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Ausgabe:

Dezember/2010

Spalte:

1381-1383

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Straßburg, Klaus-Dieter

Titel/Untertitel:

Die Trinitätslehre im jüdisch-christlichen Dialog.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2009. 304 S. 8°. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-7887-2370-5.

Rezensent:

Helga Kuhlmann

Seit einigen Jahren erleben wir eine Konjunktur der theologischen Bearbeitung des Dialogs zwischen den Religionen, der Frage nach komparativer Theologie und nach einer Theologie der Religionen. Während der Dialog zwischen Islam und Christentum erst in den letzten beiden Jahrzehnten intensiviert wird und der Dialog zwischen Buddhismus und Christentum eher selten stattfindet, weist der jüdisch-christliche Dialog schon eine über 50-jährige Geschichte auf. Dabei haben sich vielseitig geteilte Überzeugungen ausgeprägt. Eine davon ist die im Synodenbeschluss der Rheinischen Kirche 1980 festgehaltene Ablehnung der christlichen Judenmission aus theologischen Gründen. Eine andere bestätigt die Identität des jüdischen und des christlichen Gottes.
Dass weder die Selbigkeit des jüdischen und des christlichen Gottes noch die Ablehnung der Judenmission aus christlicher Perspektive ohne Problematisierung vertreten werden können, ist die These der Marburger Dissertation von Klaus-Dieter Straßburg aus dem Jahr 2008, die von Dietrich Korsch und Joachim Ring-leben betreut wurde. Seiner Aussage nach bearbeitet er mit der Frage nach der Identität Gottes für Juden und Christen die »letzte« und zugleich die »erste« Frage, die im Dialog bearbeitet werden muss.
Dazu untersucht S. differenziert die Ansätze der jüdischen Philosophen Martin Buber und Franz Rosenzweig sowie die christlich-theologischen Ansätze von Friedrich Wilhelm Marquardt und Jürgen Moltmann. Vor allem diesen beiden stellt er Argumente biblischer Theologie sowie Positionen Karl Barths und Eberhard Jüngels gegenüber, denen er sich selbst anschließt. Danach analysiert er anhand zweier thematischer Schwerpunkte die vier Perspektiven: zunächst im Hinblick darauf, wie Gott in seinen Beziehungen nach innen und nach außen verstanden wird, dann im Hinblick darauf, wie innerhalb der inner- und außergöttlichen Relationen Zeitlichkeit und Ewigkeit Gottes gedacht werden. Die ersten drei Kapitel der vierteiligen Arbeit schließen jeweils mit vergleichenden Analysen, die sich entweder auf die beiden jüdischen oder auf die beiden christlichen Positionen beziehen sowie auch auf alle vier. – Als Maßstab dafür, was aus seiner Sicht gelten kann, präsentiert S. Überlegungen, die er ohne methodische Meta-Reflexion aus einer Kombination bestimmter Gedanken biblischer Theologie erhebt und mit Aussagen barthianischer Theologie verbindet. Dies sei nur an einem Beispiel verdeutlicht.
Unter der Überschrift »Biblische Hinweise« kommt S. zu folgender Erkenntnis über die innergöttlichen Beziehungen: »Das Neue Testament … nötigt dazu, Gott … als liebevolles Gegenüber seiner selbst und so als ewig in sich lebendige Beziehung [zu denken, H. K.]: Gott der Vater und Gott der Sohn stehen sich von Ewigkeit her als einander Liebende gegenüber, und das in seinem irdischen Leben offenbar gewordene Verhältnis Jesu zu seinem himmlischen Vater spiegelt deren ewige Beziehung wider [kursiv H. K.].« (98)
S. enthält sich jeglichen eigenen Kommentars zu diesem Satz. Er scheint also anzunehmen, dass viele, die meisten oder alle Schriften des Neuen Testaments die präexistente ewige in­nertrinitarische Beziehung von Gottvater und Gottsohn voraus­setzen. Selbst wenn einzelne Aussagen aus bestimmten neutestamentlichen Texten so gedeutet werden können, dass sie eine ewige Beziehung zwischen Gottvater und Gottsohn belegen, trifft die pauschal formulierte Aussage S.s nicht zu. Er reinterpretiert die spätere Dogmenbildung in eine fiktive Gesamtheit der neutestamentlichen Texte hinein und nennt diese »biblisch«. Mit analogen, wie ich meine, »Kurzschlüssen« auch in den anderen Kapiteln, erweckt er den Eindruck, als seien »die« biblische Theologie, theologiegeschichtliche Deutungen aus Bekenntnissen der Alten Kirche, wie sie im 20. Jh. von bestimmten deutschen evangelischen Theologen interpretiert wurden, und Aussagen aus Theologien des 20. Jh.s identisch. Unbestritten ist, dass solche Interpretationen möglich sind. Das Defizit liegt darin, dass sie nicht als Interpretationen kenntlich gemacht werden.
S. differenziert leider nicht oder kaum zwischen den Positionen der bearbeiteten theologischen Ansätze und der angeblichen Position »der« jüdischen oder »der« christlichen Religion. Vielleicht wäre mit zusätzlichen erläuternden Zwischenschritten die Entwicklung einer solchen Position möglich gewesen. Sie erfolgt aber nicht.
Auch die Differenz zwischen Aussagen einzelner Bibelzitate und »der Bibel« wird nicht genügend problematisiert. Mit guten Gründen steht in Frage, ob die im 4. Jh. in der westlichen und anders in der östlichen Christenheit vereinbarten trinitätstheologischen Dogmen eine bruchlose Bestätigung »der« biblischen Aussagen zu den Relationen zwischen Gottvater, Gottsohn und Geist darstellen. Schließlich bedürfte es einer ausführlicheren Begründung, dass Karl Barth und Eberhard Jüngel als normativ für die christliche Sicht beansprucht werden.
Nach den drei in sich komplexen Kapiteln wäre es hilfreich gewesen, auf der Grundlage einer konzentrierten Präsentation der Überlegungen Karl Barths die wesentlichen Thesen abschließend zu bündeln. Stattdessen begibt sich S. in seinem Schlusskapitel in Debatten des aktuellen jüdisch-christlichen Dialogs. Dabei kommen zentrale Themen des jüdisch-christlichen Dialogs in den Blick, die zuvor noch keine Rolle gespielt haben. Deshalb werden nun weitere Positionen aus der christlichen und aus der jüdischen Theologie herangezogen.
Das Plädoyer von S. für eine christliche Theologie ohne Antijudaismus wurzelt auf drei Grundüberlegungen, die er der Theologie Karl Barths entlehnt und die das Verhältnis zwischen Israel und Kirche als Vorher – Später bestimmen. 1. Vor der Erwählung der Kirche wendet sich Gott in seiner erwählenden Liebe seinem Volk Israel zu. 2. Diese Reihenfolge trifft auch für das Gericht zu. S. betrachtet Israel einerseits als gleich schuldig wie alle Menschen, andererseits als schuldig aufgrund der Ablehnung des Messiasbekenntnisses zu Jesus. 3. Das erlösende Handeln Gottes in Jesus Christus gilt zunächst Israel, dann den Heiden. Gott erleidet im jüdischen Menschen Jesus von Nazareth S. zufolge den Fluchtod als Gericht zunächst über Israel, erst dann als Gericht über die Heiden (250). Daher meint er, Jesus von Nazareth sei »der Seins- und Erkenntnisgrund des Heils zuerst für Israel, dann auch für die Völker, und als solcher … der Messias zuerst Israels, dann auch der Völker« (238).
Auf der Basis dieser Annahmen könne, so S., Antijudaismus vermieden werden, weil an der bleibenden Erwählung Israels als erstem Objekt der göttlichen Liebe festgehalten werde, andererseits aber dürfe die Erkenntnis der christlichen Wahrheit Israel nicht vorenthalten werden. Judenmission als Zeugnis ist in den Augen von S. unter der Voraussetzung nicht nur möglich, sondern auch gefordert, wenn der Vorrang und die bleibende Geltung der Erwählung Israels nicht in Frage gestellt werden. Die Einheit des trinitarischen christlichen und des einen jüdischen Gottes allerdings könne nicht behauptet werden.
Im Grunde bearbeitet S. mindestens zwei Themen: Trinität im jüdisch-christlichen Dialog, exemplarisch an den vier Autoren. Hier konzentriert er sich auf zwei Schwerpunkte: auf die Struktur der Relationalität Gottes und auf das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit innerhalb dieser Struktur. Das andere Thema ist die Kritik zentraler Überzeugungen des aktuellen jüdisch-christlichen Dialogs. Dafür werden die vier Ansätze zwar noch einmal herangezogen. Die nun bearbeiteten Fragen intendieren allerdings nicht mehr eine weitere Klärung des Verständnisses der Relationalität Gottes oder des Verständnisses von Ewigkeit und Zeitlichkeit Gottes, die aus dem Gespräch Bubers, Rosenzweigs, Marquardts und Moltmanns im Gegenüber zu Karl Barth eruiert werden könnte, sondern die Klärung zentraler Themen des jüdisch-christlichen Dialogs.
Das Buch fordert den jüdisch-christlichen Dialog dazu auf, grundlegende bisherige Konsense noch einmal neu zu befragen. S. zeigt in überzeugender Weise, dass hier noch einige Baustellen zu bearbeiten sind und dass die reflektierte Position Karl Barths zur trinitarischen Theologie, zum Verhältnis von Kirche und Israel sowie zur Judenmission weiter trägt als sie zuweilen wahrgenommen wird. Dafür, dass aber auch S.s Überlegungen – nicht verwunderlich in der großen Fülle seiner Einzelaspekte – in einigen Punkten noch der Fortsetzung bedürfen, spricht ein Mangel an konzentrierten Thesen.
Auch die Passage aus einem Gespräch zwischen Lévinas und Bischof Klaus Hemmerle auf der letzten Seite des Buches lässt Fragen offen. Lévinas fasst den Kern der Differenz zwischen jüdischer und christlicher Perspektive so: »Ich meine, Sie beginnen damit, dass Gott Liebe ist. Der Jude beginnt mit der Pflicht.« (284) S. erkennt hier den großen Dissenz zwischen den beiden Religionen, die Christen zum Zeugnis der Wahrheit über Gott gegenüber den Juden auffordern. Die Passage kann aber auch ganz anders interpretiert werden: Weil Israel bereits als Gottes Volk erwählt ist und schon in der Liebe Gottes steht, weil Juden als Geborene schon von Gott besonders Erwählte sind, während Christen erst durch den Glauben an Jesus Christus, individuell in der Taufe die Erwählung zugesprochen wird, sind die jeweiligen Erstaussagen der beiden Perspektiven genau in der Weise unterschiedlich akzentuiert, wie Lévinas sie ausdrückt. Das erwählte Volk Gottes existiert bereits im Bund, während Christen sich erst in ihn hineinstellen, wenn sie sich im Vertrauen auf und mit der Bitte um die ihnen schon zuteil gewordene göttliche Liebe taufen lassen, oder wenn sie ihre von den Eltern vollzogene Taufe mit dem eigenen Glaubensbekenntnis bestätigen.
Methodisch berührt das Buch mindestens zwei Fragenkomplexe, an denen in Zusammenarbeit zwischen systematischer und biblischer Theologie trotz des Jahrbuchs »Biblische Theologie« und weiterer analoger Projekte weiterzuarbeiten ist: Welche Relevanz kommt einzelnen biblischen Aussagen für eine »biblische« Theologie zu? Wie kann aus einzelnen biblischen Aussagen unterschiedlicher Autorinnen und Autoren eine biblische Theologie erhoben werden? Welche Relevanz kommt biblischen Argumenten für die systematische Theologie zu? Welche methodischen Schritte sind erforderlich, um systematisch-theologische Aussagen biblisch-theologisch zu fundieren?
Der zweite Komplex betrifft die inhaltliche Bestimmung der Identität christlicher und jüdischer Theologie. Studien über die christliche und die jüdische Identität zeigen, dass in den ersten drei Jahrhunderten die Identität von jüdisch und christusgläubig sein deutlich anders bestimmt wurde als nach der konstantinischen Wende, dass sich jüdische und christliche Identitäts-, Bekenntnis und Häresieaussagen im Wechselspiel gegenseitiger Projektionen und – durchaus historisch begründeter – Verzerrungen entwickelt haben. Möglicherweise sind bestimmte Positionen jüdischer und christlicher Theologie einander näher als Positionen innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft.