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Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

46-48

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Banschbach Eggen, Renate

Titel/Untertitel:

Gleichnis, Allegorie, Metapher. Zur Theorie und Praxis der Gleichnisauslegung.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke Verlag 2007. XII, 312 S. 8° = Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter, 47. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-7720-8238-2.

Rezensent:

Rainer Hirsch-Luipold

Bei der zu besprechenden Monographie handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer Doktorarbeit an der Norwegischen Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Trondheim, die ge­mein­sam von Klaus Berger und Olav Hognestad betreut wurde. Die Arbeit bietet eine Auseinandersetzung mit Adolf Jülichers epochaler Kritik allegorischer Auslegungsverfahren (»Die Gleichnisreden Jesu«, Tübingen 21888–1899) und deren Auswirkungen in der Gleichnisexegese bis heute. Ziel ist es, dem »Schatten zu Leibe zu rücken«, den Jülichers Kritik auf die neutestamentliche Gleichnisauslegung geworfen hat (3), ja »A. Jülichers Allegorisierungsverbot sowohl von der Theorie als auch von der Praxis her zu widerlegen« (4).
Teil 1 (»Allegorie und Gleichnis«) widmet sich Jülichers Kritik und deren Nachwirkungen auf prominente Beiträge zur Gleichnisforschung im 20. Jh. (Bultmann, Dodd, Jeremias, Fuchs, Linnemann, Jüngel, Weder, Klauck, Blomberg u. a.). Renate Banschbach Eggen versucht zu zeigen, wie stark alle diskutierten Entwürfe in ihrer theoretischen Grundlegung von Jülichers Kritik an allegorisierenden Auslegungsverfahren bestimmt bleiben, wie dies jedoch durch die Auslegungspraxis derselben Exegeten konterkariert wird.
Diesem Nachweis dient in Teil 2 (»Gleichnisauslegung in der Praxis«) eine vergleichende Analyse der Auslegungspraxis von 27 Neutestamentlern anhand von vier synoptischen Gleichnissen (Mk 4,26–29; Mt 20,1–16; 16,1–8; Lk 15,4–7 [Mt 18,12–14]). B. E. weist auf, wie verbreitet ungeachtet gegenteiliger Beteuerungen eine Interpretation einzelner Erzählzüge in der Auslegungspraxis ist – mit überaus unterschiedlichen Ergebnissen. Um die jeweils übertragenen Erzählzüge zu einem Grad der strukturellen Übereinstimmung zu bringen, der eine vergleichende tabellarische Gegenüberstellung erlaubt und so die Divergenzen in der Auslegungspraxis hervortreten lässt, wählt B. E. das Verfahren der Paraphrase. Im Hintergrund steht ein texttheoretisches Modell einer über die Sprache vermittelten und von ihr unterscheidbaren »Sache«. Das Gleichnisverstehen beruht nach B. E. wesentlich auf »Sachtexterstellung«, also auf einem »Prozess, der vom Bildtext zum Sachtext führt« (227). Die Aufgabe der Gleichnisdeutung stellt sich entsprechend wesentlich als Aufdeckung eines im Bildtext angelegten Sinns dar, also als letztlich objektivierbares Unterfangen; die Aktivität des Auslegers besteht in der Aufdeckung einer im Text angelegten Bild- Sache-Relation. Die prinzipielle Deutungsoffenheit bildhafter Sprache tritt demgegenüber zurück.
B. E. führt die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Auslegern in Methode und Deutungspraxis, die sie durch eine weitere exemplarische Fokussierung auf das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26–29) plastisch werden lässt, auf eine Missachtung der »Kontrollfunktion des Bildtextes« zurück (208). Demgegenüber könne die konsequente Beachtung der »Erzählkonstellation« als Garant einer kontrollierten Auslegung fungieren, insofern sie die »einzige deutliche Verbindung zwischen Bildtext und Sachtext« bildet (ebd.). Indem B. E. den Anteil des Lesers/Exegeten am Deutungsprozess und zugleich die poetische Qualität des Textes minimiert, sucht sie die Objektivität des – auf die Autorität Jesu zurückgeführten – Textsinns sicherzustellen: »Wenn man den Gleichnissen ihren Wert als Worte Jesu nicht absprechen will, … dann muss der Erzählkonstellation im Auslegungsprozess eine Kontrollfunktion zukommen« (208 f.). Die zitierte Bemerkung offenbart die unklare Verhältnisbestimmung zwischen einer Hermeneutik der Gleichnisse als Worte Jesu und einem grundsätzlich synchron-literarischen Ansatz. Wie lässt sich die Forderung einer Analyse auf der Endstufe des Textes mit dem mehrfach formulierten Anliegen vereinbaren, das Gleichnisverständnis Jesu zu erheben, das uns auf die vorliterarische Ebene verweist?
In einigen grundsätzlichen Bemerkungen zu Beginn von Teil 2 (91–100) spricht B. E. die hermeneutische Problematik unter Rekurs auf unterschiedliche Ansätze zur Metaphorologie (Lakoff/Johnson, Harnisch, Weder, Jüngel, Crossan, Funk), die den Auslegungsvorgang als Interaktion von Text und Ausleger begreifen, zwar an, bringt diese Entwürfe aber nicht in ihrem eigenen Recht zur Geltung. Dies hängt zusammen mit der – im Blick auf den Erkenntnisgewinn wenig glücklichen – methodischen Grundentscheidung, die jeweiligen Positionen lediglich im Blick auf ihre Jülicherrezeption zu diskutieren. Auf diese Weise wird eine Position aus dem ausgehenden 19. Jh. zum Korsett, das es nicht ermöglicht, die folgenden Entwicklungen in der metaphorologischen Debatte in ihrer vollen Bedeutung zu würdigen. Dies ist umso bedauerlicher, als das begrüßenswerte Ziel der Arbeit erklärtermaßen nicht allein forschungsgeschichtlich, sondern auf die gegenwärtige exegetische Praxis hin ausgerichtet ist.
Den Teil zur Auslegungspraxis abschließend bietet B. E. ihre eigene Deutung des Reich-Gottes-Gleichnisses (Mk 4,26–29), die sie folgendermaßen zusammenfasst: »Das Gleichnis ist als Mahnung an die Adressaten des Markusevangeliums zu verstehen: Wenn es darum geht, die Lehre Jesu zu verwirklichen, eine positive Ent­- wicklung hervorzubringen, so kommt es alleine auf die bekehrten Menschen selbst an« (242). Die Emphase, mit der diese Deutung, die durch die Betonung gerade der geforderten Aktivität der Gemeinde gegenüber der bisherigen Auslegungspraxis überraschende Ak­zente setzt, vorgetragen wird, unterstreicht noch einmal die texthermeneutischen Voraussetzungen von B. E.: »Bei konsequenter Berücksichtigung der im Bildtext vorgegebenen Erzählkonstellation kann man meines Erachtens kaum zu einer anderen Auslegung gelangen« (243).
Teil 3 des Buches (»Metapher und Gleichnis«) klappt – vom An­satz her folgerichtig – etwas nach, indem sich B. E. mit dem Metaphernbegriff nun jener Kategorie zuwendet, die sie in den vorausgegangenen, ausschließlich von Jülichers Allegorisierungsverbot her argumentierten Abschnitten zurückgestellt hatte.
Die Grundidee der Arbeit, nämlich nachzuweisen, dass im Blick auf das Allegorisierungsverbot Jülichers eine deutliche Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis der Ausleger besteht, ist durchaus zu begrüßen. Bedauerlicherweise aber schafft sich B. E. selbst ein ungutes Korsett, indem sie diese Untersuchung immer als Auseinandersetzung mit Jülicher thematisiert, auch dort, wo die Forschungsdiskussion längst neue Wege eingeschlagen hat. Dass die Modifikationen an Jülichers Modell in der Auslegungsgeschichte des ausgehenden 20. Jh.s nicht ausreichend in den Blick kommen, führt zugleich dazu, dass B. E. bei der berechtigten Kritik an Jülichers Allegorisierungsverbot die bleibende Bedeutung übersieht: Sie besteht unter anderem in der Einsicht in die Notwendigkeit einer Berücksichtigung formaler Gesichtspunkte bei der Frage nach dem legitimen Grad »allegorisierender« Deutungen, also bei der Frage, inwieweit die Ausdeutung von Einzelzügen und -motiven einer Erzählung legitim und geboten ist.