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Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

44-46

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Amsler, Frédéric, Dettwiler, Andreas, Heil, Christoph, Kloppenborg, John S., Levine, Amy-Jill, Luz, Ulrich, Marguerat, Daniel, Sato, Migaku, Schlosser, Jacques, Schmeller, Thomas, Schröter, Jens, et Joseph Verheyden

Titel/Untertitel:

La source des paroles de Jésus (Q). Aux origins du christianisme. Sous la direction d’A. Dettwiler et D. Marguerat.

Verlag:

Genève: Labor et Fides 2008. 401 S. 8° = Le Monde de la Bible, 62. Kart. EUR 27,00. ISBN 978-2-8309-1341-5.

Rezensent:

Michael Labahn

Der anzuzeigende Sammelband will die Q-Forschung im frankophonen Sprachraum beleben. Die Herausgeber verstehen das Do­kument »Q« – die aus dem Matthäus- und dem Lukasevangelium rekonstruierte zweite Quelle der Zwei-Quellen-Theorie – als schriftlich fixierte Erinnerung einer an der Mission innerhalb des Judentums engagierten juden-christlichen Bewegung. Das Dokument weist zurück auf die Anfänge des Christentums und repräsentiert eine Erneuerungsbewegung, die Jesus als Gesandten und als Menschensohn versteht. Auch wenn das Dokument »archaïque« genannt wird, gilt »l’utopie d’un accès immédiat aux paroles du Nazaréen doit être abandonnée: la Source procède déjà d’une réception et d’une interprétation de son message« (10). So beziehen die Herausgeber in ihrem Vorwort klar zur Diskussion Stellung und machen deutlich, was die Leser und Leserinnen von dieser ›Belebung‹ als Impulse zu erwarten haben.
Die von führenden Q-Forschern verfassten Beiträge gehen zurück auf ein Postgraduiertenkolleg aus dem Jahr 2006 an der Universität von Lausanne (mit Ausnahme des Beitrages von A.-J. Le­-vine). Einzelne Überlegungen sind in ähnlicher Form schon auf Deutsch und Englisch publiziert, liegen aber nun verändert und aktualisiert vor. D. Marguerat, Pourquoi s’intéresser à la Source? Histoire de la recherche et questions ouvertes (19–49), gibt einen instruktiven und thematisch orientierten Forschungsüberblick von der Begründung und Kritik der Q-Hypothese bis zu ihrer so­-zialgeschichtlichen Analyse. Beachtenswert ist seine Kennzeichnung offener Fragen (34 ff.). So sei es weiterhin aufgegeben, die me­thodischen Voraussetzungen und Bedingungen zu prüfen, unter denen Q-Texte rekonstruiert werden können. Die »Critical Edition« sei daher keine abschließende Text-Rekonstruktion, sondern eine kritisch zu nutzende Arbeitsgrundlage. Weiterhin diskutiert Marguerat Aspekte des Inhalts, der Einheitlichkeit, Schriftlichkeit, Komposition und literarischen Gattung, was neuerdings durch das Heranrücken von Q an narrative Texte (Heil: Evangelien) neue Impulse erhalten hat, der Adressaten und des Beitrags von Q zur historischen Jesus-Forschung. Er markiert zukünftige Aufgabenstellungen, wobei bisweilen die Diskussionslage verwickelter ist als dargestellt (etwa bei der Lokalisierung von Q [47]).
Von diesen Fragestellungen her nimmt sich F. Amsler, Comment le texte de la Source a-t-il été reconstruit? Notes sur l’histoire des éditions de Q (51–72), der Rekonstruierbarkeit des Textes an. Er analysiert neben Harnack, Weiss, Polag (noch nicht Fleddermann, obgleich Textrekonstruktionen vor seinem Kommentar von 2005 bereits in verschiedenen Aufsätzen vorausgeschickt wurden) die Critical Edition. Das Ergebnis ist nüchtern, aber treffend: Jede Textrekonstruktion ist eine im wissenschaftlichen Diskurs zu plausibilisierende Hypothese von heuristischem Wert (71 f.).
J. S. Kloppenborg, Sagesse et prophétie dans l’évangile des paroles Q (73–98), und A. Sato, Le document Q à la croisée de la prophétie et de la sagesse (99–122), führen ihren Dialog zur literarischen Gattung von Q – weisheitlich oder prophetisch – weiter, die Grenzen dieser Differenzierung für die Gattungsbe­stimmung allerdings herausstellend. Kloppenborg, indem er das Problem terminologischer Präzisierung anerkennt, weist auf die Apokalyptik als ein differenziertes Denkmodell und sieht die Weisheit als Argumentationsstil (»style d’argumentation«; 75) an. Er richtet sein Augenmerk auf die weisheitliche Unterweisung 4QInstruction a–f (4Q415–418); dieser Text verbindet weisheitliche Formen mit apokalyptischem Denken; er integriert wie Q eschatologische Elemente und verweist auf einen Weisen als »médiateur d’une sagesse particulière« (98). Auch Sato hält an seiner Grundthese fest, eruiert aber einen Typ von Prophetie, den er als »prophétie sapientiale« (116 ff.) bezeichnet; die Endform von Q bleibt der Analogie zum »livre prophétique traditionel« verbunden (122).
J. Schlosser, La composition du document Q (123–147), untersucht die Geschichte der Kompositionskritik, deren Ergebnisse disparat erscheinen und damit wenig Fortschritt ermöglichen. Unter Betonung der Bedeutung der theologischen und der christologischen Dimension hebt Schlosser die Vorzüge des Evolutionsmodells (»modèle évolutif«) von Schürmann und dessen Ent­- wick­lung durch Ebner (147; ohne seine Analyse eigens vorzustellen) hervor.
Th. Schmeller, Reflexions socio-historiques sur les porteurs de la tradition et les destinataires de Q (149–171), betont in kritischer Auseinandersetzung mit Theißen (Präventivzensur, Wanderradikalismus und charismatischer Autorität) und der weiterführenden Forschung erneut die Notwendigkeit, für die Komposition von Q mit der Einheit zwischen Wandermissionaren und sesshaften Sympathisanten zu rechnen; aufgrund der Analysen von Q 12,22–31 und 10,2–16 schließt er: »Tous deux formaient le groupe qui reconnaissait son identité dans la suivance de Jésus« (170). Diese Gruppe wirkt missionarisch.
A.-J. Levine, Les femmes dans la (les) communauté(s) et traditions de Q (173–190), ist eine leicht gekürzte französische Übersetzung ihres wichtigen Beitrags in: R. S. Kraemer/M. R. D’Angelo (Hrsg.), Women and Christian Origins 1999, 150–170.
J. Verheyden, Le jugement d’Israël dans la source Q (191–219), wiederholt seine Interpretation der Gerichtsaussagen in Q gegenüber Israel als endgültig ohne Ruf zur Umkehr. Sie dienen der Identitätsbildung – »se réorienter et de se redéfinir elle-même« (219) – weniger der Aufarbeitung der Ablehnung der Verkündigung. Allerdings ist m. E. zu fragen, ob sich beide Aspekte dergestalt trennen lassen.
A. Dettwiler, La source Q et la Torah (221–254), untersucht Q 11,39–42; 16,16–18 und kurz 4,1–11; 9,59 f. Es wird bestätigt, dass trotz einer provokativen und ironischen Sprache, die die Gerechtigkeit und das Erbarmen neu aufwertet, die Tora im judenchristlichen Dokument Q grundsätzliche Gültigkeit beansprucht. Mit Recht bestreitet er eine torazentrierte Schicht (Q3 nach dem Modell von Kloppenborg). Die anerkannte Tora erfährt eine hermeneutische Neubewertung in Q 4,1–13 und eine Umorientierung im theologischen Denken von Q, da sie nach 16,16–18 zugunsten des Gottesreiches vom Kern an die Peripherie verlagert wird.
U. Luz, Le regard de Matthieu sur la source Q (255–273), beschäftigt sich mit der Aufnahme von Q – genauer der matthäischen Q-Version (QMt) – im Matthäusevangelium, die als eine vollständige De-Konstruktion des Q-Dokuments zu verstehen ist; ob diese Art der Rezeption die von Luz gesetzten Schlussfolgerungen rechtfertigt, Q lediglich als offene Sammlung von Jesusworten ohne literarische und theologische Eigenständigkeit zu begreifen (268), ist fraglich. Hier werden Beobachtungen zur Rezeption, die die Traditionsbindung minimieren, zu einem literarischen und theologischen Urteil verdichtet.
Ch. Heil, La réception de la Source dans l’évangile de Luc (275–294), widmet sich der programmatischen Eingangsrede Jesu in Q 6,20–49 und ihrer Aufnahme durch das Lukasevangelium. Traditionsgebundenheit in der Aufnahme literarischer Einheiten (Akoluthie der Episoden) und Freiheit in der aktualisierenden, auch urbanisierenden und hellenisierenden (Q 6,35) Neuformulierung charakterisieren eine Rezeption, die Orientierung in einem lk. Konflikt zwischen Reichen und Armen verschaffen soll.
J. Schröter, Les toutes premières interprétations de la vie et de l’œuvre de Jésus dans le christianisme primitif: La source des paroles de Jésus (Q) (295–320), erneuert seine Vorbehalte gegen Q als einer einheitlichen Quellenschrift. Aufgrund seiner methodologischen Reflexionen erscheint Q als Schicht, die sich aus Materialien »dans lesquels on reconnaît une interprétation des actes et du destin de Jésus autonome, différente de celle de Marc« (300) zusammensetzt. Diese eigenständigen Interpretationen erörtert Schröter am Porträt des Täufers und Jesu als Verkündiger des Gottesreiches, am Profil von Jesu Taten und an der Bezeichnung Jesu als Menschensohn.
Eine von Amsler für die Sammlung bearbeitete französische Übersetzung der CEQ ist dem Band beigefügt. Zudem wird er durch eine Gesamtbibliographie ergänzt, die durch ihre Sammlung zentraler Q-Beiträge über die gegenwärtige Forschung orientiert. Ausführliche Register (Stellen und Autoren) schließen den Band ab. Auch wenn sich dieser Band zunächst an die französischsprachige Forschung wendet, so ist er darüber hinaus mit Interesse zu lesen. So leiten die verschiedenen Beiträge gerade in ihren unterschiedlichen Antworten informativ in die aktuelle Diskussionen ein. Dabei verweist die Sammlung auf offene Fragen und dis­kutiert Lösungsansätze, indem die an der Diskussion beteiligten Forscher ihre Thesen und Methodik neu bedenken, was den Band für Forscher wie Studierende von Nutzen sein lässt.