ergänzung zu Pugliese, da hier die Aussagen in den Briefen untersucht werden, die diesem noch nicht vorlagen. Im zweiten Teil des Beitrags fokussiert Mayer auf die theologischen Grundlagen des seelsorglichen Richteramts und skizziert, wie nach Augustin das Recht durch die Gerechtigkeit legitimiert werden muss.
Die in jüngerer Zeit entdeckten Augustinusbriefe bilden auch den Ausgangspunkt für den dritten Beitrag »Audientia episcopalis: Problematik zwischen Staat und Kirche bei Augustin« (84–105) aus dem Jahr 1997. Kauko R. Raikas zeigt anhand kaiserlicher Dokumente, dass die Praxis der audientia episcopalis die zivile Gerichtsbarkeit umfasste, und erweist Augustinus auf der Grundlage seiner Texte als einen der Bischofsrichter, »die die zivile Gerichtsbarkeit im Rahmen der ›audientia episcopalis‹-Praxis und darüber hinaus auch in zivilen Streitigkeiten des Eigentumsrechts ausübten« (87).
Schließlich nimmt sich Eva-Maria Kuhn im jüngsten Beitrag »Rechtsprechung durch den Bischofsrichter. Augustin und die Umsetzung der göttlichen Gerechtigkeit in der Praxis« (106–155) aus dem Jahr 2007 ausführlicher und umfassender als Mayer »Augustins Interpretation, Auffassung und Förderung von Gerechtigkeit im Rahmen seiner alltäglich ihn beanspruchenden An­walts- und Richtertätigkeit« (108) vor. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Augustin trotz seiner grundsätzlichen Akzeptanz des römischen Rechtssys­tems die konkreten Verhältnisse oft als ungerecht und sich selbst als machtlos erfuhr. Wahre Gerechtigkeit – so sein Fazit – könne es erst beim jüngsten Gericht geben. Dennoch sah Augustinus es als seine Aufgabe, dafür zu sorgen, »dass die irdische Gerechtigkeit der göttlichen wenigstens ein Stück näher kam und verwirklicht wurde« (155). Ergänzt werden die Beiträge durch einen Anhang mit sieben der neu entdeckten Briefe Augustins, die Material zum Thema liefern und in den Aufsätzen teilweise besprochen werden (Briefe 1*, 7*–10*, 14*, 24*), sowie durch die Artikel »Audientia episcopalis« ( Charles Munier) und »Iudex« (Kauko K. Raika) aus dem Augustinuslexikon. Zudem finden sich dort Stellen-, Personen- und Ortsregister.
Der Herausgeber verfolgt mit dem Sammelband das Ziel, »dem Interessierten [insbesondere demjenigen aus dem »juristischen Lager« (10), der vor dem Hintergrund der eigenen Profession auf Augustins Richtertätigkeit aufmerksam geworden ist,] einige spezielle Beiträge einfach nur zugänglich [zu machen], die es ihm ermöglichen, über die dort vorzufindenden Zitate tiefer in das Thema einzudringen« (19). Um einen leichteren Zugang zu den Beiträgen zu gewährleisten, hat der Herausgeber die Beiträge von Kuhn und Pugliese sowie innerhalb der einzelnen Beiträge die lateinischen Zitate ins Deutsche übersetzen lassen. Dass der französische Artikel von Munier und die Augustinbriefe im Anhang nicht übersetzt worden sind, erscheint dann freilich inkonsequent.
Trotz der Selbstbeschränkung auf ein deutschsprachiges Publikum kann der Band sowohl dem interessierten Laien einen Überblick über das Thema verschaffen als auch dem wissenschaftlich Interessierten als erster Einstieg dienen. Sein Nutzen besteht vor allem darin, dass er zum einen eine Sammlung von Augustinzitaten zum Thema darstellt (auf die das Stellenregister einen guten Zugriff bietet) und zum anderen (über die Fußnoten der jeweiligen Beiträge) als Fundort für weiterführende Literatur dienen kann.