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Ausgabe:

Dezember/2010

Spalte:

1401-1402

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bohnert, Cristino

Titel/Untertitel:

Christliche Mission im paraguayischen Chaco. Das Wirken der Oblaten-Missionare im 20. Jahrhundert.

Verlag:

Nettetal: Steyler Verlag 2009. 362 S. m. Ktn. u. Tab. gr.8° = Studia Instituti Missiologici Societatis Verbi Divini, 91. Kart. EUR 29,80. ISBN 978-3-8050-0561-6.

Rezensent:

Jörg Haustein

Das Buch ist die Veröffentlichung der Dissertation von Cristino Bohnert, die 2009 bei Michael Sievernich in Mainz eingereicht wurde. B. ist ein deutschstämmiger katholischer Priester in der Diözese Villarica del Espíritu Santo in Paraguay und nutzte einen fünfjährigen Studienaufenthalt in Deutschland zur Anfertigung dieser Arbeit.
B. beschäftigt sich mit der Mission des Ordens Oblati Mariae Immaculatae (OMI) im Chaco-Gebiet in Paraguay, von der Gründung der ersten Präfektur bis zum Ende des 20. Jh.s. Die Hauptquellen B.s sind dabei vor allem das zugängliche Archivmaterial und drei Zeitschriften des OMI, die hinsichtlich der Arbeit in Paraguay hier erstmalig systematisch aufbereitet werden. B. beschränkt sich aber nicht nur auf eine historische Darstellung der Mission, sondern fragt nach dem zugrunde liegenden Missionsverständnis und den Missionsmethoden. Dabei will er zeigen, dass diese in den letzten Jahrzehnten des 20. Jh.s einen Wandel erfahren haben, der maßgeblich durch das II. Vatikanische Konzil geprägt wurde.
Das Buch beginnt mit einer kurzen Einleitung (15–25), in welcher der Forschungsstand, die Fragestellung und Struktur der Ar­beit sowie die verwendeten Quellen umrissen werden. Der Hauptteil der Untersuchung gliedert sich sodann in drei große Teile.
Der erste Teil ist eine umfangreiche Einführung in das Gebiet des Chaco und seine Vergangenheit (26–92), bestehend aus Geographie, politischer Geschichte, einer Beschreibung der einheimischen Bevölkerung und einem Überblick über die Arbeit anderer Missionen im Gebiet. Diese Orientierung ist hilfreich, sie hätte aber vielleicht von zwei Er­weiterungen profitiert. Zum einen ist die politische Geschichte auf die Zeit bis zu den Anfängen der OMI-Mission beschränkt, wo­durch der spätere politischen Kontext der Mission in Paraguay unterbelichtet bleibt, wenngleich Schlüsseler­eignisse gelegentlich Erwähnung finden. Zum anderen fehlt der Charakterisierung der einheimischen Be­völkerung die Perspektive der kritischen Ethnologie, was sich an der Art der Beschreibung und an der unkritischen Verwendung von Begriffen wie »Schamane«, »Medizinmann« oder »Indianer« zeigt. Zu »Indianer« be­merkt B. zwar kurz, dass diese Bezeichnung nicht ohne Schwierigkeiten ist, lässt sich jedoch nicht auf eine weitere Diskussion ein (38). Doch gerade die kritische Analyse von Begriffen und Darstellungsweisen erhellt die kolonisierende Kraft der ethnographischen Beschreibung und arbeitet die Politik kultureller Kontaktzonen heraus, was von großer Relevanz für die Missionsgeschichte des Chaco ist.
Auf die geographische und historische Einführung folgt der zweite Teil des Buches, der die Arbeit der Oblatenmissionare von 1925 bis zum II. Vatikanischen Konzil schildert (93–190). Die Ur­sprünge der Mission liegen eigentlich in Bolivien, denn zu diesem Land gehörten große Teile des Chaco bis zum Chaco-Krieg (1932–1935). B. schildert die politischen Interessen Boliviens an der Mission, die großen Schwierigkeiten bei ihrer Gründung, sowie den Übergang in paraguayisches Gebiet im Zuge des Kriegs. Die weiteren Entwicklungen werden in zwei Teilen ausgeführt (1935 bis zur Einrichtung des Vikariats 1950, 1950 bis zum II. Vatikanischen Konzil), in denen B. die organisatorischen Bedingungen der Mission, ihre Schwerpunkte und ihre Schwierigkeiten beschreibt und zudem einzelne Missionare vorstellt. Hinsichtlich der Kontakte zur lokalen Bevölkerung verbleibt B. dabei konsequent in der Sprache und Perspektive seiner missionarischen Quellen. Der Leser erfährt, dass »die Indianer« auf ihren »Aberglauben« nicht verzichten wollten (132), dass es mithilfe von Lebensmitteln und Kleidung gar nicht schwer war, die für eine Schule »nötige Anzahl Kinder zu sammeln« (137), dass diese aber auf die Erziehungsmethoden der Missionare nicht positiv reagierten, denn »Strafe war den Indianern unbekannt« (136), dass durch die Mission »das Kazikentum aufgelöst« wurde (154) und dass zwischen Missionaren und »Zauberern bzw. Schamanen« Feindschaft bestand (146). B. thematisiert zwar das »Bild der Anderen« an mehreren Stellen ebenso wie die sehr begrenzten Sprachkenntnisse der Missionare, aber es fehlt eine weiterführende kritische Diskussion der Interaktion zwischen Missionaren und Einheimischen, die den durch das II. Vatikanum vollzogenen Paradigmenwechsel inhaltlich vorbereiten würde.
Der dritte Teil der Studie beschäftigt sich mit der Entwicklung vom II. Vatikanischen Konzil bis zum Jahr 2000 (191–303). B. teilt diese Periode in drei Phasen. Die erste Phase beginnt mit dem Vatikanischen Konzil und endet mit dem Treffen der Oblatenmissionare in General Díaz 1972, auf dem praktische Konsequenzen aus dem Konzil gezogen wurden. B. macht dabei deutlich, dass die Rezeption des Konzils sich zunächst in allgemeinen theologischen Erklärungen vollzog, bis das Generalkapitel des OMI 1972 eine Änderung der pastoralen Richtlinien bewirkte, die dann auf dem Treffen der Mission in Paraguay im selben Jahr rezipiert wurden. Die nächste Phase von 1972 bis 1986 bezeichnet B. als »Krisenzeit«, denn die beschlossenen Änderungen in den Methoden der Mission erwiesen sich als schwierig und kontrovers. B. zeichnet nach, wie weitere theologische Verlautbarungen den eingeschlagenen Weg stützten und wie diese lokal rezipiert wurden, angefangen von einem ausgeprägten Inklusivismus hinsichtlich der traditionellen Religionen bis hin zu den Schwierigkeiten bei der Einforderung der Selbstverwaltung von Projekten durch die lokale Bevölkerung. Die internen Debatten zu diesen theologischen Wendungen werden nur kurz thematisiert, offensichtlich ist die Quellenlage hierzu eher dünn. Die dritte Phase von 1986 bis 2000 bestand laut B. in der Anwendung der neueren Missionsmethoden. Auch hier zeichnet B. zunächst theologische Entwicklungen nach, bevor er die praktischen Auswirkungen in den missionarischen Initiativen aufzeigt.
Ein kurzes Schlusswort resümiert B.s These, dass das II. Vatikanum die Missionsmethoden der Oblatenmissionare grundlegend gewandelt habe, was er an den Beispielen des Katechumenats, der Schule, des Gesundheitswesens, der Entwicklungshilfe und der Zusammenarbeit mit anderen Orden zusammenfassend belegt. Dabei wird aber auch deutlich, dass dies keineswegs ein geradliniger Prozess war, der von der Mission selbst ausging, sondern dass diese durch die Rezeption der Konzilsdokumente und die anwachsende ethnologische Kritik zu einem neuen Verständnis gedrängt wurde. Die Ironie dieses Wandels unterstreicht ein missionskritisches Zitat im selben Kapitel: »Ihr habt uns geschlagen, als wir zu unseren Festen gingen, und jetzt wollt ihr, dass wir tanzen.« (304)
Die hier zum Ausdruck kommende ambivalente Dynamik der missionarischen Präsenz und ihres Wandels wird von der Studie insgesamt leider zu wenig thematisiert, denn es gelingt B. nur selten, sich von der Perspektive seiner missionarischen Quellen zu lösen. Gleichwohl handelt es sich um ein sehr gut geschriebenes und klar strukturiertes Werk, das einen wichtigen Beitrag zur Kirchengeschichte Paraguays leistet, indem es die Mission der Oblaten im Chaco erstmalig umfassend aus den Primärquellen aufarbeitet und darin zugleich am lokalen Beispiel die Rezeption des im II. Vatikanum zum Ausdruck kommenden globalen missionstheologischen Wandels erschließt.