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Ausgabe:

Dezember/2010

Spalte:

1367-1369

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Raedel, Christoph [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Methodismus und charismatische Be­wegung. Historische, theologische und hymnologische Beiträge.

Verlag:

Göttingen: Edition Ruprecht 2007. 260 S. 8° = Reutlinger Theologische Studien, 2. Kart. EUR 23,90. ISBN 978-3-7675-7090-0.

Rezensent:

Gisa Bauer

Der von dem methodistischen Theologen und Dozenten für Evangelische Theologie am CVJM-Kolleg in Kassel, Christoph Raedel, edierte Sammelband schließt thematisch an die Untersuchungen von Peter Zimmerling und Dirk Spornhauer zu der charismatischen Bewegung an und fokussiert das Verhältnis von Methodismus in Deutschland und den Strömungen, die aus dem charismatischen Aufbruch der zweiten Hälfte des 20. Jh.s hervorgingen. Da sich die Studien zur charismatischen Bewegung bisher in einem äußerst übersichtlichen quantitativen Rahmen bewegen, ist der vorgelegte Band allein als Beitrag zu Geschichte, Theologie und Einfluss der charismatischen Bewegung von Bedeutung, allzumal bei den historisch angelegten Aufsätzen eine Schwerpunktsetzung zu der spezifischen Entwicklung der Bewegung in der DDR zum Tragen kommt, der bisher kaum ausreichend Beachtung geschenkt wurde. Die Beiträge bleiben trotz der immer wieder erkennbaren Reibungspunkte zwischen charismatischer Be­wegung und kirchlicher, in diesem Falle methodistischer theologischer Ausprägung nicht bei den Divergenzen stehen, sondern suchen, jeweils innerhalb ihres Themenhorizontes, nach einem Brückenschlag.
Systematisch zusammengefasst sind die Einzelaufsätze im Hinblick auf historische Entwicklungen, hymnologische Ausprägungen, theologische Überlegungen und praktische Erfahrungen.
Der historische Einstieg beginnt mit dem Beitrag Walter Klaibers, ehemals Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland, »Mein Weg mit der charismatischen Bewegung« (14–29), in dem ausgewogen zwischen persönlicher Darstellung und historischem Abriss das Verhältnis von EmK und Geistlicher Ge­meinderneuerung seit den 1970er Jahren zur Sprache kommt. Ähnlich gestaltet sich der Aufsatz »Der Weg des ›Arbeitskreises Geistliche Gemeindeerneuerung in der Evangelisch-methodis­tischen Kirche‹. Persönliche Erfahrungen und Eindrücke« (30–37) des langjährigen Leiters des Arbeitskreises, Reiner Dauner, wobei Dauner den Schwerpunkt auf die Entwicklungen im wiedervereinigten Deutschland legt. Einen weiteren Aspekt der jüngsten historischen Entwicklungen der charismatischen Bewegung nimmt Dieter Weigel auf, Pastor der EmK in der DDR, ehemals Dozent am methodistischen Seminar in Bad Klosterlausnitz und schon Ende der 1960er Jahre Mitglied des charismatisch geprägten »Bruderkreises« in Großdeuben bei Leipzig, aus dem 1988 der »Arbeitskreis für geistliche Gemeindeerneuerung« hervorging. Weigel stellt in seinem Beitrag »Zur Geschichte der charisma­tischen Bewegung in der Evangelisch-methodistischen Kirche (Schwerpunkt: Ostdeutsche Jährliche Konferenz)« (38–52) unter anderem auch den Einfluss der charismatischen Bewegung auf die evangelischen Landeskirchen dar, besonders aber die Probleme der Bewegung der charismatischen Gemeindeerneuerung in den 1970er und 1980er Jahren in der ostdeutschen EmK. Den Themenkomplex der historischen Aufsätze rundet Thomas Röders Bericht »Erfahrungen mit der charismatischen Bewegung in der Evangelisch-methodistischen Kirche in der DDR« (53–61) ab, in dem der evangelisch-methodistische Pastor in Sachsen und Mitarbeiter der Ostdeutschen Jährlichen Konferenz auf Leitungsebene die Auseinandersetzungen mit der charismatischen Gemeindeerneuerungsbewegung aus kirchlicher Sicht kritisch reflektiert und die Entwicklungen in die zeitgenössischen Spannungen auf Grund der divergierenden theologischen Ansätze einbettet.
Die Aufsätze »Das charismatische Liedgut im Lichte des frühen methodistischen Liedguts« (64–84) von James H. S. Steven, Tutor am Trinity College in Bristol, und »›Wir loben unsern Gott von ganzem Herzen‹ – Anbetung in der Evangelisch-methodistischen Kirche« (85–108) von Joachim Georg, Liedermacher und Pastor der EmK in Deutschland sowie ehemaliger Dozent am Theologischen Seminar der EmK in Reutlingen, bilden die hymnologischen Beiträge des Sammelbandes. Steven stellt im Vergleich des charismatischen Liedgutes der 1970er und 1980er Jahre mit Liedern von Charles Wesley eine große Nähe in Bezug auf den Lobpreis- und Feiercharakter, die Volkstümlichkeit, biblische Sprache und chris­tologische Zentrierung fest, konstatiert aber auch die Divergenzen in Bezug auf die Art der beschriebenen christlichen Erfahrungen, der Stellung Christi und der Bedeutung des Heiligen Geistes in den Liedern sowie ihren intendierten Zweck. Joachim Georg zeichnet in seinem Aufsatz die liturgischen und hymnologischen Entwicklungen in der EmK seit den 1980er Jahren nach und hebt besonders die Hinwendung zum Lobpreis sowohl durch die Aufnahme von Lobpreisliedgut als auch durch strukturelle Veränderungen der Gottesdienstordnungen hervor – ein Richtungswechsel, der unter anderem durch Impulse der charismatischen Bewegung hervorgerufen wurde.
Den Komplex der theologischen Beiträge leitet die Untersuchung Roland Gebauers »Gottes wirksame Gegenwart. Grundlinien des neutestamentlichen Zeugnisses vom Heiligen Geist und den Geistesgaben« (110–134) ein, in dem der Professor für Neues Testament am Theologischen Seminar der EmK in Reutlingen die neutestamentliche Bezeugung des Heiligen Geistes als wirkende Kraft Gottes im Menschen sowie der Charismen erörtert.
Auf diesen Aufsatz folgt der Beitrag »Ein Herr – ein Geist – ein Glaube. Die pneumatologische Programmatik wesleyanischer Theologie« (135–162) des 2006 verstorbenen langjährigen Superintendenten der methodistischen Kirche in der Tschechoslowakei Vilém Schneeberger, der ausgehend von der Darstellung der religiösen Erfahrungen Wesleys dessen Theologie im Hinblick auf die Pneumatologie entfaltet und resümiert, die Pfingstbewegung habe methodistische Ansätze, speziell aus der Heiligungslehre von Wesley, übernommen.
Christoph Raedels Studie »Gotteserfahrung im Widerstreit? Zwischen methodistischer Identität und charismatischer Erneuerung« (163–192) beschließt den Komplex der theologischen Beiträge mit Überlegungen zu Wesen und Interpretation der Gotteserfahrung im Methodismus, die den Schluss zulassen, »das Gespräch zwischen methodistischer Tradition und charismatischer Bewegung ist … kein Gespräch zwischen einander fremden, sondern miteinander verwandten Partnern« (190).
In den beiden folgenden Praxisberichten werden von dem evangelisch-methodistischen Pastor Frank Drutkowski in dem Beitrag »Charismatischer Gemeindeaufbau in der Evangelisch-methodistischen Kirche. Ein Praxisbericht aus der Gemeinde der Kreuzkirche in Berlin-Lankwitz« (194–217) und von Frank und Irmgard Ufer, Vorstandsmitglieder des Suchthilfevereins »come back«, mit dem Aufsatz »Sozialdiakonische Arbeit im Kontext geistlicher Gemeinderneuerung. Geschichte und Auftrag der Suchthilfe ›come back‹ in Zittau« (218–227) Einblicke in kirchliche bzw. sozialdiakonische Projekte geboten, bei denen charismatische Aufbrüche die theologische und strukturelle Ausrichtung beeinflussten.
Der Sammelband schließt mit dem Dokument »Leitlinien: Die evangelisch-methodistische Kirche und die charismatische Bewegung«, das 1976 von der Generalkonferenz der United Methodist Church unter dem Titel »Guidelines. The United Methodist Church and the Charismatic Movement«, verabschiedet wurde und eine Hilfestellung für die Begegnung von methodistischer Kirche und charismatischer Bewegung bieten soll.
Ein Personen- und Sachregister rundet den Sammelband ab, der in einem frischen und teilweise persönlich geprägten Stil Einblicke in das keineswegs unproblematische Verhältnis von Methodismus und charismatischer Bewegung in Deutschland vermittelt, wobei das Ringen um einen Konsens, das Infrage-Stellen der eigenen Position und damit auch die Offenheit gegenüber charismatischen Ansätzen seitens methodistischer Positionen den Hintergrund der Darstellungen ausmacht. Darüber werden besonders in den hymnologischen und theologischen Aufsätzen die theologischen kontextuellen Anknüpfungspunkte der charismatischen Bewegung beleuchtet und damit wird ein Beitrag zur weiteren Erforschung dieses Phänomens geleistet, das in seiner Bedeutung für die Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte des 20. und 21. Jh.s eher unter- als überschätzt wird.