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Ausgabe:

Januar/2011

Spalte:

25-27

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Müller, Tobias, Schmidt, Karsten, u. Sebastian Schüler [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion im Dialog. Interdisziplinäre Perspektiven – Probleme – Lösungsansätze.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009. 303 S. 8°. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-525-56444-8.

Rezensent:

Ralf K. Wüstenberg

Der anspruchsvolle Sammelband entwirft einen methodisch fundierten Rahmen für den interdisziplinären Umgang mit dem Thema »Religion im Dialog«. Es werden philosophische, theologische, naturwissenschaftliche, religionswissenschaftliche und soziolo­gische Perspektiven in einem Band vereint. Die Leitfrage, die die Schlagworte »Religion« und »Dialog« miteinander verbindet, lautet: »Wie kann und wird Religion im Umgang unterschiedlicher Disziplinen dialogisch verhandelt?« (Vorwort) Als erfolgversprechend gelten in dem Sammelband »dialogische Ansätze, die nicht darauf abzielen, Unbekanntes auf Bekanntes zu reduzieren«; vielmehr soll »in der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung« versucht werden, »etwas in sich aufzunehmen, das über den begrenzten Horizont des Eigenen hinausgeht und sich somit nicht mehr aus dem Bestand des hergebrachten Erkenntnisschemas monologisch ableiten lässt« (9). Dass ein solches Programm, jedenfalls so­bald es im Bereich des interreligiösen Dialogs in Verbindung mit der Wahrheitsfrage Anwendung findet, erheblichen Zündstoff bieten kann, ist den Herausgebern bewusst. Ob ihnen ebenso deutlich ist, dass mit diesem programmatischen Auftakt bereits im Vorfeld eine Selektion im Rahmen des religiösen Pluralismus stattgefun den hat, nämlich zugunsten pluralistischer Religionstheologie resp. -philosophie (unter Ausschluss von Wahrheitsmomenten inklusivistischer, exklusivistischer Theorien bzw. eines positionellen Pluralismus), wird zu fragen sein.
Die elf Beiträge des Sammelbandes werden in drei große thematische Bereiche untergliedert. Der erste Teil behandelt methodische Ausgangspunkte und bietet mit religionsphilosophischen (Richard Schaeffler), religionssoziologischen (Joachim Renn) und religionswissenschaftlichen (Karsten Schmidt) Beiträgen bereits einen interdisziplinären Einstieg, um die komplexe Sachlage disparater Zugänge zum Themenfeld »Religion im Dialog« auszuleuchten (19–138). Der zweite Teil widmet sich dezidiert Fragen des interreligiösen Dialogs, wobei – konsequent der programmatischen Ausgangsthese des Buches – vor allem Stimmen der pluralistischen Religionstheologie (Perry Schmidt-Leukel) sowie der pluralistischen Religionsphilosophie (Ram Adhar Mall) zu Wort kommen. Darüber hinaus stellt der Religionswissenschaftler Wolfgang Gantke produktive Fragen über Möglichkeiten, aber vor allem Grenzen interreligiöser Dialoge. In der Tat muss mit Gantke gefragt werden, ob »die in kleinen Kreisen unter gutwilligen Teilnehmern erzielten unbestreitbar humanen und spirituellen Fortschritte« angesichts der »weltweit operierenden militanten Fundamentalisten« noch ins Gewicht fallen (183). Dennoch bleibt auch für Gantke der Dialog der Religionen keine Illusion. Fragend hält er als Voraussetzung eines gelingenden Dialogs fest: »Ist es nicht dieser Unendlichkeits- und Transzendenzbezug jedes einzelnen unaustauschbaren Menschen, der sich in allen Weltreligionen nachweisen lässt und der diese von allen innerweltlichen Ideologien, die ihr Heil nur im Endlichen suchen, bleibend unterscheidet?« (195)
Im dritten Teil des Bandes kommen Stimmen zum Dialog der Religion mit den Naturwissenschaften zu Wort. Philip Clayton eröffnet diesen Teil, indem er – entsprechend seinem theologischen Entwurf – ein grundsätzlich »dialogisches Modell religiöser Exis­tenz« fordert. Am Beispiel des Dialogs mit den Naturwissenschaften diskutiert Clayton Risiken und Chancen einer »Theologie als Dialog«. Im Kern macht er den einfachen, letztlich reformato­rischen Grundsatz von der Unüberwindbarkeit des Zweifels für den Glauben(den) zum theologischen Dialogansatz. Stefan Bauberger geht in seinem Beitrag davon aus, dass die Klärung des Verhältnisses von naturwissenschaftlicher und religiöser Erkenntnis eine hilfreiche Voraussetzung für den Dialog der Religionen sein kann. Religiöse Wahrheit bleibt eine Frage der Subjektivität, die eigene Kriterien des Erkennens entwickeln muss. Auf der anderen Seite erfasst jede Objektivierung »nur eine Perspektive der Wahrheit« (244). Erfrischend liest sich der abschließende Beitrag von dem katholischen Theologen und Physiker Hans-Dieter Mutschler, der einleitend wieder eine Binnen- von einer Außenperspektive des religiösen Dialogs, diesmal mit den Naturwissenschaften, unterscheidet. Es gibt auch hier nur einen kleinen Zirkel, der in harmonischer Binnenperspektive einen Dialog anstrebt. »In der Biologie ist der Materialismus die herrschende Weltanschauung und die Fortschritte in den Neurowissenschaften haben dazu geführt, religiöse Fragen für obsolet zu halten. Es kann keine Rede davon sein, dass die Kluft zwischen Naturwissenschaft und Theologie mythologischer Art sei. Tatsächlich vertieft sich diese Kluft und viele Wissenschaftler vertreten daher einen aggressiv gegen Kirche, Glaube und Theologie gewendeten Materialismus.« (250) In seinem Beitrag bleibt Mutschler nicht bei dieser düsteren Analyse stehen, sondern dekonstruiert am Beispiel der Radikalszientisten: »In Wahrheit bezieht sich ihre Polemik gar nicht auf die Religion oder die Theologie, sondern auf deren anthropologische Voraussetzungen. Die Radikalszientisten schaffen Gott ab um den Preis, zuvor den Menschen abgeschafft zu haben.« (251)
Die verschiedenen Perspektiven, in denen das Thema »Religion im Dialog« interdisziplinär ausgeleuchtet wurde, bündelt der Schlussbeitrag von Tobias Müller. Er untersucht zunächst den Religionsbegriff und arbeitet dann das Potential der kontextuellen Eingebundenheit der Religion und den Status zentraler religiöser Begriffe für die Dialogthematik heraus. Religion wird hierbei zugeschrieben, synthetisierende Erkenntnisse zu entwickeln. In Anknüpfung an Beiträge des Bandes wird die These erhärtet, dass die Möglichkeit zum Dialog schon in der Struktur der Religion angelegt ist und sich hieraus Kriterien für die Durchführung des Dialogs entwickeln lassen. Im Religionsbegriff eingetragen ist allerdings immer eine »formale Offenheit«. Vorausgesetzt wird, dass man »in diesem Dialog tatsächlich etwas Neues lernen kann« (291).
Die Vorentscheidung auf die pluralistischen Ansätze in Religionsphilosophie und -theologie bedeutet eine klare Fokussierung innerhalb der Pluralismusdebatte. Nicht in den Blick tritt z. B. der sog. positionelle Pluralismus, wie er in kritischer Auseinandersetzung mit der pluralistischen Religionstheologie einerseits und den extremen Positionen des Exklusivismus bzw. Inklusivis­mus andererseits entwickelt wurde (Härle, Schwöbel). Grundgedanke des positionellen Pluralismus ist die Annahme, dass Glauben immer geschenkt ist. Absolut kann daher niemals eine Glaubenstradition (etwa das Christentum) sein, sondern nur diejenige ›höhere Macht‹, die den Glauben schenkt (Gott als Heiliger Geist). Aus diesem Grundgedanken einer kategorialen Verschiedenheit zwischen Gott und Mensch, ergibt sich (gerade nicht unter Relativierung der Wahrheitsfrage) echte Toleranz, eben Toleranz aus Glauben. Momente der Leistungsfähigkeit dieses Modells wären gut ins Gespräch zu bringen mit Ergebnissen von Einzelbeiträgen des Sammelbandes. Um ein Beispiel zu ge­ben: Clayton weist auf den kategorialen Unterschied zwischen der Absolutheit einer Glaubenstradition hin, die er zu Recht ablehnt, und einer Absolutheit, die hinter den Traditionen wirksam ist im Sinne eines Verweisungszusammenhangs, nämlich »auf etwas, was hinter all diesen Formulierungen (der Glaubenstraditionen) liegt« (223).