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Ausgabe:

Dezember/2010

Spalte:

1395-1396

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Obenauer, Silke

Titel/Untertitel:

Vielfältig begabt. Grundzüge einer Theorie gabenorientierter Mitarbeit in der evangelischen Kirche.

Verlag:

Berlin-Münster: LIT 2009. 249 S. gr.8° = Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie, 14. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-643-10060-3.

Rezensent:

Reiner Knieling

Silke Obenauer entwickelt in ihrer in Heidelberg vorgelegten und angenommenen Dissertation ein eigenständiges Modell gabenorientierter Mitarbeit für den Kontext evangelischer Landeskirchen in Deutschland. Erfreulich finde ich, das sei als Einschätzung vorweggenommen, dass es ihr gelingt, Modelle aus dem missionarisch-evangelikalen Raum wohlwollend-kritisch darzustellen und in gründlicher Auseinandersetzung damit einen eigenen, auf die Wirklichkeit deutscher evangelischer Landeskirchen bezogenen Entwurf vorzulegen.
O. stellt zunächst ausführlich »Materialien zur gabenorientierten Mitarbeit« vor (Teil 1), und zwar das D.I.E.N.S.T.-Modell der Willow Creek Community Church aus Chicago und den Gabentest aus dem Kontext der sog. »natürlichen Gemeindeentwicklung« von Christian Schwarz. Neben aller erkennbaren Sympathie unterzieht O. das Material einer kritischen Würdigung und formuliert klare theologische Anfragen (z. B. an das in dem Material sich spiegelnde Glaubensverständnis oder Menschenbild) und benennt methodische Schwächen.
Der zweite Teil dient der theologischen Grundlegung des eigenen Entwurfs. Aufgrund verschiedener exegetischer Überlegungen (vor allem zu 1Kor 12, Röm 12, 1Petr 4 und Eph 4) und systematisch-theologischer Reflexionen kommt O. zu einer trinitarischen Be­stimmung des Gabenbegriffs, der dynamische und habituelle Aspekte verbindet: »Als eine Gabe ist eine vom dreieinigen Gott aus Gnade jedem Christen individuell gegebene Begabung zu verstehen, die von Gott je aktuell und ereignishaft in Dienst genommen wird und derart vom Empfänger zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen eingesetzt wird.« (142)
Im dritten Teil klärt O. die Fragen nach gabenorientierter Mitarbeit in der Gemeinde kirchentheoretisch, indem sie die Potentiale der reformatorischen Einsichten auslotet (allgemeines Priestertum etc.), ihre Überlegungen mit zentralen Einsichten aus den Mitgliedschaftsstudien konfrontiert und sie in die aktuelle Kirchenreformdebatte einzeichnet.
Daraus entwickelt sie schließlich »Grundzüge einer Theorie gabenorientierter Mitarbeit in der evangelischen Kirche« (Teil 4). Ihr kommt es wesentlich darauf an, dass die Mitarbeit selbstbestimmt bleibt und z. B. nicht nur angefangen, sondern auch wieder beendet werden kann, dass klare Vereinbarungen getroffen werden und die Mitarbeit ganz unterschiedliche Formen – innerkirchlich genauso, wie über die Grenzen der Kirche hinaus (Familie, Gesellschaft, Beruf, Politik ...) – annehmen kann. Aufgabe der Gemeinde ist es, »Strukturen zu schaffen, die das Entdecken und Fördern von Begabungen ermöglichen« (219).
Der Entwurf O.s ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass sich die wissenschaftlich-kritische Auseinandersetzung mit Konzepten aus dem missionarisch-evangelikalen Raum lohnt und dass es möglich ist, die in solchen Konzepten verborgenen Anliegen konstruktiv aufzunehmen, ohne die Konzepte als Ganze unkritisch in landeskirchliche Kontexte einpflanzen zu wollen. O.s »Grundzüge« sind theologisch solide fundiert und zugleich kontextgerecht. Es liegt in der Natur von Grundzügen, dass sie weiter konkretisiert, in der Praxis erprobt und ggf. modifiziert werden. Das ist der Arbeit O.s zu wünschen.