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Ausgabe:

Dezember/2010

Spalte:

1372-1376

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Knapp, Markus

Titel/Untertitel:

Die Vernunft des Glaubens. Eine Einführung in die Fundamentaltheologie.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 2009. 434 S. 8° = Grundlagen Theologie. Kart. EUR 19,95. ISBN 978-3-451-30161-2.

Rezensent:

Michael Roth

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Kraschl, Dominikus: Das prekäre Gott-Welt-Verhältnis. Studien zur Fundamentaltheologie Peter Knauers. Regensburg: Pustet 2009. 451 S. m. Abb. gr.8° = ratio fidei, 39. Kart. EUR 47,00. ISBN 978-3-7917-2196-5.


Lange Zeit galt Fundamentaltheologie als ein rein katholisches Unternehmen, das gemäß dem Zweistufenschema, wonach der Glaube und die in ihm wirksame Gnade Gottes auf bestimmte natürliche Voraussetzungen aufbauen, eine der Darlegung der Glaubensinhalte vorausgehende Glaubensbegründung und Glaubensverantwortung leisten will. Nun gibt es nicht nur – spätestens seit Gerhard Ebelings Forderung einer evangelischen Fundamentaltheologie in den 1970er Jahren – das Bemühen um eine solche, sondern auch vonseiten der katholischen Fundamentaltheologie werden die Anliegen evangelischer Fundamentaltheologie (und auch Einwände gegen dieses Unternehmen von evangelischer Seite) immer stärker zur Kenntnis genommen und reflektiert. Die beiden Arbeiten, die Dissertation von Dominikus Kraschl und die »Einführung in die Fundamentaltheologie« von Markus Knapp, geben hiervon Zeugnis.
So formuliert Knapp bereits im Vorwort: »Der Autor kann (und will) nicht verhehlen, dass er selbst katholischer Theologe ist. Aber das Bemühen, evangelische Ansätze und Argumente mit einzubeziehen, war auf jeden Fall gegeben und kommt hoffentlich auch zum Tragen. Dahinter steht die Überzeugung, dass Fundamentaltheologie ein gemeinsames christliches Anliegen beinhaltet und deshalb nicht konfessionstrennend, sondern -verbindend ist« (Knapp, 10). Diesem Anliegen kommt Knapp bereits dadurch nach, dass er sich der evangelischen Fundamentaltheologie ausführlich widmet (vgl. Knapp, 100–118), indem die Konzeptionen von Gerhard Ebeling, Wilfried Joest, Wolfhart Pannenberg, aber auch die kritischen Anfragen von Ingolf U. Dalferth an das Unternehmen »Fundamentaltheologie« vorgestellt werden. Diese ökumenische Weite gilt – ihrem Gegenstand gemäß – auch für die Arbeit von Kraschl, die sich mit dem emeritierten katholischen Fundamentaltheologen Peter Knauer (geb. 1935, ab 1980 Inhaber des Lehrstuhls für Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a. M.) beschäftigt, der im Jahr 1969 mit einer Arbeit über Gerhard Ebeling promoviert wurde und dessen Arbeit nicht zuletzt durch ihre ökumenische Ausrichtung charakterisiert ist. So hatte es Knauer nach Kraschl unter den Fachkollegen nicht leicht: »Man beargwöhnte seine Theologie vermutlich aufgrund ihrer Nähe zu protestantischen Positionen« (Kraschl, 19).
Die Weichenstellungen des Zweiten Vatikanischen Konzils sind sowohl für Knapp als auch für Knauer, der mit seinem 1978 veröffentlichten Werk »Der Glaube kommt vom Hören« das erste fundamentaltheologische Lehrbuch, in dem der theologische Durchbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils systematisch reflektiert wird, vorgelegt hat, entscheidend und begründen ihre hermeneutische Ausrichtung. So betont Knapp, dass nach dem Verständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils Offenbarung »nicht die Übermittlung bestimmter Lehre durch Gott [meint], sondern das ge­samte Geschehen, in dem Gott sich selbst in personaler Weise den Menschen mitteilt, um sich aus Liebe mit ihnen zu verbinden« (Knapp, 58). Damit erhalte die Offenbarungsapologetik selbst eine »tiefe Wandlung in Richtung auf eine Hermeneutik des Wortes Gottes« (vgl. Knapp, 58).
In dieser Weise – so zeigt Kraschl – ist auch Knauer zu verstehen: »Knauers Vorgehen versteht sich zunächst als eine hermeneutische Rekonstruktion der faktisch begegnenden Botschaft, die von sich behauptet, Wort Gottes zu sein. Er möchte herausarbeiten, wie die christliche Botschaft das Wort Gott verstanden wissen will. Es geht darum, das mit der christlichen Botschaft gegebene neue Gottesverständnis auseinanderzulegen« (Kraschl, 36). Damit gilt für Knauer wie für Knapp, dass der christliche Glaube nicht außerhalb des Glaubensvollzugs als wahr erwiesen werden kann. So wird der »Versuch …, den Glauben unter Absehung von ihm selbst vor der Vernunft als ›plausibel‹ zu erweisen« (Knapp, 125) von Knapp vehement abgelehnt. Knapp formuliert programmatisch: »Die erneuerte Fundamentaltheologie verfährt … intrinsezistisch und hermeneutisch und erweist sich damit als eine ganz und gar theologische Disziplin« (Knapp, 124 f.). Auch für Knauer steht fest, dass die Wahrheit der christlichen Botschaft »nur im Glauben zugänglich« (Kraschl, 342) ist. Neben dem ökumenischen Interesse, der hermeneutischen Ausrichtung und der Betonung der intrinsezistischen Verifikation des Glaubens ist den Arbeiten von Knapp und Knauer ein weiteres Anliegen gemeinsam: den Anspruch der klassischen katholischen Fundamentaltheologie, die Verantwortung des Glaubens vor dem Forum der Vernunft, nicht preiszugeben. Das bedeutet für Knapp, dass auch den Nichtglaubenden gegenüber Rechenschaft über die Verantwortbarkeit der Glaubenszustimmung abzulegen ist. »Deshalb gehört ein solcher auf dem Forum der Vernunft zu erbringender Glaubwürdigkeitserweis zu den unerlässlichen Aufgaben der Fundamentaltheologie. Wird das für unmöglich erachtet, folgt daraus zwangsläufig eine fideistische Position« (Knapp, 136). In der Berücksichtigung des Anliegens der klassischen katholischen Fundamentaltheologie liegt für Kraschl auch die durch Knauer gegebene Herausforderung: »In scharfsinniger Art und Weise verbindet Knauer den Einsatz beim typisch evangelisch-lutherischen Entsprechungsverhältnis ›Gott begegnet allein im Wort dem Glauben allein‹ mit einem Grundanliegen katholischer Fundamentaltheologie: ›Wer sich auf ein ›Wort Gottes‹ beruft, müsse sich im Prinzip mit jedermann über den Terminus ›Gott‹ verständigen können‹« (Kraschl, 23).
Mit seiner Arbeit, die im Wintersemester 2007/2008 von der Theo­logischen Fakultät der Universität Salzburg als Dissertation angenommen wurde, legt Kraschl erstmals eine kritische Gesamtanalyse zu Knauers Werk vor, das nach seinem Urteil – trotz des »durchaus epochale[n] Anspruch[s], den diese Fundamentaltheologie selbst erhebt« (Kraschl, 427) – bisher nur eine geringe Rezeption er­fahren hat (vgl. Kraschl, 18 f.). Kraschl möchte seine Arbeit als einen fundamentaltheologischen Beitrag mit doppelter Zielsetzung verstanden wissen. » Zum einen soll ein kritischer Kommentar zu sys­tembildenden Topoi der Theologie Knauers erstellt werden (Natürliche Theologie, Trinität, Christologie, Auferstehung, Gottes Handeln, Natur und Gnade, Glaubensverantwortung, Eschato­logie).« Als roter Faden im Durchgang durch die Knauersche Architektonik erweist sich dabei stets die Frage nach dem Gott-Welt-Verhältnis. Zum anderen will der Autor nicht nur bei etwaiger Kritik stehen bleiben. Er ist bestrebt, »darüber hinaus konstruktive Problemlösungsvorschläge und Theorie-Modifizierungen anzudenken« (Kraschl, 20).
Ihren Kern und ihr Ziel erreicht die Arbeit von Kraschl in der Auseinandersetzung mit Knauers Abwehr des Fideismus auf der einen und des Rationalismus auf der anderen Seite, denen Knauer auch die althergebrachte Fundamentaltheologie verhaftet sehe: »Rationalistisch war sie, weil sie meinte, den Glaubwürdigkeitserweis für das Ergangensein von Offenbarung … extrinsezistisch erbringen zu können, indem sie auf Wunder als Glaubwürdigkeitserweis einer ergangenen Offenbarung pocht (und so eine Glaubenspflicht nachweisen zu können meinte). Fideistisch war sie, insofern sie meinte, den eigentlichen Sprung in den Glauben nicht mehr vor der Vernunft verantworten zu müssen« (Kraschl, 341). Knauer meine sein Ziel zu erreichen, indem er nicht die Notwendigkeit des Glaubens, sondern die »Nicht-Verantwortbarkeit des Unglaubens« (Kraschl, 345) positiv aufweise: »Die Glaubensverkündigung behauptet von sich selbst, man könne sie mit der Vernunft nicht beurteilen. Aus diesem Grund sei auch jeder Versuch, die Glaubenszustimmung positiv zu rechtfertigen von vornherein verfehlt. Allein eine negative Rechtfertigung sei möglich: Weil jede von der Glaubenszustimmung verschiedene Stellungnahme eine Kompetenzüberschreitung der Vernunft darstelle, könne jede Form des Unglaubens … als unverantwortlich ausgewiesen werden« (Kraschl, 365). Mit dieser »Beweislastverteilung« (Kraschl, 431) setzt sich Kraschl kritisch und äußerst konstruktiv auseinander: Zum einen fragt er, ob nicht die Beweislast der Verantwortbarkeit der Glaubenszustimmung beim Glaubensverkünder liegt (vgl. Kraschl, 355–372), zum anderen versucht er, Knauers Programm der Glaubensbegründung durch Rekurs auf die Glaubenserfahrung zu validieren (vgl. Kraschl, 373–416). Freilich provoziert nicht nur Knauers Versuch, den Unglauben als unverantwortlich auszuweisen, sondern auch Kraschls kritische Auseinandersetzung mit Knauer Rückfragen: Verlangt die Verantwortung des Glaubensverkünders tatsächlich eine Darlegung der unstrittigen epistemischen Grundlage des Glaubens? Führt der Rekurs auf eine Glaubenserfahrung nicht zu einem zu weiten und unkonturierten Erfahrungsbegriff, vor allem zu einem, der sich mit dem philosophischen, an Kant orientierten Begriff von Erfahrung nicht in Einklang bringen lässt? Trotz dieser Anfragen bleibt festzuhalten, dass man bei der Arbeit von Kraschl mit einer anregenden, kenntnisreichen und selbständigen theologischen Auseinandersetzung um die Verantwortbarkeit des christlichen Glaubens konfrontiert wird.
Knapps »Einführung in die Fundamentaltheologie« gibt in einem ersten Teil eine Geschichte der Fundamentaltheologie (vgl. Knapp, 11–181), in der er das Entstehen dieser Disziplin skizziert (vgl. Knapp, 12–17), die viel weiter zurückreichende apologetische Tradition der Theologie bedenkt (vgl. Knapp, 18–48), die »Neuaufbrüche bis zum 2. Vatikanum« vorstellt (vgl. Knapp, 49–61) und schließlich die »katholische Fundamentaltheologie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil« in den Blick nimmt (vgl. Knapp, 62–99). Im Anschluss hieran wird auch die evangelische Fundamentaltheologie in den Blick genommen (vgl. Knapp, 100–118). Der erste Teil wird abgeschlossen mit einer Skizze zum Projekt der Fundamentaltheologie (vgl. Knapp, 119–178). In einem zweiten Teil widmet sich Knapp den Themen der Fundamentaltheologie (vgl. Knapp, 179–404): Religion (vgl. Knapp, 182–230), Offenbarung (vgl. Knapp, 231–290) und Kirche (vgl. Knapp, 291–326). Abgeschlossen wird dieser Teil mit den »Grundlagen theologischer Erkenntnis« (vgl. Knapp, 327–404).
Mit Max Seckler spricht Knapp von zwei Blickrichtungen der fundamentaltheologischen Grundlagenarbeit: dem Blick »nach innen« und dem Blick »nach außen«: »Der nach innen gerichtete Blick dient der elementaren Selbsterfassung des Christentums, seiner zentralen Botschaft und des sie tragenden Fundaments. Dieses Fundierende lässt sich auf den Begriff der Offenbarung bringen … Der nach außen gerichtete Blick dient der Vermittlung des christlichen Logos in außerchristliche Verstehenszusammenhänge hinein inklusive seiner Selbstbehauptung gegenüber kritischen Einwänden und Infragestellungen« (Knapp, 123 f.). Eine zentrale Auf­-gabe einer »intrinsezistisch arbeitende[n] Fundamentaltheo­logie« ist eine gründliche Reflexion des Verhältnisses von Glaube und Vernunft, »unter Vermeidung sowohl einer Zurückführung des Glaubens auf Vernunfteinsichten (Rationalismus) als auch einer Verweigerung des Glaubensverantwortung vor der Vernunft (Fideismus)« (131). Knapp unterscheidet zwischen einer »Glaubwürdigkeit, die sich im Vollzug der Glaubens selbst einstellt« und einer »vernunftgemäßen Glaubwürdigkeitserkenntnis«. Die Glaubwürdigkeitsargumente haben »ihr Ziel darin, zu zeigen: Die Offenbarungsbotschaft ist etwas unbedingt Bedeutsames für jeden Menschen … Die Glaubwürdigkeitsargumente haben also einen vorbereitenden, hinführenden Charakter. Sie wollen argumentativ aufweisen, dass die Offenbarungsbotschaft und der ihr korrespondierende Glaube nicht nur nicht im Widerspruch zur Vernunft stehen, sondern dass es geradezu ein Gebot der Vernunft darstellt, sich einer bewussten Entscheidung, zu der die Glaubensbotschaft jeden Menschen herausfordert, nicht zu entziehen. Auch wenn die dafür beigebrachten Argumente keine unhintergehbare Letztbegründungen liefern, können sie die den Glaubwürdigkeitsanspruch des Glaubens stützen« (Knapp, 149). Der Rezensent kommt zu dem Urteil, dass Knapps »intrinsezistisch arbeitende Fundamentaltheo­logie«, die das Anliegen der klassischen katholischen Fundamentaltheologie auf neue Weise zur Geltung bringen will, zwar viele anregende Überlegungen enthält, in ihrer letzten Konsequenz aber nicht überzeugt. Der Grund hierfür scheint in einem uneinheitlichen Verständnis der Vernunft zu liegen. Auf der einen Seite kann Knapp davon sprechen, dass die Vernunft sich »immer in einem vorgegebenen geschichtlichen Kontext« bewegt. »Sie arbeitet also keineswegs voraussetzungslos, ihre Einsichten sind immer an be­stimmte Voraussetzungen und Vorgaben gebunden«. Dies werde auch durch die Rede von der Autonomie der Vernunft nicht be­stritten. »Denn Autonomie meint nicht Voraussetzungslosigkeit, sondern dass ein Urteil aufgrund eigener Einsichten gefällt wird« (Knapp, 138). In diesen Aussagen scheint Knapp die Rede von der Vernunft kritisch zu sehen. Andererseits spricht Knapp von einer Verantwortung des Glaubens »auf dem Forum der Vernunft« (Knapp, 136 [Hervorhebung M. R.]), von einer Vermittlung des Glaubens mit der autonomen Vernunft (vgl. Knapp, 140) und ist damit offensichtlich einem Modell verpflichtet, das von einer Erweiterung der (einen) Vernunft um eine »neue Dimension« ausgeht (vgl. Knapp, 137). Gerade in dieser Unausgeglichenheit der Rede von der Vernunft, die dem Rezensenten durch die Differenz zwischen dem Ersten und Zweiten Vatikanischen Konzil und den jeweils durch sie gegebenen Herausforderungen bedingt zu sein scheint, markiert die Arbeit von Knapp diejenigen Fragen, über die katholische und evangelische Theologie ins Gespräch zu treten haben.